Eine Sendung des Bundes für Geistesfreiheit im Bayerischen Rundfunk, Bayern II, Sendung am Sonntag 15.10.2006,
7.05–7.20 Uhr / Manuskript: Sendereihe „Positionen“
Sprecher:
Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer, wir begrüßen Sie zu dieser Sendung des Bundes für Geistesfreiheit Bayern, kurz bfg. Heute bringen wir eine Nachlese zum Papstbesuch und stellen Ihnen ein ungewöhnliches Museum sowie das neue Buch von Gerd Lüdemann vor.
Sprecherin:
Haben Sie den Papst gesehen? Am Fernsehen ganz sicher, da wurden wir ja mit Papstberichterstattung überflutet: Über 70 Stunden sahen wir ihn auf unserem heimatlichen Fernsehkanal. Aber live sind doch weniger Schaulustige gekommen als erwartet. Bei den großen öffentlichen Auftritten des Papstes blieben noch viele Plätze frei. Die Verantwortlichen für Organisation und Sicherheit waren froh, sie hatten weniger Probleme und keine großen Pannen. München hatte gerade die Fußballweltmeisterschaft hinter sich und das Oktoberfest vor sich, da war der Besuch aus Rom nur eines von mehreren Groß-Ereignissen.
Und nun überlegt man, was hat es uns gebracht, hat sich der Aufwand gelohnt? Für eine solche Bilanz ist es sicher noch zu früh. Statistische Erkenntnisse über eine Intensivierung des kirchlichen Lebens gibt es frühestens zum Jahresende oder erst im kommenden Jahr. Erst dann wird man sagen können, ob die Kirchen wieder voller geworden sind, ob mehr Eltern ihre Neugeborenen zur Taufe bringen und ob die Zahl der erklärten Kirchenaustritte vielleicht langsam weniger wird.
Eine ganz wichtige Erkenntnis war aber schon während des Papstbesuches unübersehbar: Das Bündnis von Thron und Altar funktioniert in Bayern immer noch, obwohl seit 1919 in der Verfassung steht: Es gibt keine Staatskirche.
Papst Benedikt hat den Besuch in seiner Heimat ausdrücklich als „Pastoral-Besuch“ gestaltet, d. h. das Kirchenoberhaupt besucht seine Herde; das ist die Übersetzung bzw. die Bedeutung des Wortes „Pastoral“. So war dann auch im Programm nur eine kurze Begegnung mit der Politik eingeplant, die meiste Zeit kümmerte sich der Papst um die ihm anvertraute Herde der gläubigen Katholiken. Aber fast immer war der Staat unübersehbar präsent, nicht nur durch Polizei und kommunale Ordnungshüter, sondern vor allem durch den Ministerpräsidenten und sein politisches Gefolge und viele hohe Würdenträger des Staates. Am Flugplatz und in der Universität, beim Gottesdienst im Freien und im Dom, immer waren der Landesvater und einige seiner Minister ganz nahe bei dem Ehrengast, mal neben ihm, mal hinter ihm. Die engen Beziehungen zwischen Kirche und Staat in unserem Bayern-Land waren da unübersehbar.
Besonders kurios wurde das bei dem nicht eingeplanten Familienfoto: Bei einem als persönliches Gespräch geplanten Programmpunkt stand plötzlich die ganze Familie des Landesvaters da - neben Karin und Edmund auch Veronica, Oliver und Dominic und auch Melanie, Constance und Jürgen und noch einige Enkel. Der Hof-Fotograf war natürlich zur Stelle und Ratzinger lächelte milde und schon war das Foto fertig. Dieses Privileg gewährt der Papst nur wenigen christlichen Königshäusern, die er besucht. Hier in Bayern funktioniert es noch gut – dieses Bündnis der staatlichen Macht mit der Kirche – und man scheut sich auch nicht, es überdeutlich zu demonstrieren.
Nach den Grundsätzen unserer Verfassung ist der Staat, und das gilt auch für den Freistaat Bayern, zur Neutralität gegenüber den Religionen verpflichtet. Hier hat aber der Staat dem Papst bei seinem Pastoral-Besuch ein kräftiges Übersoll geleistet. Der Steuerbürger darf als Unkostenbeitrag, sozusagen als Reisekostenzuschuss für den Papstbesuch, ca. 70 Millionen Euro zahlen, die drei Bischöfe, die den Papst eingeladen haben, zahlen nach eigenen Angaben nur etwa 27 – 28 Millionen für den Besuch Ihres Gastes.
Für uns ist diese großzügige Subventionierung der päpstlichen Missionsreise ein Verstoß gegen unsere Verfassung und gegen alle Grundsätze der staatlichen Haushaltsordnung. Warum zahlt der Steuerzahler viele Millionen, wenn der Papst zu Besuch kommt, um den Glauben seiner Katholiken aufzufrischen? Die Antwort ist einfach. Thron und Altar leben in Bayern immer noch in einem sehr engen Bündnis. Wem das nicht passt, der kann ja auch aus der Kirche austreten (wenn er es nicht schon getan hat) oder auch als Wähler bei der nächsten Wahl mal sein „Kreuz“ woanders hinmachen. Aus der Steuerpflicht kann man sich aber nicht so leicht abmelden, da leistet jeder Steuerbürger seinen Beitrag zur Missionsreise des katholischen Kirchenoberhauptes. Soll das auch in Zukunft so bleiben?
Die Trennung von Staat und Kirche ist hier in Bayern ein immer noch nicht vollzogener Verfassungsauftrag. Bei diesem Papst-Besuch wurde es noch mal für jedermann deutlich, wie gut das mittelalterliche Bündnis von Thron und Altar hier noch funktioniert. Das ist nicht mehr zeitgemäß, das muss sich ändern.
Sprecher:
Wie möchten Ihnen jetzt ein interessantes Museum in Nürnberg vorstellen: den „turmdersinne“! Ungewöhnlich ist schon die Schreibweise als ein zusammengeschriebenes Wort in lauter Kleinbuchstaben. Und Ungewöhnliches erwartet Sie in einem historischen Nürnberger Stadtmauerturm, nämlich ein innovatives naturwissenschaftlich orientiertes Konzept rund um das Thema Wahrnehmung.
Wussten Sie, dass es einen Raum gibt, in dem Menschen ohne technische Tricks vom Riesen zum Zwerg mutieren können? Oder dass man extrem heiß und eiskalt gleichzeitig spüren kann?
Mit Auge, Ohr, Hand, Nase und Mund kommt man im turmdersinne alltäglichen Phänomenen auf die Schliche und kann nach Belieben experimentieren. Die sinnliche Erfahrung führt zu einer vergnüglichen Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Phänomenen der Wahrnehmung. Eine spannende Auswahl an Exponaten steht zum Ausprobieren bereit, rund um die Frage: Wie funktionieren eigentlich unsere Sinne? Der turmdersinne lädt ein zum Erleben, Staunen, Be-greifen!
Das Museum turmdersinne versteht sich ausdrücklich als Erlebnisausstellung und Museum zum Anfassen. Nicht abgehobenes Faktenwissen wird im Frontalunterrichtsstil präsentiert, sondern durch die Initiative und Aktivitäten seiner Besucher wird „Lernen durch Erfahrung“ ermöglicht.
Im turmdersinne eckt unser vermeintliches Wissen an. Wir erleben die Fähigkeiten, vor allem aber auch die Grenzen unserer "Wahr"nehmung. Der Grundgedanke des Museums ist also folgender: Unser Wahrnehmungsapparat bildet die Welt nicht so ab, wie sie ist, sondern er deutet sie für uns. Durch die Erfahrung der eigenen Täuschbarkeit in wissenschaftlich fundierten Wahrnehmungsexperimenten wird das kritische Denken im Alltag geschult und befördert. Ganz konkret: Wer lernt, dass man der eigenen Wahrnehmung nicht immer trauen kann, erhält die Gelegenheit, Erfahrungen im Alltag kritisch zu betrachten und neu einzuordnen. Selbstkritik statt Verbohrtheit, Differenziertheit anstelle von Pauschalurteilen und Nachdenklichkeit statt Überheblichkeit: Am Ende könnte ein Mehr an Toleranz, Verantwortung und Humanismus stehen.
Das Museum existiert seit März 2003. Die Idee einer Erlebnis-Ausstellung entstand bereits 1995 im Umfeld des Humanistischen Verbandes Deutschlands HVD-Nürnberg, der den Mohrenturm schon eine ganze Weile für Jugendarbeit nutzte. Ein Arbeitskreis aus interessierten Studenten, Lehrern und Wissenschaftlern entwickelte ein Konzept, spann ein Netz von wissenschaftlichen Beratern und Unterstützern und knüpfte erste Kontakte zu potentiellen Sponsoren.
1997 folgte die Gründung der gemeinnützigen "Turm der Sinne GmbH Erlebnisausstellungen". Gesellschafter ist bis heute der HVD-Nürnberg. Diese Arbeit wird ehrenamtlich geleistet.
Von Anfang an war dem turmdersinne auch der Dialog zwischen Fachleuten und Öffentlichkeit wichtig. So gibt es seit 1998 ein jährliches Symposium. Die Beiträge der letzten Symposien werden auch in Buchform dokumentiert.
Zielgruppe des Museums sind vor allem "Menschen ab 14 Jahren", also Schülerinnen und Schüler, Jugendliche und Jugendgruppen, sowie Erwachsene. Aber auch Familien und jüngere Kinder haben nach unserer Erfahrung Spaß und Vergnügen an einem Besuch im Museum turmdersinne.
Dieses außergewöhnliche Museum ist ganzjährig geöffnet. Die genauen Öffnungszeiten können Sie unter : www.turmdersinne.de nachlesen.
Sprecherin:
Vor kurzem ist ein neues Buch von Gerd Lüdemann im zu-Klampen-Verlag erschienen. Es trägt den Titel: „Altes Testament und christliche Kirche. Versuch der Aufklärung“.
Gerd Lüdemann hat die historisch-kritische Bibelforschung verfeinert und radikalisiert. Das führt dazu, dass selbst seine zahlreichen Gegner immer wieder auf seine Arbeiten zurückgreifen müssen. Bisher hatte sich Lüdemann jedoch vornehmlich auf die Untersuchung des Neuen Testaments konzentriert.
Mit seinem neuen Buch über "Altes Testament und christliche Kirche" wendet er nun seine radikale Methodik auf den zweiten Grundtext der christlichen Kirche an, das Alte Testament. Zunächst untersucht Lüdemann den Gebrauch des Alten Testaments im Neuen Testament, der die Kirchengeschichte bis zur Aufklärung geprägt hat. Dann prüft er den historischen Wert des Alten Testaments, um schließlich dessen theologisch-normativen Gebrauch in der Kirche und der akademischen Theologie der Gegenwart zu beschreiben.
Lüdemanns historisch-kritische Untersuchung bringt ans Licht, daß kein Buch Mose von Mose stammt, kein Psalm Davids von David, die allerwenigsten Prophetenworte von den Propheten. Sogar, dass es einen Exodus Israels aus Ägypten nicht gegeben hat. Diese Ergebnisse erschüttern die Grundfesten der durch Schrift und Bekenntnis definierten christlichen Kirchen, die sich auf ihren einmaligen historischen Ursprung berufen.
Gerd Lüdemann ist Professor für „Geschichte und Literatur des frühen Christentums“ an der Universität Göttingen. Sein Lehrstuhl hieß früher „Lehrstuhl für Neues Testament“. Doch der Präsident der Universität Göttingen ließ diese Bezeichnung verbieten. Warum? Lüdemann hatte sich in seinen Veröffentlichungen und in seiner wissenschaftlichen Arbeit kritisch mit Fragen des evangelischen Bekenntnisses auseinandergesetzt. Die Ergebnisse seiner Forschungsarbeit waren den evangelischen Kirchen in Niedersachsen und der Leitung der Universität Göttingen nicht genehm.
Im November kommt Lüdemann zu einer Lesereise nach Bayern. Die genauen Termine können Sie unserer Website entnehmen.
Sprecher:
Gibt es eine neue Religiosität, wie vielfach wegen des begeisterten Empfangs für den Papst vermutet wurde? Auch dieser Frage ist die Shell-Jugendstudie 2006 nachgegangen. Doch die Jugendlichen in Deutschland können nur wenig mit Religion anfangen. An einen persönlichen Gott glauben nur 30 Prozent der Befragten. Weitere 19 Prozent der Jugendlichen glauben an eine höhere Macht, was nahe am Aberglauben liegt. 28 Prozent stehen der Religion völlig fern, der Rest ist sich in religiösen Dingen unsicher. Die heutige Jugend bejaht zwar die Kirche als Institution, kritisiert aber gleichzeitig ihre Lehre. 65 Prozent finden, die Kirche habe keine Antwort auf aktuelle Fragen. Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist Religiosität wichtiger: Da glauben 52 Prozent an einen Gott - bei den deutschen sind es nur 28 Prozent.
Sprecherin:
Unsere nächste Sendung können Sie am 26. November hören. Die Texte dieser Sendung erhalten Sie gegen Erstattung des Portos bei: bfg Bayern, Postfach, 90730 Fürth. Im Internet sind wir erreichbar unter der Adresse: www.bfg-bayern.de. Dort finden sie auch die Veranstaltungen der einzelnen Ortsgemeinschaften.
Und falls Sie wissen wollen, was auf den „Religionsfreien Zonen“ zum Papstbesuch in München und Regensburg los war – über einen Link auf der Startseite gelangen Sie zur Dokumentation der Veranstaltungen.
Texte: Rainer Statz, Monika Hendlmeier
SprecherInnen: Dr. Kerstin Pschibl, Karl Bierl