Notizen aus Russland

Internationaler Tag der Toleranz                    

St.Petersburg, 16. November. Der

Internationale Tag der Toleranz wurde zum ersten Mal in Sankt Petersburg gefeiert. Das Stadtoberhaupt, Gouverneurin Valentina Matwienko, erklärte in einer Rede an die Einwohner der Stadt, dass „die Fähigkeit, andere Menschen unabhängig von ihrer Nationalität, Glaubensrichtung oder Meinung zu verstehen, das grundlegende Geheimnis der bekannten Petersburger Weitsicht" sei. Im Juli 2006 hatte die Stadtregierung ein Programm zur Befriedung von interethnischen und interkulturellen Konflikten, gegen Fremdenfeindlichkeit und die Festigung der Toleranz angenommen. 2007 schloss sich Petersburg auf Einladung der UNESCO dem europäischen Städtebündnis gegen Rassismus an.

Am Tag der Toleranz wurde im Museum für Geschichte der Religion zu dessen 75-jährigem Bestehen die Ausstellung „Religiöses Petersburg: Verbindung zwischen den Zeiten" eröffnet. Sie erzählt über das Nebeneinander der unterschiedlichen Konfessionen in Petersburg, Petrograd und Leningrad. (Russisch)

Gestörter Dialog der Kirchen

Vatikan, 16. November. Kardinal Walter Kasper, der Verantwortliche des Vatikans für die Ökumene, erklärte gegenüber Radio Vatikan, dass man den interreligiösen Dialog von Katholiken und Orthodoxen nicht ohne das Moskauer Patriarchat fortsetzen wolle.

Das einsetzende Tauwetter zwischen der Russisch-orthodoxen Kirche (ROK) und dem Vatikan war zunächst von kurzer Dauer gewesen. Die 10. Plenartagung zur Förderung des interreligiösen Dialogs zwischen Orthodoxen und Katholiken im italienischen Ravenna begann am 10. Oktober mit einem Eklat. Unter den Delegierten befanden sich auch Vertreter der Estnisch-apostolisch-orthodoxen Kirche (EAOK). Diese war 1996 vom Konstantinopler Patriarchat der orthodoxen Kirche installiert und zu dem Kirchenforum in Ravenna eingeladen worden. Da das Moskauer Patriarchat die EAOK nicht als gleichrangig anerkennt, stellten seine Delegierten die ultimative Forderung: Entweder bleiben die Esten hier oder wir. Nachdem der Metropolit von Konstantinopel keine Veranlassung sah, die estnischen Orthodoxen nach Hause zu schicken, verließen die Vertreter des Moskauer Patriarchats kurzerhand den Saal.

Das Abschlussdokument der Konferenz zum Stand der Ökumene wurde in der Folge von der ROK als ungültig erklärt, da auf ihm die Unterschriften der größten orthodoxen Kirche fehlten. (Russisch), (Russisch), (Russisch)

Sektenmitglieder erwarten Weltuntergang

Pensa, 14. November. Angehörige einer Sekte, die sich „Wahre russisch-orthodoxe Kirche" nennt, haben sich in der südrussischen Oblast (Provinz) Pensa in einen selbst gegrabenen unterirdischen Bunker zurückgezogen. Gegenüber den Behörden erklärten sie, sich freiwillig versteckt zu haben und drohen mit Selbstverbrennung, wenn jemand versuchen sollte, sie mit Gewalt herauszuholen.

Die Erdhöhle befindet sich nahe des Dorfes Nikolskoje im Kreis Bekowo. Unter den 29 Sektierern sind vier Kinder. Die Polizei unternehme gegenwärtig nichts gegen die Gruppe und sorge nur im Umfeld des Verstecks für Ordnung.

Die lokale Staatsanwaltschaft teilte mit, dass sie ein Ermittlungsverfahren wegen „Bildung einer gegen das Persönlichkeitsrecht einzelner Bürger verstoßenden Gemeinschaft" eingeleitet habe. Im Zentrum der Ermittlungen steht der Sektenführer, der sich „Vater Peter" nennt. Der unterirdische Rückzugsort der Gruppe sei mit einem Brunnen, einer Küche und Schlafnischen ausgestattet, heißt es in dem Bericht. Die Gruppe erwarte dort den Weltuntergang. (Deutsch), (Englisch), (Russisch)

Putin für Anerkennung theologischer Abschlüsse

Moskau, 9. November. Der russische Präsident Wladimir Putin hat sich für die Anerkennung von Abschlüssen theologischer Universitäten ausgesprochen. Während eines Gesprächs mit islamischen Würdenträgern unterstrich er die Bildungserfolge dieser Einrichtungen und erklärte, dass die Studienprogramme theologischer Universitäten durch den Staat evaluiert und in das Studienverzeichnis der Staatlichen Kommission für akademische Abschlüsse aufgenommen werden sollten. (Englisch)

Spiritueller Parteivorsitzender - Nr. 1

Moskau, 6. November. Der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Russland Gennadi Sjuganow glaubt, dass Russland die eigenen Ressourcen, geleitet von seiner nationalen Idee, nutzen solle, anstatt das westliche Gesellschaftsmodell zu kopieren.

„Russlands Kerngedanke bestand immer in einem großen und mächtigen Staat, der so Jahrhunderte lang existiert hat," äußerte Sjuganow bei einer Anhörung in der Moskauer Erlöserkathedrale. Insofern bräuchten die Russen keine nationale Idee ausarbeiten, denn diese hätten sie schon seit Langem: „Unsere Idee beruht auf vier Säulen: dem starken Staat, geistlichen Werten, Gemeinschaftssinn und Gerechtigkeit." Diese Werte würden heute untergraben und bedürften einer Generalüberholung. Und weiter: „Wenn ich Leute höre, die meinen, dass Russland in Zukunft einen Lebensstandard wie in Schweden oder den USA erreichen wird, dann möchte ich entgegenhalten, dass dies nie bei uns eintreten wird."

Ferner sagte Sjuganow, Russland habe historisch durch seinen Fokus auf die geistlichen Werte überlebt, die tief in der Orthodoxie verwurzelt seien. Seine Sorge bestehe darin, dass Erscheinungen wie „Individualismus und Habgier, die von außen hineingetragen werden, unsere spirituellen Eckpfeiler Familie, Gesellschaft und Staat zerstören." (Englisch)

Spiritueller Parteivorsitzender - Nr. 2

Moskau, 2. November. Grigori Jawlinski, der Vorsitzende der Russischen Demokratischen Partei „Jabloko" (Apfel), ist überzeugt, dass die Orthodoxie in der Lage ist, die Herausforderungen der russischen Gesellschaft zu meistern. „Gott ist Liebe", sei nicht nur ein Spruch, sondern die einzige Möglichkeit, die ein Mensch erkennen müsse, um zu überleben. Diese Aussage werde Russland den Weg durch das 21. Jahrhundert weisen, erklärte der Politiker ebenfalls auf einer Anhörung in der Moskauer Erlöserkathedrale.

Seiner Meinung nach dienten Regierungsbeamte dem Staat und der Gesellschaft wesentlich besser, wenn sie sich der Kirche gegenüber verpflichtet fühlten. „Die schmerzlichen Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, dass Reformen uneffektiv, nutz- und fruchtlos sind, wenn sie unter atheistischem Vorzeichen durchgeführt werden," sagte Jawlinski. (Englisch)

Gegenbrief gegen Brief

Moskau, 1. November. Eine Gruppe von Wissenschaftlern der Russischen Akademie der Wissenschaften (RAW) hat sich jetzt gegen den sogenannten offenen „Brief der 10" gewandt. Diesen hatten zehn Akademiemitglieder im Juli an Präsident Putin gesandt, um sich gegen die zunehmende Klerikalisierung des Landes zu wenden, siehe hpd-Beitrag.

„Dieser Brief gibt nicht die Meinung aller Mitglieder der RAW wieder. Sein Inhalt steht in keinem Zusammenhang mit den Fachrichtungen seiner Autoren und ihren Spezialisierungen, in denen sie als wissenschaftliche Autoritäten weithin anerkannt sind." Die Behauptung der Autoren des offenen Briefs, dass die Russisch-orthodoxe Kirche alle Sphären des gesellschaftlichen Lebens aktiv durchdringen würde, sei unbegründet, da sie durch die verfassungsmäßige Gewissensfreiheit garantiert werde.

Die Wissenschaftler, die sich nun gegen ihre Kollegen positionierten, erklären ferner, dass die Vermittlung religiöser Kultur an staatlichen Bildungseinrichtungen keineswegs die Trennung von Staat und Kirche unterlaufe, sofern die Angebote fakultativ seien. In diesem Zusammenhang verwiesen sie auf die in Westeuropa verbreitete Vermittlung religiöser Themen in den Schulen, und nicht einer „Geschichte der Weltreligionen", wie es den Verfassern des Briefes vorschwebe. In Deutschland und einigen anderen Ländern sei konfessionsgebundene Religionskunde sogar ein Pflichtfach.

Genauso wenig spreche gegen den Protest, Theologie als Studienfach in das Studienverzeichnis der Staatlichen Kommission für akademische Abschlüsse aufzunehmen. Schließlich würde eine Reihe von Gesellschaftswissenschaften wie Kulturwissenschaft oder Philosophie auch nicht mit wissenschaftlich exakt bewiesenen Tatsachen operieren und damit der Theologie nahestehen. Dementsprechend werden Theologieabschlüsse an staatlichen Universitäten in fast allen europäischen Ländern verliehen.

Die Autoren der jetzigen Erklärung drücken ihr Bedauern darüber aus, dass die Autorität der Russischen Akademie der Wissenschaften für antireligiöse Argumente und private ideologische Auffassungen benutzt werden soll. (Englisch)

Klerikale Russlands mauern gegen Homosexualität

Moskau, 18. Oktober. Die 29. Tagung des Interreligiösen Rates Russlands (IRR) behandelte die Frage eines intensiveren Dialog mit dem Europarat. In diesem Zusammenhang werde sich der IRR in seiner ersten Erklärung gegen die Propaganda von Homosexualität aussprechen und den Europarat darum bitten, die Positionen traditioneller Religionen, mit denen die Propagierung dieser Erscheinung unvereinbar sei, zu respektieren.

Metropolit Kirill von der Russisch-orthodoxen Kirche sagte: „Der Europarat diskutiert über viele Fragen der Moral. Die Zeit ist gekommen, dem Europarat unser gemeinsames Verständnis zum Thema Homosexualität zu vermitteln." Die Resolution Nr. 11296 zur Gotteslästerung und Verletzung religiöser Gefühle, die der Europarat am 8. Juni verabschiedet hat, eröffne die Möglichkeit einer vielfältigen Debatte zu moralischen Themen unter Einbindung der Religionen, so der Kirchenmann.

In der Erklärung des Interreligiösen Rates Russlands an den Europarat wird darauf verwiesen, dass Religionen das Recht haben, „verschiedene Erscheinungen so zu beschreiben, wie es sich aus ihrem Eigenverständnis [der Religion] ergibt, und so auch Homosexualität als Sünde zu bezeichnen, wenn dies ihrer Glaubenslehre entspricht." (Russisch), (Englisch)

Darwinismus „beerdigt“

Moskau, 15. Oktober. Die symbolische Inquisition der „Orthodoxen Bannerträger" - siehe auch hpd - trugen auf einer Manifestation zur Verteidigung des Unterrichtsfachs „Grundlagen der orthodoxen Kultur" die Darwin'sche Evolutionslehre und den Atheismus zu Grabe. Sie legten einen großen Spielzeug-Orang-Utan mit einem Schild „Darwinismus. Atheismus" auf der Brust in einen schwarzen Sarg.

„Unsere heutige Aktion symbolisiert den Tod der militanten Gottlosigkeit und des Darwinismus sowie den Sieg seiner Anhänger - jener Akademiemitglieder, die sich in Briefen gegen die orthodoxe Kirche und Kultur wenden", sagte der Koordinator der Aktion in Anspielung auf den Offenen Brief von zehn Wissenschaftlern der Russischen Akademie der Wissenschaften an Präsident Putin im Juli dieses Jahres - hpd berichtete.

An dem demonstrativen Akt nahmen auch Vertreter der reaktionären „patriotisch-orthodoxen" Bewegung „Norodnyj Sobor" (Volkskonzil) und der Vereinigung orthodoxer Bürger teil, die eine massive Lobbyarbeit für die orthodoxe Kirche unter russischen Politikern betreibt. (Russisch), (Russisch)

Oberhaupt der Moldauisch-orthodoxen Kirche warnt vor Globalisierung

Kischinau, 15. Oktober. Der Metropolit von Kischinau und Gesamt-Moldau (Moldawien) Wladimir erklärte auf einer theologischen Konferenz unter anderem, dass gleichgeschlechtliche Partnerschaften eine der Gefahren der Globalisierung seien. Viele Länder würden Homo-Ehen legalisieren, doch solche Partnerschaften seien für Menschen mit einer christlichen Überzeugung unvereinbar. Dieses „Übel" könne jedes Volk heimsuchen und Moldau sei da keine Ausnahme.

Ferner seien nach Auffassung des Kirchenführers Dinge wie nationale Idee und Globalisierung unvereinbar, da Letztere jede beliebige Nationalität zerstöre.

Eine weitere Gefahr sieht Wladimir darin, dass die Globalisierung in die Intimsphäre des Menschen einzudringen versuche. Doch „ein wahrer Gläubiger ist dies zu Hause genauso wie bei der Arbeit. Er bzw. sie kann keine beruflichen Entscheidungen treffen, die seinen/ihren religiösen Ansichten widersprechen", sagte der Metropolit.

Die Einführung eines Kontrollsystems durch Personenidentifikationsnummern in Moldau stufte Wladimir ebenfalls als gefährlich ein, da so jeder zum Sklaven des Systems gemacht werde und unter die totale Kontrolle des Staates gerate: „Wir sind kategorisch dagegen, denn der Mensch erhält seinen Namen bei der Taufe, und wir betrachten es als Namensänderung, wenn er mit einer Nummer versehen wird." (Russisch)

Umfrage zu Religion und Moral

Moskau, 11. Oktober. Im heutigen Russland bekennen sich die Hälfte der Einwohner zu einem Glauben. Davon gehen 10 % regelmäßig in die Kirche und halten die religiösen Riten ein, 43 % der Gläubigen gehen nur an Feiertagen zu Gottesdiensten. Dies ergab eine Umfrage des Russischen Forschungszentrums für öffentliche Meinung, die im August und September in 156 Orten in 46 Provinzen des Landes durchgeführt wurde.

Die Soziologen fanden heraus, dass 31 % der Befragten eine Existenz Gottes für möglich halten, doch wenige sich für die Belange des kirchlichen Lebens interessieren. Als überzeugte Atheisten bekannten sich 6 %, weiteren 8 % ist das Verhältnis zur Religion egal.

Unter den Konfessionen Russlands steht an erster Stelle die orthodoxe Kirche mit 75 % der Gläubigen, gefolgt von 8 % Muslimen; 1-2 % der Gläubigen sehen sich nicht als Anhänger einer bestimmten Kirche.

Nach den Gründen für das Interesse der Menschen an der Religion befragt, gaben die meisten Umfrageteilnehmer nationale Traditionen, moralische Ideale und Trost in Leidenssituationen an. Weitaus weniger nannten als Motive die Vorstellung an etwas Übersinnliches oder an Gottes Vorsehung oder auch, weil es Mode sei. 3 % der Befragten sahen Rückständigkeit und mangelnde Bildung als Ursachen für Religiosität.

Die absolute Mehrheit der russischen Bevölkerung meint, dass nicht die Kirche für die ethische Erziehung der heranwachsenden Generation zuständig sei. 67 % sind der Auffassung, dass Kinder und Jugendliche in erster Linie zu Hause moralische Werte vermittelt bekommen sollten; ein geringerer Teil (17 %) sieht hier die Verantwortung bei den Schulen. Als weitere Quellen für die Formung moralischer Überzeugungen sehen 4 % der Befragten die Kirche an, 5 % - die Medien, 3 % - Kunst und Literatur und 1 % - die Armee. (Russisch), (Russisch)

 

Tibor Vogelsang