WEIMAR. (hpd) Die Stadt ist immer einen Besuch wert – nicht nur wegen der alten Geistestitanen oder der aktuellen Liszt-Euphorie. Das Autonome Cultur Centrum ACC hat in Weimar eine bemerkenswerte Ausstellung auf die Beine gestellt. Ursprünglich sollte sie Ende August zu Ende sein, jetzt wurde sie um zwei Monate verlängert: „What happened to God?“
Laut Frank Motz, Direktor der ACC-Galerie, soll der Titel Assoziationen wecken zu persönlichen Erkundungen, die man vielleicht über einen guten Bekannten einholt, den man lange nicht gesehen hat: "Was ist eigentlich aus dem und dem geworden?" Die Frage soll Zweifel offen legen, ob es denjenigen noch gibt. Würde man ihn, begegnete man ihm auf der Straße, nicht gern knuffen und ihn fragen: "Wie hast du dir das gedacht? Warum musste das sein? Was ist da eigentlich los? Ist es jetzt mal gut?"
Idee der Ausstellung ist es, die Frage nach Gott aus verschiedenen künstlerischen Perspektiven auszuleuchten. In fast allen Arbeiten scheint das Theodizee-Problem auf: „Warum verhindert oder lindert Gott nicht Leiden und Unglück auf der Welt? Was ist mit Gott passiert in einer Welt, in der sich viele desillusioniert von ihm abwenden, andere ihn nur mit Gewalt zu verteidigen wissen, wiederum andere sich in Angst und Schrecken abkehren und die zur Gewohnheit gewordenen Bilder religiös motivierter Gewalt zwar konsumieren, aber ignorieren?“.
Frank Motz ist „fasziniert davon, wie viele Menschen von der Religion fasziniert sind.“ Besonders interessiere ihn „die Differenz zwischen einem empfundenen Nichts, einer Leere, einem Vakuum auf der einen Seite und die unbestätigte Ahnung von, vielleicht auch die Sehnsucht, nach einer Anbindung an eine Spiritualität auf der anderen Seite“.
Innerhalb eines halben Jahres hat er Antworten renommierter Künstler aus verschiedenen Ländern auf die Frage „What happened to God?“ zusammengetragen. So entstand eine erstklassige Ausstellung, die vorbehalts- und schonungslos Schlaglichter auf die Frage nach Gott wirft. Ein inspirierendes Ausstellungsmosaik, das die Betrachter mal schmunzeln, mal den Kopf schütteln, und hin und wieder staunen lässt – in jedem Fall aber informiert und emotional berührt. Einzelne Objekte und deren Urheber seien hier kurz skizziert.
Die Ausstellung
Gleich zu Beginn wird der Besucher mit einer Sprechblase – oder ist es doch eine frei schwebende Wolke? – begrüßt. Darauf in fetten Lettern der Stoßseufzer „Oh God...“ Zwei Räume weiter lapidar die Fortsetzung „...there is no God“.
Fast ausnahmslos sind es kritische Blicke, die die Künstler auf die Frage nach Gott werfen. So lassen Boris+Natascha Friedrich Nietzsche aus dem Grab „REDEFINE“ orakeln. Ein Schelm, der hier nicht nur an „Umdefinieren“ oder das „Umwerten aller Werte“ denkt. Vielleicht raunt uns hier Zarathustra auch einfach ein „Schluss mit dem Gerede“ zu? Gleich gegenüber werden Filme des schwedischen Videokünstlers Per Teljer gezeigt, die sich nicht nur religiösen Fragen widmen. Filme wie „Som det nur var“ oder „South of Heaven“ erzählen in einer unglaublichen atmosphärischen Dichte menschliche Konflikte. Bereits hier können Besucher stundenlang in fremde Welten eintauchen.
Der Rumäne Dan Perjovschi projiziert in klaren Linien die Evolution von „Bible“ zu „Google“ an die Galeriewand. Roy Macbeth dagegen hat die Bibel einer systematischen Inventur unterzogen und sämtliche Wörter seiner Bibel neu geordnet – und zwar konsequent alphabetisch. Ohne nachgezählt zu haben, dürfte das englische Wort für „und“ darin wohl am häufigsten vorkommen. Ein paar Räume weiter ragt ein Arm aus der Wand. Ein Fingerzeig Gottes?
Marc Bijl hat ein Faible für Götterdämmerungen. In seinem Werk „bad religion“ stopft er ein Ikea-Regal voll mit Bibeln, Koranausgaben, Thoras und anderen Schriften, von denen gesagt wird, sie seien heilig. Einzelne Schriften sind bereits auf den Boden gefallen, das Regal scheint unter der religiösen Last zusammenzubrechen.
Gleich darauf stellt man sich unweigerlich die Frage: Warum um Himmels willen läuft in dieser Ausstellung ein amerikanischer Fernsehgottesdienst? „The Holy Artwork“ von Christian Jankowski ist ein „Spiel zwischen Affirmation und Subversion“ (Ausstellungsinformationen). Erst am Ende offenbart der Film feine, leise Ironie, wenn man den Autor hastig flüstern hört „Danke, Gott, dass Du dies ermöglicht hast.“
Einen Raum weiter erwartet den Besucher eine Fotoserie von Helmut und Johanna Kandl. Ein entlarvender Blick auf Pilgertradition, Marienverehrung und den Heiligenfigurenkommerz. In den verwinkelten Gängen führt der Dokumentarfotograf Peter Beste ein in die dunkle und bizarre Welt der norwegischen Black-Metal-Szene.
Bewegend, weil nahezu unbewegt: Boris Eldagsens Videoarbeit „THE SCHOOL OF MAGIC (The Promise)“. Anfangs geht der Betrachter von einer Fotografie aus, bis er vielleicht ein Zwinkern und dann ausnehmend langsame Bewegungen bemerkt. Schauspielerin Sandra Hüller steht regungslos und nackt vor einem roten Vorhang, blickt ins Licht, mit bittender Gebärde. Gerade die Langsamkeit der Bewegung macht das Betrachten so intensiv. Von den Bildern geht eine unheimliche suggestive Kraft aus, die die Szene nahezu real erscheinen lässt. Ein Sich-Verlieren im Moment.