JAPAN. (hpd) Einer AFP-Meldung zufolge leidet die japanische Wirtschaft unter der extrem hohen Suizidrate seiner Arbeitnehmerschaft. Bereits zum zwölften mal hintereinander hätten sich pro Jahr mehr als 25.000 werktätige Japanerinnen und Japaner umgebracht, was sich nachteilig auf die Wirtschaft des Landes auswirke.
Durch Selbstmorde und Depressionen, so eine Verlautbarung der japanischen Regierung vom 7.9.2010, seien allein im zurückliegenden Jahr Schäden in Milliardenhöhe entstanden. Die Gesamtkosten aus sozialen und medizinischen Leistungen für Depressionskranke sowie Einkommensausfällen von Patienten und Selbstmördern beliefen auf knapp 2,7 Billionen Yen (rund 25 Milliarden Euro). Hätten die 26.500 Japaner und Japanerinnen zwischen 15 und 69 Jahren, die sich offiziellen Statistiken zufolge im letzten Jahr das Leben nahmen, auch nur ein Jahr länger gelebt und gearbeitet, hätten sie ein Einkommen von 1,9 Billionen Yen (17,8 Milliarden EUR) erwirtschaftet.
Japans Ministerpräsident Naoto Kan bedauerte die hohen Zahlen und die mit den Selbsttötungen von Werktätigen verbundene negative Auswirkung auf die Wirtschaft. Zu den Gründen für die hohe Suizidrate in seinem Land wusste er nichts zu sagen, ebensowenig zu einer Lösung des Problems.
Nicht in die Aufrechnung der Regierung einbezogen ist die hohe Zahl japanischer Schülerinnen und Schüler unter 15 Jahren, die sich jährlich das Leben nehmen. Das japanische System gnadenloser Auslese nach dem Leistungsprinzip - schon in Kindergarten und Vorschulbereich entscheidet sich die spätere Berufskarriere - führt zur weltweit höchsten Suizidrate unter Kindern und Jugendlichen im Land der aufgehenden Sonne. Insgesamt wurden in Japan im letzten Jahr 32.845 Suizide registriert, die Quote liegt etwa zweieinhalb mal so hoch wie in Deutschland.
„Karoshi –Todesart im Berufsumfeld“
Nicht einbezogen ist auch ein seit Anfang der 1990er in Japan zu beobachtendes Phänomen: „Karoshi - Tod durch Arbeit“. Mittlerweile juristisch und von Haftpflichtversicherungen als eigenständige „Todesart im Berufsumfeld“ anerkannt, fallen jedes Jahr mehr japanische Männer, Frauen und Kinder dem Karoshi zum Opfer als Gewaltverbrechen. Eine eigene Schutzvereinigung geht von mehr als 10.000 Karoshi-Toten pro Jahr aus, Tendenz steil ansteigend.
Karoshi schlägt in vielfältiger Manier zu: stressbedingte Kreislaufkollapse und Herzinfarkte, viele Opfer schlafen einfach in der U-Bahn ein und wachen nicht mehr auf. Ob tatsächlich Karoshi schuld am Ableben eines Familienangehörigen war und den Hinterbliebenen Anspruch auf eine Versicherungs- oder Rentenzahlung eröffnet, wird nachträglich überprüft. Die Angehörigen müssen dabei dem Arbeitsministerium nachweisen, dass der Verstorbene am Tage seines Ablebens bzw. in der Woche davor extremer Arbeitsbelastung ausgesetzt war. Ansprüche können nur dann geltend gemacht werden, wenn der Betreffende unmittelbar vor seinem Tod zumindest 24 Stunden (!) ohne Pause gearbeitet hat oder in der Woche davor jeden Tag zumindest 16 Stunden. Wenn er am Tag seines Todes eine halbe Stunde Pause hatte oder in der Vorwoche einen freien Tag, ist es schon kein offizielles Karoshi mehr und die Hinterbliebenen gehen leer aus.
CG
Bildlegende: Eine Erfindung gegen Karoshi ist der so genannte Pümpelhelm, mit dem gestresste Japaner auf der täglichen U-Bahn-Fahrt zur Arbeit noch ein wenig Schlaf tanken können. Auf dem Schild ist vermerkt, wo man aussteigen will, freundliche Mitreisende wecken einen rechtzeitig auf. (Foto: Archiv Goldner)