BERLIN. (hpd) Die seit einer Woche stattfindende Debatte um das Kinderbuch „Wo bitte geht's zu Gott?
fragte das kleine Ferkel“ wird im „Humanistischen Verband Deutschlands“ mit gemischten Gefühlen betrachtet. Das Buch selbst wird im HVD eher kritisch gesehen. Der Verband beabsichtigt nicht zuletzt deshalb ein eigenes religionskritisches Kinderbuch herauszugeben, vielleicht ein „Humanism for Kids“, um einen direkten Bezug auf die Vorstellung des „Ferkelbuches“ aus dem alibri-Verlag im hpd herzustellen. Das geplante Kinderbuch soll auf den pädagogischen Erfahrungen in Humanistischen Kindergärten, im Lebenskundeunterricht und auf Gesprächen mit Eltern, Kindern und Lehrern aufbauen.
Den Indizierungsantrag aus dem Hause von der Leyen betrachtet der HVD als maßlos überzogene Reaktion. Konservativen Kräften im Land soll das „Ferkelbuch“ als Exempel dienen, dem erwachenden Selbstbewusstsein konfessionsfreier Menschen mit einer Kampagne zu begegnen.
Das nimmt derzeit in einigen Medien Formen einer Erweckungskampagne gegen Aufklärung, Atheismus und Humanismus an. Dabei spielt immer weniger das Büchlein selbst eine Rolle. Die Debatte nimmt insgesamt einen „merkwürdigen Verlauf und ist deshalb ein besserer Gegenstand der Analyse als das Buch selbst“, schrieb gestern Lorenz Jäger in der FAZ. Die Öffentlichkeit erlebt einen „Kulturkampf“.
Aus dem „Humanistischen Verband“ liegt nun ein Zwischenruf des Bundesvorsitzenden, Dr. Horst Groschopp, vor.
hpd: Die Debatte dauert seit einer Woche an. Warum äußert sich der HVD erst jetzt?
Horst Groschopp: Wir wurden durchaus überrascht von den Aktionen des Bundesfamilienministeriums, aber auch von den Reaktionen der Betroffenen, obwohl diese selbst „eine solche Kampagne erwartet“ hatten. Ich selbst hatte das Ministerium für klüger eingeschätzt, gefeit gegen kleine Ferkel, die nun plötzlich zu großen Elefanten werden.
hpd: Gab es auch andere Gründe?
Horst Groschopp: Zum einen ist der HVD demokratisch aufgebaut. Da dauert jede Kommunikation ihre Zeit. Wichtiger aber war die Verbundenheit mit den ministeriell Angegriffenen. Wir sind doch in den Augen der Konservativen mit ihnen im gleichen Topf. Das „Pro-Medienmagazin“ schrieb unmissverständlich: „Aber der missionarische Eifer, mit dem die 'Humanisten' ihren Kampf gegen den Glauben führen, wächst von Tag zu Tag.“
hpd: Gab es neben der Solidarität auch Kritik innerhalb des HVD?
Horst Groschopp: Wir sind für kritische Solidarität. Die Kritik aus dem HVD betrifft vor allem die radikale Art der Religionskritik, die auch von uns viele vor den Kopf stößt, eingeschlossen besonders die Darstellung des Rabbi in diesem Buch, aber auch die beanspruchte Rolle für das Werk im Humanismus unserer Zeit.
Wir unterscheiden aber die Kritik des Buches und seiner öffentlichen Präsentation von der Frage der Indizierung und deren Begründung. Das Bundesfamilienministerium möchte bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien das Kinderbuch als jugendgefährdende Schrift einstufen und indizieren.
In dieser Doppelsituation müssen diejenigen, die sich wie wir für Konfessionsfreie engagieren, unterschiedliche Stimmen und Töne zum Vorgang identifizieren können.
hpd: Wie stehen Sie selbst zum „Ferkelbuch“?
Horst Groschopp: Bei so etwas geht es immer auch um persönliche Geschmacksfragen. Ich halte das Buch eher für eines, über das mit Erwachsenen zu diskutieren ist, wie man Kindern sich in diesen Fragen nähert. Mir als Gottlosem geht die Penetranz auf die Nerven, mit der anderen Gott ausgetrieben werden soll. Die Religionsvertreter sind alle irgendwie dümmlich und sehen auch noch ziemlich böse aus, weil sie übergroße Gebisse haben, sicher um das Ferkel zu essen.
Die Juden sind für die Sintflut zuständig, die auch auf Gottes Befehl die Meerschweinchen massakrierte, die Christen pflegen das Blutopfer und die Moslems haben einen Sauberkeitsfimmel, das geht ja noch. Sicher ist das Buch ein Beitrag zum „neuen Atheismus“. Es ist mir aber unklar, welche Altersgruppe eigentlich angesprochen werden soll.
hpd: Was halten Sie vom Vorwurf des „Antisemitismus“ gegen das „Ferkelbuch“?
Horst Groschopp: Meine Haltung ist hier nicht von Belang. Ich bin kein direkt Betroffener. Deshalb plädiere ich für die Unterscheidung von berechtigter und erforderlicher Kritik an jeder Welt- oder Sektenreligion, auch in karikierender oder sonst wie übertreibender Form. Ich habe allerdings das absolute Verbot jeden Antisemitismus zu sehen.
hpd: Was heißt das konkret?
Horst Groschopp: Zum Vorwurf des „Antisemitismus“ sollten sich vor allem direkt Betroffene äußern. Deshalb warten wir, wie sich der „Zentralrat der Juden in Deutschland“ hier positioniert. Dass von dort keine Schnellschüsse kommen, zeigt, dass gründlich überlegt wird, denn „Antijudaismus ist nicht Antisemitismus“, wie die ZEIT von gestern schrieb.
Die Presseerklärung des Zentralrates, ihres Generalsekretärs Stephan Kramer, halte ich noch nicht für die Position der Gremien. Bestätigt wird darin lediglich die der „taz“ am 1. Februar gegebene Formulierung. Auf eine ausufernde Meinungsfreiheit bezogen wird festgestellt: „Der Meinung, das Buch sei antisemitisch, kann man so [!] nicht folgen.“
hpd: Meinen Sie, dass das endgültige Urteil des Zentralrates vor der Verhandlung in der Bundesprüfstelle am 6. März öffentlich wird?
Horst Groschopp: Ich hoffe zunächst, der Tenor hat Bestand. Aber noch liegt kein „Freispruch“ vor, zumal sich der Rabbiner Henry Brandt, der den Zentralrat nach meinen Informationen in der Bundesprüfstelle vertritt, noch nicht geäußert hat. Er ist der jüdische Vorsitzende des „Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit“. Er ist Mitglied des Vorstandes der „Buber-Rosenzweig-Stiftung“ und außerdem ist er ein langjähriges Mitglied im Gesprächskreis „Christen und Juden“ beim „Zentralkomitee der deutschen Katholiken.“ Er ist ein erfahrender, abwägender Mann.
Gewiss, auch der Zentralrat kann nicht für alle Juden sprechen, aber er besitzt in den Augen des HVD unbestreitbar eine Autorität.
Leider gibt es bisher keinen Gesprächskreis „Humanisten und Juden“.
hpd: Es gibt die Meinung, antisemitische Stereotype würden nur auf diejenigen wirken, die sie noch im Kopf hätten.
Horst Groschopp: Michael Schmidt-Salomon sieht das unglücklicherweise auch so und schreibt in seinem darauf bezogenen Kommentar:
„Übrigens ist das Ganze ein reines Erwachsenenproblem: Heutige Kinder haben diese alten Stereotype nicht mehr im Kopf, Mensch sei Dank!“ Damit werden viele Fragen umgangen. Zu denen zähle ich, aus Gründen der Geschichtskultur und der Toleranzbildung ist das unbedingt zu beachten, dass es solche Stereotype unabhängig von denen gibt, die sie nicht zu benutzen meinen.
Stereotype werden öffentlich bedient (auch völlig unbeabsichtigt). Sie sind eingebunden in Mechanismen, in denen das „kulturelle Gedächtnis“ und Erinnerungszeichen funktionieren, die auch auf die Sozialisation von Kindern einwirken. Man kann hier als Erwachsener, als Pädagoge schon gar nicht, die Augen zumachen oder einfach mal so neu anfangen oder naiv sagen, meine physiognomischen Hervorhebungen sollen den Rabbi zwar als solchen kenntlich machen, aber ein Stereotyp bediene ich nicht, weil ich lauteren Charakters bin.
hpd: Kommen wir zurück auf den Indizierungsantrag. Was halten Sie von der Unabhängigkeit der Bundesprüfstelle?
Horst Groschopp: Die Bundesprüfstelle setzt sich dem Verdacht aus, einseitig zu urteilen. Ich hege Zweifel an deren tatsächlicher Unabhängigkeit, wenn – wie in diesem Fall – religiös-weltanschauliche Pluralität gefordert ist. Wir im HVD sehen deshalb eine politische Forderung darin, im 12er-Gremium den bzw. die Beisitzer für „Kirchen, jüdische Kultusgemeinden und andere Religionsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind“, künftig durch eine Person zu ergänzen, die dem organisierten Humanismus nahe steht. Landesverbände des HVD haben in mehreren Bundesländern ebenfalls den Status einer KdÖR.
Im konkreten Fall würde die Bestellung eines Sachverständigen aus dem humanistischen Spektrum durchaus nützlich sein.
hpd: Die öffentliche Reaktion von Atheisten und Humanisten auf den Indizierungsantrag ist enorm. Sie findet wesentlich als Streit für Meinungsfreiheit statt. Wie sehen sie das?
Horst Groschopp: Die Bundesprüfstelle verbietet keine Bücher, sie indiziert „Jugendgefährdung“, stellt also fest, ob dieses oder jene Medium für Kinder und Jugendliche geeignet ist und öffentlich verkauft werden darf oder nur als „Bückware“, wie jeder Porno auch, vertrieben werden muss.
Die Frage an den HVD ist diejenige, ob er meint, das „Ferkelbuch“ ist für Kinder geeignet. Das ist für mich eine ethische und pädagogische Frage, keine zuerst der allgemeinen Meinungsfreiheit. Es ist eine Frage der religiösen oder nichtreligiösen Erziehung von Kindern, inklusive des Einsatzes von Medien in öffentlichen Bibliotheken und staatlichen Schulen und im Lebenskundeunterricht, wo wir uns klar gegen das „Ferkelbuch“ entschieden haben.
Das Problematische an dem Vorgang ist doch, dass es sehr wohl um ein Buch für Kinder geht, aber eben eingebettet in einen konservativen Generalangriff auf bekennende Nichtreligiöse.
Wir haben nicht vergessen, dass das „Bündnis für Erziehung“ von Familienministerin Ursula von der Leyen als kirchennahe Inszenierung begann. Der Antrag ist in meinen Augen gedacht als Probe, wie weit die öffentliche Akzeptanz reicht, gegen diese Ungläubigen vorzugehen, die immer mehr werden.
hpd: Was sagen Sie zur Jugendgefährdung?
Horst Groschopp: Für die religiöse oder nichtreligiöse Erziehung sind immer noch die Erziehungsberechtigten zuständig, in aller Regel die Eltern. Sie entscheiden, was für ihr Kind gut oder schlecht ist. Die brauchen gerade dafür keine Bundesprüfstelle. Und ich glaube nicht, dass Kinder in Massen in die öffentlichen Bibliotheken strömen werden, um sich dort das „Ferkelbuch“ auszuleihen – abgesehen davon, dass jetzt jeder Bibliothekar in Bayern oder sonst wo weiß, dass die Kirche gesagt hat, dass das schädlich ist.
hpd: In vielen Presseartikeln ist von „atheistischer Indoktrination“ die Rede. Was sagen Sie dazu?
Horst Groschopp: Wer Religionsunterricht veranstaltet und hier Noten vergibt, sollte über Indoktrination schweigen. Der Vorwurf der „Indoktrination“ sollte produktiv aufgegriffen und nicht nur an Kinderbüchern durchdekliniert werden. Das Problem hat viele Dimensionen. Es geht dabei auch um das Schulwesen in einigen Bundesländern, in denen unmündige Kinder in „Ehrfurcht vor Gott“ zu erziehen sind.
Das „Ferkelbuch“ provoziert durchaus eine Reihe notwendiger Diskussionen, z.B. über religiöse und humanistische Erziehung. Ist nicht endlich die Frage auch politisch aufzuwerfen, wann, wo und wie Kinder etwas über Atheismus und Humanismus lernen können – und zwar authentisch?
hpd: Deshalb will der HVD ein eigenes Kinderbuch produzieren?
Horst Groschopp: Der Mangel daran ist unübersehbar. „Dawkins for Kids“ in der vorliegenden, deutlich karikierenden Form befriedigt durchaus Bedürfnisse – sonst würde das Buch nicht in voller Freiheit gekauft werden.
Die Frage ist doch aber, welche kindgemäße Literatur konfessionsfreie Menschen überhaupt vorfinden, die sie darin unterstützt, ihre Kinder religionskritisch oder religionsfrei zu erziehen. Das bleibt das gute Recht dieser Eltern, trotz Verteufelungen dieses Bedürfnisses.
hpd: Wie sehen denn Erziehungswissenschaftler das „Ferkelbuch“?
Horst Groschopp: Da hat die Diskussion gerade erst begonnen, vermute ich. Hoffentlich wird die Bundesprüfstelle Kinder- und Jugendforscher befragen, z.B. den Leiter des Instituts für Jugendbuchforschung an der Frankfurter Universität, Hans Heino-Ewers. Dieser meinte am 1. Februar in der „taz“:
„So eine Verspottung der Religionen muss eine liberale Gesellschaft akzeptieren.“ Die Darstellung des Rabbis sei zwar eine „historische Geschmacklosigkeit sondergleichen“, weil sie ihn „dämonisiere“. Doch der Antrag des Familienministeriums gehe weit über den Antisemitismusvorwurf hinaus: „Das Ministerium meint, dass man Religionen nicht lächerlich machen darf. Das ist ein Einbruch, eine Unterminierung liberalen Denkens.“
hpd: Möchten Sie eine Prognose wagen, wie der Streit um das „Ferkelbuch“ ausgeht?
Horst Groschopp: Prognosen sind immer schwierig. Die Entscheidungen der Bundesprüfstelle sind Verwaltungsakte. Gegen die Entscheidungen des 12er-Gremiums ist der Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten eröffnet bis hin zur Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht und darüber hinaus in europäische Gerichte hinein. Erst dann wird die Sache rechtswirksam ... das dauert. Das wird die Bundesprüfstelle bedenken. Ansonsten setze ich auf Vernunft und Gelassenheit.
hpd: Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview im Auftrag des hpd führte Judith Huber.