Das wie bereits in den letzten beiden Jahren von dem 39-jährigen Julian Warner geleitete Festival war wieder eines zum Eintauchen und Mitmachen, das die Stadt Augsburg zu seiner Bühne und sich zur Bühne der Stadt gemacht hat. Kreativ widmete es sich unter Mitwirkung von über 400 Personen aus unterschiedlichsten Teilen der Stadtgesellschaft aktuellen Fragen und Problemen.
Als das Festival, mit dem Augsburg jedes Jahr den hier geborenen Dichter und Denker Bertolt Brecht ehrt, dieses Jahr am 21. Februar begann, war gerade Wahlkampfendspurt, am übernächsten Tag Bundestagswahl. Zwischen den Wahlplakaten hingen die gelben Festivalposter mit dem in fetten, hufeisenförmig arrangierten schwarzen Lettern gedruckten Motto "Die große Methode". Dieser Begriff aus Brechts theoretischen Schriften steht für den Versuch, gesellschaftliche Strukturen und deren Veränderbarkeit aufzuzeigen, um Prozesse zu erkennen und zu nutzen. Im Politikfieber dieser Tage ein interessanter Ansatz, der sich als roter Faden durch das Festivalprogramm zog. Viele der Events des Festivals griffen ihn auf. Das taten sie zum Teil in traditionellen Spielstätten wie Staatstheater und Brechtbühne, zu einem großen Teil aber an ganz unterschiedlichen Orten des Stadtgebiets. Hier einige Beispiele:
Ausgehend von der Frage "Wie können wir als post-religiöse Gesellschaft gemeinsam Feste feiern?" fand das Event "LichtMess" im schönen Alten Stadtbad statt. Denn hier war das Eintauchen ganz wörtlich gemeint. Die Teilnehmer des als "Ritueller Rave" angekündigten Abends begaben sich im Badeanzug ins Wasser, um dort – angelehnt an ein altes Reinigungsritual – die Wiederkehr des Lichts zu zelebrieren. Dabei wurden sie inspiriert von poetischen Texten, Musik und einer theatralischen Performance mit Kostümen, Lichteffekten und Requisiten. Sie erhielten Anregungen zum Mitsprechen, sich mit Wasser zu übergießen, auf dem Wasser zu treiben und einzutauchen. Wie die Veranstalterinnen jedoch zu Beginn betont hatten, waren vorgemachte Gesten und vorgesagte Texte nur als Einladung zu verstehen, während alle Teilnehmerinnen und die weniger zahlreichen Teilnehmer ihren eigenen Weg zu einem möglichst klärenden und befreienden Erlebnis finden sollten. "Die Sonne erhebt sich tief in mir drin bis ich wieder weiß, wer ich bin: Wild. Liebend. Wunderbar. Verbunden. Verwundet. Nah", tönte es unter anderem im Chor, während eine Discokugel die Sonne symbolisierte. Fast schon gebetsartig mutete dies an. Doch bald darauf löste sich die feierliche, mystisch angehauchte Stimmung in einem fröhlichen Herumplantschen mit bunten Schwimmnudeln und einem Plastikdelphin zu schwungvoller, immer lauter werdender Musik auf, nachdem die Vorsprecherin ihre "Sonnenkugel" abgelegt hatte und mit einem Kopfsprung ins Wasser geglitten war.

Die Bluespot Productions, die dieses Event konzipiert hatten, wollen ihm weitere ähnliche zu Anlässen wie der Walpurgisnacht, Mitsommer etc. folgen lassen.
Warum orientieren sich politische Entscheidungen ausschließlich an menschlichen Bedürfnissen? Und: Muss das so bleiben? Um durchzuspielen, wie hier eine Veränderung aussehen könnte, wurde als Teil des Brechtfestivals das Projekt "Organismenrepublik Augsburg" ins Leben gerufen. Am Beginn stand bereits 2023 eine verfassungsgebende Versammlung für eine solche Republik, in der alle Lebewesen parlamentarisch vertreten sind. Dieses Jahr waren es vor allem die Wasserlebewesen, die in der Weltkulturerbe-Wasserstadt Augsburg zu ihrem Recht kommen sollten. Auf der Brechtbühne (Am Alten Gaswerk 8) kam es zu einem Volksentscheid der Lebewesen. Vertreten wurden sie von Akteuren auf der Bühne und Zweierteams im Publikum, jeweils zur Vertretung eines Wasserlebewesens. Beim Betreten des Theaterraums galt es, seine Identität als Mensch abzulegen und sich als das Wasserlebewesen zu fühlen, das man vertrat, nachdem man sich zuvor im Foyer mit dessen Wesen, Lebensbedingungen und -raum vertraut gemacht hatte. Ein individueller, inspirierender Text sollte dabei helfen, sich in dieses hinein zu versetzen. Er beginnt beispielsweise für das Vertreterteam der Ziegelroten Vampiramöbe mit den Worten: "Deine Welt ist eine stille, schwebende Dunkelheit. Um dich herum treiben die Algen ... , gespeicherte Sonnenenergie in filigranen Glashüllen. Sie gehören zum Fluss des Lebens, fangen Licht ein, verwandeln es in Zucker, bauen damit ihre Körper."
Auf der Bühne wurden vier verschiedene Anträge vorgestellt, in denen es um die Zukunftsfähigkeit der Stadt Augsburg und deren Fluss Lech ging. Derjenige, der die meisten Stimmen erhalten würde, sollte beim Stadtrat eingereicht werden. Es standen zur Wahl:
A) Eigene Stadtratsplätze für Vertreter der Organismen (betitelt als "Demokratische Evolution")
B) Nichts zur Rettung des Lechs zu unternehmen, und so den Menschen eine Lektion zu erteilen (als "Heilsame Katastrophe")
C) Das vom Wasserwirtschaftsamt initiierte Projekt "Licca Liber", mit dem der Lech renaturiert und damit letztlich vor einem vernichtenden Sohldurchschlag gerettet werden soll, zügig voran zu bringen (also "Weitermachen und mit Freude gestalten")
D) Den Lech und damit auch den von seinem Wasser abhängigen Status als Weltkulturerbestadt aufzugeben und stattdessen in Zukunft alles besser zu machen, begonnen damit, dass beim ausgewiesenen neuen Wohnbaugebiet im Stadtteil Haunstetten von Anfang an auch nichtmenschliche Organismen und deren Ideen und Bedürfnisse eingebunden werden, also zum Beispiel neben Stadtplanern, Architekten und Bauunternehmen auch Biber mitarbeiten (als "Zukunft statt Welterbe")
Nach ausführlicher Diskussion einigten sich die Organismenvertreter auf der Bühne und im Publikum mit der knappen Mehrheit von einer Stimme auf Antrag A, gefolgt von Antrag C. Und nun heißt es: "Dran am Ball bleiben"! Bei der Wiedermenschwerdung beim Verlassen des Zuschauerraums wartete ein Aufgabenzettel zur Durchsetzung der Forderung und Fortführung des Projekts.
Wie wollen wir leben? – Diese Frage wurde beim Kampf um die Stadt mit vollem Körpereinsatz ausgefochten. Ausgetragen wurde dieser Kampf in einer weiteren großen Spielstätte, dem "Kraftclub" mit seiner "Arena", die Festivalleiter Warner in einem ehemaligen Möbelhaus am Rande des Augsburger Stadtteils Oberhausen eingerichtet hat. Hier hatte die Festivaleröffnung stattgefunden. Es folgte eine Wrestling Show, bei der erfahrene Wrestler Interessen personifizierten, die in der Stadt aufeinanderprallen. Mit Gebrüll, harten Schlägen und lautem Knall beim Aufprall ging es zur Sache, angefeuert vom Publikum. "Kleine Leute" skandierte es, wenn der übervorteilte Typ in der abgewetzten Jeansjacke sich durchsetzte. Buh-Rufe galten seinen Widersachern, dem wohlhabenderen "Besser-Mieter" aus München und der Immobilienhaiin im Glittergoldkostüm, die ihn aus seiner Mietwohnung werfen wollte. Inszeniert war das Ganze als Riesenspektakel mit Akrobatik, Cheerleadern, Musik und Videowänden, auf die das Geschehen im Wrestlingring projiziert wurde, damit man es aus allen Ecken des großen Areals verfolgen konnte.
Fulminantes Ende eines Dreijahreszyklus'
In dieser Arena fand schließlich auch das Finale des Festivals in Form eines 48-stündigen Tanzmarathons statt. Während auf einer eingegrenzten Fläche in der Mitte der "harte Kern" versuchte, sich möglichst lang tanzend auf den Füßen zu halten und dabei eine gute Figur zu machen in der Hoffnung auf den Sieg und das 5.000 Euro betragende Preisgeld, war rings herum Mittanzen erlaubt, wenn lokale Kultur- und Tanzgruppen sowie -vereine Tänze vorführten, die es aus aller Welt nach Augsburg geschafft haben. Bereitwillig erklärten sie Tanzschritte und führten Wettbewerbe für diejenigen durch, die sich darin versuchten. Auch an diesen Finaltagen gab es wieder ein buntes Rahmenprogramm mit Puppentheater, Menschenpyramiden und viel Musik, vor allem Liedern von Brecht.
Am Sonntag, den 2. März endete das Festival und damit ein Dreijahreszyklus, zu dem einige Aktionen gehörten, die über die Jahre in einem Zusammenhang standen und die Augsburger auch zwischen den Festivalterminen in Vorbereitungen und Weiterführungen einbanden. Es endet damit auch die Festival-Leitung durch Julian Warner, der dieses Fest der Stadt nicht übergestülpt, sondern es aus ihr und ihrem Potential geschöpft hatte. Er agierte nicht still im Hintergrund, sondern nahm immer wieder aktiv teil. "Every Augsburger is a Star", sang er, während er beim Finale mit einem Tross Cheerleadern und Puppenspielern durch die Arena zog. Doch nicht nur auf den Festivalevents war er zu sehen. Er fegte auch gern mal den Platz vor der Spielstätte "Kraftclub" und ergriff auf dem Rednerpult am Rathausplatz das Wort bei der großen Demonstration gegen "Rechtsruck" und für Zusammenhalt am Vorabend der Bundestagswahl, die das Bündnis für Menschenwürde und Augsburg gegen Rechts organisiert hatten und zu der sich rund 12.000 Menschen versammelten. So verschmolz das Geschehen auf den Bühnen mit dem in der Stadt, aus dem einige Auftragsarbeiten und kooperative Performances und Projekte ihren Stoff bezogen hatten. Daneben standen natürlich auch Brecht-Klassiker wie "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" und "Mutter Courage und ihre Kinder" auf dem Programm.
Auch 2026 findet wieder ein Brechtfestival Ende Februar bis Anfang März statt. Der neue Dreijahreszyklus bis 2028 soll dann unter der Leitung der Regisseurin, Autorin und Performancekünstlerin Sahar Rahimi und des Regisseurs, Performers und Musikers Mark Schröppel stehen.
