Ein Bilderbuch klärt bereits Sechsjährige auf amüsante Weise über den „Gotteswahn" auf. Doch: Darf man das?
HAMBURG. (hpd) In der zweiten
Septemberhälfte wird das Buch „Wo bitte geht's zu Gott? fragte das kleine Ferkel" von Michael Schmidt-Salomon (Autor) und Helge Nyncke (Illustrator) im Alibri Verlag erscheinen. Über das Buch ist schon im Vorfeld viel spekuliert worden. Dem hpd bot sich nun exklusiv die Gelegenheit, die Druckfahnen vorab zu sichten.
Der Rabbi, der Bischof, der Mufti und das Ferkel
Das Buch erzählt die Geschichte des kleinen Ferkels und des kleinen Igels, die stets „großen Heidenspaß" hatten. Doch dann entdecken sie eines Tages ein Plakat, auf dem geschrieben steht: „Wer Gott nicht kennt, dem fehlt etwas!" Darüber erschrecken die beiden sehr, denn sie hatten ja gar nicht geahnt, dass ihnen etwas fehlte. Also machen sie sich auf den Weg, um „Gott" zu suchen. Über die Abenteuer, die unsere beiden Helden später auf dem „Tempelberg" erleben, sei an dieser Stelle nicht zu viel verraten. Nur soviel: Rabbi, Bischof und Mufti erscheinen, obgleich sie sich in den Haaren liegen, als gleichermaßen verrückt, wie Ferkel und Igel nach überstandener Suche im Irrgarten der Religionen einhellig feststellen. „Und die Moral von der Geschicht': Wer Gott nicht kennt, der braucht ihn nicht!"
Das frechste Kinderbuch aller Zeiten
Das von Helge Nyncke liebevoll illustrierte Buch ist nicht nur witzig, charmant und gescheit, es ist - auch wenn man mit Superlativen dieser Art sparsam umgehen sollte - das frechste Kinderbuch aller Zeiten! Denn so etwas hat es bislang noch nicht gegeben: Ein Bilderbuch, das die Religionskritik unverhohlen in die Kinderzimmer bringt, das (religiöses) Judentum, Christentum, Islam schon für Grundschüler verständlich als Wahnsysteme entlarvt! Es ist sicherlich kein Zufall, dass dieses für Kinder wie Erwachsene gleichermaßen amüsante „Buch für alle, die sich nichts vormachen lassen" in etwa zeitgleich mit der deutschen Ausgabe des internationalen Bestsellers „Der Gotteswahn" von Richard Dawkins erscheint. Denn in gewisser Weise handelt es sich hier um eine Art „Dawkins for Kids". Brach Dawkins das Tabu, Religionen offen als Wahnsysteme zu bezeichnen, so brechen Schmidt-Salomon und Nyncke das wohl noch größere Tabu, dass man Kindern solche ernüchternden Erkenntnisse doch bitte vorenthalten möge.
Ferkeleien und verletzte Gefühle
Mit heftigen Reaktionen auf das Buch ist zu rechnen. So werden sich tiefgläubige Muslime wohl schon allein darüber erzürnen, dass hier ausgerechnet ein kleines Ferkel in einer Moschee auftaucht. So sympathisch Nyncke das Ferkelchen auch gezeichnet hat, bei derartigen „Schweinereien" verstehen muslimische Fanatiker gar keinen Spaß. „Verletzte religiöse Gefühle" auch bei religiösen Juden und gläubigen Christen sind bei der Anlage des Buches vorprogrammiert. Das nehmen die Autoren aber in Kauf. „Wer Aufklärung betreibt, also Klartext redet, statt die Dinge hermeneutisch zu vernebeln, der verletzt nun einmal religiöse Gefühle!", sagt Schmidt-Salomon. Soll man darauf nicht Rücksicht nehmen? „Nein", meint der Autor: „Denn was, bitteschön, sind ‚verletzte religiöse Gefühle', wenn man sie bei Licht betrachtet? Nichts weiter als ein Konglomerat aus Angst vor dem eigenen Glaubensverlust, gekränktem Stolz und Rachegelüsten gegenüber den vermeintlichen Lästerern! Das ist kaum schützenswert! Im Gegenteil! Wer auf ‚religiöse Gefühle' Rücksicht nimmt, der stellt damit weltanschauliche Borniertheit unter ‚Denk-mal-Schutz'. Und das wäre auf Dauer fatal."
„...pädagogisch besonders wertvoll!"
So lustig die Geschichte vom kleinen Ferkel auch ist, die letztlich entscheidende Frage bei der Bewertung des Buches ist, inwieweit man Kindern überhaupt eine satirische Durchleuchtung der Religionen zumuten kann. Haben Kinder nicht ein „Recht auf Märchen" und damit auch auf Religion? Oder haben sie möglicherweise eher, wie Schmidt-Salomon meint, ein „Recht auf Aufklärung und Satire, auf freies, klares Denken jenseits aller Denktabus"?
Wir fragen den renommierten Kinder- und Jugendpsychiater und Psychotherapeuten Prof. Dr. Peter Riedesser, Direktor der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. „Natürlich ist der Ansatz von Schmidt-Salomon und Nyncke gewagt", sagt Riedesser. „Aber schon vor Monaten, als ich die ersten Entwürfe zu dem Buch sah, lautete mein Urteil: ‚als Gegengift zu religiöser Indoktrination von Kindern pädagogisch besonders wertvoll!' Schauen Sie sich doch einmal an, was den Kindern in unseren Kindergärten und Schulen sowie in vielen Elternhäusern beigebracht wird! Mein Kollege, der Psychologe Axel Verderber, arbeitet zurzeit an der Materialsammlung für ein Buch über die Folgen von Religionserziehung aus psychologischer und psychiatrischer Sicht. Unter anderem untersucht er Kinderbibeln und musste feststellen, dass auch in neuesten Ausgaben sehr bedenkliche Aussagen gemacht werden. Zum Beispiel sagt Gott in einer Kinderbibel aus dem Jahr 2002 zu Eva nach dem „Sündenfall", dass sie und alle ihre weiblichen Nachkommen ihre Kinder „unter Schmerzen" zur Welt bringen müssten; in der Geschichte von der Sintflut wird das Ersäufen fast aller Menschen und Tiere in der selben Kinderbibel damit begründet, dass es Gott „reute, dass er sie gemacht hat"; die Geschichte von Abraham und Isaak, in der der Vater ohne Widerspruch bereit ist, auf Befehl Gottes seinen Sohn mit einem Messer zu töten und als Brandopfer darzubringen, wird kommentarlos erzählt; die längst - auch von Theologen - widerlegte fatale Behauptung, dass die Juden die Hauptschuldigen an der Hinrichtung Jesu gewesen seien, wird Kindern auch noch im 21. Jahrhundert als wahr hingestellt."
„Aufklärung in einer frühen Entwicklungsphase hilfreich"
Die Gefahren einer religiösen Erziehung werden Riedesser zufolge „meist gewaltig unterschätzt": „Eine solche Erziehung kann die kognitiven Fähigkeiten durch Denktabus, die emotionale Entwicklung durch Schuldgefühle und Ängste, die Beziehung zum eigenen Körper durch überholte Moralvorstellungen beschädigen. Hinzu kommt die Gefahr der Induktion von destruktiven Vorurteilen und die Anstachelung zur Diskriminierung Anders- und Ungläubiger. Da ist Aufklärung in einer frühen Entwicklungsphase schon sehr hilfreich, vor allem wenn sie so humorvoll daherkommt wie in diesem Buch von Nyncke und Schmidt-Salomon! Denn wer gelernt hat, mit Ferkel und Igel über die Drohungen und Verheißungen der Religionen zu lachen, der wird Hass- und Heilspredigern so schnell nicht auf den Leim gehen."
„Aufklärung ist keine Indoktrination"
In christlichen Foren wurde kurz nach der Ankündigung des Buches (u.a. in der Sendung „Menschen bei Maischberger") bereits heftig diskutiert, dass „die Gottlosen" mit dem Kinderbuch nun zum Angriff auf die Kleinsten blasen und das Kinderzimmer zum „atheistischen Missionsgebiet" erklären wollten. Wie sieht das der Kinder- und Jugendpsychiater? „Ich denke nicht, dass das Buch in irgendeiner Weise missioniert oder indoktriniert!", sagt Riedesser. „Es klärt auf, auf unkonventionelle Weise vielleicht, aber Aufklärung ist nicht gleich Indoktrination! Im Gegenteil! Das Buch kann dazu beitragen, dass die Kinder lernen, nicht jede Aussage - stamme sie von einem Religions-Lehrer oder aus einem Buch - für wahr zu halten. Problematisch wäre es, wenn in dem Buch behauptet würde, Atheisten seien die besseren Menschen. Aber das ist nicht der Fall! Die Grundaussage des Buchs ist doch: Wir Menschen sind alle gleich, Gläubige wie Ungläubige - auch wenn ein paar ‚Leute in lustigen Gewändern' das nicht wahrhaben wollen! Das ist eine sehr schöne, positive Aussage, die auch Kinder gut verstehen können. Den Verweis auf Andersens Märchen ‚Des Kaisers neue Kleider' am Schluss des Buches finde ich in diesem Zusammenhang provozierend, aber naheliegend. Das ist Aufklärung in bester Tradition!"
Ein Heidenspaß für Groß und Klein
Der Verlag verspricht auf dem Klappentext des Buchs einen „Heidenspaß für Groß und Klein". Und tatsächlich werden nicht nur Kinder, sondern auch viele Erwachsene Freude an der Lektüre der Abenteuer des kleinen Ferkels haben, denn bei genauerer Betrachtung ist dieses „Kinderbuch" auch ein „subversiver Erwachsenen-Comic". Schmidt-Salomon sieht für das Buch noch eine weitere Verwendungsmöglichkeit, nämlich als „Erste-Hilfe-Set für genervte Eltern": „Stellen Sie sich vor, Ihr Kind kommt eines Mittags aus der Schule und redet plötzlich seltsame Dinge über das ‚Jesuskind' und den ‚lieben Gott', der uns angeblich alle beobachtet. Was sollen konfessionslose Eltern in dieser peinlichen Situation tun? Mein Tipp: Das Ferkelbuch aus dem Regal ziehen und es gemeinsam mit den Kindern lesen! Aus eigener Erfahrung weiß ich: Das hilft hervorragend! Ich selbst war lange Zeit auf der Suche nach einem solchen Buch, da ich aber in den Unmengen pädagogischer Erbauungsliteratur nichts Geeignetes fand, habe ich kurzerhand selbst eine Geschichte geschrieben. Dass daraus dann ein so schönes Buch werden konnte, verdankt sich dem glücklichen Umstand, dass ich nach kurzer Suche im Umkreis der Giordano Bruno Stiftung in Helge Nyncke einen ganz hervorragenden Illustrator fand, der die Fabel von den metaphysischen Abenteuern des kleinen Ferkels mit vielen originellen Ideen in unübertrefflicher Weise umsetzen konnte. Wir hatten wirklich großen Spaß bei der Produktion dieses frechen Büchleins und ich denke, den meisten Leserinnen und Lesern wird es bei der Lektüre ebenso gehen."
Ab Ende September im Handel
„Wo bitte geht's zu Gott? fragte das kleine Ferkel" wird ab Ende September im Buchhandel erhältlich sein. Das gebundene, durchgängig farbig illustrierte Bilderbuch wird 12 Euro kosten. Wer das Ferkelbuch möglichst früh erhalten möchte, kann es schon jetzt im Denkladen vorbestellen.
Stefanie Finke