Abgeordnete im Kotau vor den Kirchen

STUTTGART. (hpd) Anlässlich der ersten Beratung des Gesetzentwurfs zu dem Vertrag

mit den beiden Evangelischen Landeskirchen und mit der Römisch-katholischen Kirche kam es im Stuttgarter Landtag gestern zu einer seltenen Einmütigkeit unter den Abgeordneten aller Fraktionen.


Eingestimmt durch freundliche Begrüßung, die der stellvertretende Landtagspräsident Wolfgang Drexler an die auf der Besuchertribüne anwesenden – vom Haus mit Applaus honorierten – hohen kirchlichen Vertreter richtete, begründete zunächst Kultusminister Helmut Rau den Vertragsschluss: Er verwies auf die traditionell gute Kooperation zwischen Land und Kirche, die mit dem Vertrag „hervorgehoben“ wird und das für beide Seiten Planungssicherheit geschaffen wurde. In Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse verwies der Minister darauf, dass „die Kirchen mit Diakonie und Caritas soviel Gutes in der Gesellschaft auch ohne Bezahlung leisten“, wofür sie Anerkennung durch die Politik verdienen. Diese erfolge nun dadurch, dass die Theologischen Fakultäten, der Religionsunterricht, die Bildungseinrichtungen, die Seelsorge, das Eigentum der Kirchen und die Staatsleistungen vertraglich abgesichert werden. Das Fehlen einer ordentliche Kündigungsklausel im Vertrag wurde vom Minister verteidigt: Schließlich wolle man „im nächsten Jahr – zumindest in dieser Angelegenheit – nicht schon wieder beieinander sitzen“, sondern die Vereinbarung soll „auf unbegrenzte Zeit dauern und lange Bestand haben“.

Nach dem Minister beeilten sich die Redner der Fraktionen den Kirchen zu versichern, wie wichtig sie für Staat und Gesellschaft seien, weshalb man nicht anders könne, als dem Vertrag „uneingeschränkt zuzustimmen“. Dieser Kotau zum Schaden des Landes wurde dann mit überholten Zahlen und Angaben untermauert. So begründete der SPD-Abgeordnete Ingo Rust den Vertrag mit der Konfessionszugehörigkeit von insgesamt 90 % der Bevölkerung (diese Angabe stammt aus dem Jahre 1987), was den tatsächlichen Verhältnissen im Lande nicht mehr entspricht. Erwähnt wurde auch der Denkmalschutz, der durch die Kirchen geleistet würde, obwohl dieser in der Vereinbarung gerade unter Interessensvorbehalt gestellt wird. Der FDP-Abgeordnete Dieter Kleinmann – im Hauptberuf Pfarrer – merkte vor seinem obersten Dienstherren geflissentlich an, dass mit dem Vertrag die positive Arbeit der Kirchen, z.B. im Religionsunterricht durch die Erhöhung der Staatsleistungen angemessen gewürdigt werden und auch die Kritik seitens des Rechnungshofes an den theologischen Fakultäten nunmehr abgewehrt werden konnte. Nur der Grüne Fraktionsvorsitzende Winfried Kretzschmann erlaubte sich, nachdem er ebenfalls den Vertrag zunächst als eine gelungene Ausgestaltung des in Deutschland bestehenden „erfolgreichen Kooperationsmodells“ nach dem „epochalen Ereignis der Trennung von Staat und Kirche“ gewürdigt hatte – unter Skandalrufen der CDU-Fraktion ein wenig Wasser in den Wein zu kippen: „Dem Land“, so Kretzschmann, „stünde es als eines pluralistischen Gemeinwesens gut an“, die in der Verfassung stehende und im Vertrag aufgegriffenen Formulierung von der Erziehung der Jugend „in Erfurcht vor Gott, im Geiste der christlichen Nächstenliebe“ zukünftig zu „säkularisieren“, damit „Menschen, die nicht an Gott glauben und keine Christen sind oder werden wollen“ sich nicht länger von der Landesverfassung „überwältigt fühlen“ müssen.

Wie nicht anders zu erwarten war, wurde der Vertrag zur weiteren Beratung vom Landtagsplenum einstimmig in die Ausschüsse verwiesen. Ob sich hier noch Änderungen im Sinne der verfassungsrechtlich gebotenen Trennung von Kirche und Staat zum Wohle des Landes ergeben, scheint fraglich. Gleichwohl wiederholen „Die Humanisten Württemberg“ die bereits in ihrer Pressemitteilung vom 29.Oktober 2007 und in ihrer vom Kultusministerium erbetenen Stellungnahme zum Staatskirchenvertrag erhobene Forderungen, hpd berichtete, und bitten die Abgeordneten ihrer Verantwortung für das ganze Volk von Baden-Württemberg – und nicht nur den kirchlich gebundenen Mitbürgern – gerecht zu werden.

Andreas Henschel