Mit großer Mehrheit haben das australische Parlament und der Senat ein Gesetz verabschiedet, das Jugendlichen unter 16 Jahren verbietet Soziale Netzwerke zu nutzen. Ist das nun eine Erlösung, ein interessanter Modellversuch – oder eine populistische Scheinlösung, die letztlich scheitern wird?
Das Anliegen ist nachvollziehbar: Überall auf der Welt kann man beobachten, dass Jugendliche ein auffälliges und möglicherweise ungesundes Verhalten zeigen, wenn sie viel in sozialen Netzwerken unterwegs sind. Die einschlägig optimierten Streams und Postings stimulieren unser Gehirn auf eine Weise, der sich Jugendliche wie Erwachsene oft mehr oder weniger bewusst ausgeliefert sehen. Dass wir nach eigenem Empfinden zu viel Zeit im Internet verdaddeln, statt zu schlafen, an die Luft zu gehen oder miteinander zu sprechen, ist ein Allgemeinplatz geworden. Und manchmal versuchen Eltern an ihren Kindern gut zu machen, was sie selbst kaum den Griff bekommen.
Entwicklungspsychologen schlagen Alarm1, weil die überwältigende Dauerberieselung und soziale Stressfaktoren durch Social Media dem Welt- und Selbstbild unserer Jüngsten zu schaffen machen. „Je später das losgeht, desto besser“, scheint eine verbreitete Maxime zu sein. Und doch – wie soll man gutes oder tolerierbares Internet-Verhalten von pathologischem trennen? Da liegt es doch nahe, einfach mal radikal durchzugreifen. Entsprechend fallen viele Reaktionen auf den australischen Vorstoß erstmal positiv aus. Drei Viertel der australischen Bevölkerung stehen jedenfalls dahinter.
Definiere "Social Media"
Dabei ist es gar nicht so einfach zu definieren, wo Soziale Netzwerke anfangen und aufhören, um ein solches Gesetz sauber auf dem Weg zu bringen. Sie mit "TikTok, Insta und Co." abzukürzen mag umgangssprachlich angehen, aber juristisch belastbar sind ihre Reichweiten oder Eigenschaften schwer zu umreißen. Schon Onlinespiele haben Chat-Funktionen, Chatgruppen auf Telegram können zu wirkmächtigen Kanälen heranwachsen. Es ist wahrscheinlich, dass 12-Jährige einfach auf andere Möglichkeiten ausweichen, um miteinander zu kommunizieren. Der Gesetzgeber wird ständig nachjustieren müssen, welche Plattformen in Zukunft wie reguliert werden müssen – und dabei meist der Wirklichkeit hinterherhinken.
Gleichzeitig ist eine wichtige Realität in vielen Netzwerken, dass man sich nicht mit seinem echten Klarnamen anmelden muss um z. B. seine Meinung zu etwas zu veröffentlichen. Wenn man sich künftig ausweisen müsste, um einen Account anzulegen, wäre das ein Problem. In den meisten Ländern steht die Meinungsfreiheit unter Druck. In Umfragen bejaht über die Hälfte der Deutschen dies sogar für ihr eigenes Land. In jedem Fall würde hier eine Pforte geöffnet, die sich selbstverständlich global auswirkt. Für die Registrierung ein privacy-freundliches Verfahren einzusetzen, würde die Politik den Plattformen kaum auferlegen. Die Klarnamenpflicht steht schon lange auf der Wunschliste vieler Innenministerien. What could possibly go wrong?
Ist den Jugendlichen geholfen?
Fragt man die Betroffenen, so stößt man natürlich auf wenig Gegenliebe. Junge Menschen können sich kaum noch vorstellen, wie sie miteinander kommunizieren könnten, ohne die beliebten technischen Hilfsmittel zu Hand zu haben. Ähnliche Erfahrungen konnte ich mit manchen Erwachsenen machen, die ich versucht habe auf Signal als Alternative zu WhatsApp einzuladen. Schon das Fehlen kleinster und neuester Funktionen wurde damit quittiert, dass man diese App ja nun eigentlich gar nicht benutzen könnte.
Der Gedanke, dass kindliche Gehirne formbarer sind und unter den Belastungen einer unausgegorenen Digitalisierung besonders zu leiden haben, ist naheliegend. Aber seien wir ehrlich: Letztendlich haben wir alle ein Problem mit der Überwältigung durch Social Media, egal in welchem Alter wir gerade sind. Die Anfälligkeit für Desinformation, Internetsucht oder einfach lästige Online-Angewohnheiten sind überall mit Händen zu greifen. Bei Jugendlichen sehen wir uns in der Verantwortung, gestaltend einzugreifen, notfalls rabiat, wenn man sich dadurch lange Diskussionen und ein schlechtes Gewissen ersparen kann.
Teilhabe versus Abrüstung
Natürlich ist auch das Recht auf digitale Teilhabe berührt, auf das die Netzpolitik seit jeher pocht und das im deutschen Bildungswesen noch immer stiefmütterlich behandelt wird. Damit sind ja nicht nur bildungsferne Milieus gemeint, sondern auch Jugendliche, die im täglichen Umgang mit ihren Medien an der Gesellschaft teilhaben sollen. Dass die Medienkompetenz in der nachwachsenden Generation neuerdings rückläufig ist, ist allerdings ein Alarmzeichen. Social Media und Medienkompetenz müssen allgemeiner Bestandteil des Unterrichts werden und bleiben.
Allerdings: Vergleichbar mit Schuluniformen könnte mit einer gesetzlichen Altersbeschränkung eine gewisse Gleichheit hergestellt werden. Jugendliche würden nach dieser Lesart weniger unter Druck stehen, in sozialen Netzwerken möglichst früh mitzumischen, wenn andere Kinder in ihrer Altersgruppe diese ebenfalls noch nicht nutzen dürften. Eine gesetzliche Regelung schafft hier im besten Fall einen Impuls, die Kommunikationskultur zu verändern, vielleicht einen Zahn zurück zu drehen ins analoge. Aber hat so etwas jemals in der Geschichte funktioniert?
Kampf der Narrative
Dass die mächtigen Social-Media-Konzerne von dieser Form des Jugendschutzes nicht gerade begeistert sind, kann man sich denken – entsprechend werden für und über diese mächtigen Kanäle Argumente aufgefahren. Alpha, Meta Bytedance, X & Co. geben Unsummen für Lobbyismus aus und für Zuckerberg oder Musk dürfte es ein Leichtes sein, ihre Fans gegen weitere Vorstöße dieser Art auf die Barrikaden zu Bringen. Der Widerstreit zwischen mächtigen algorithmischen Meinungsmaschinen dieser Art einerseits und den Primat der Politik andererseits wird uns in den nächsten Jahren noch massiv beschäftigen.
Wird man in Zukunft überhaupt noch Politik gegen Social Media durchsetzen können, die auf Populismus und Krawall hin programmiert sind? Davon wird viel abhängen und zumindest die EU wirkt für weitere fünf Jahre entschlossen, in den essenziellen Punkten nicht klein beizugeben.
Wechselspiel aus Überwältigung und Immunisierung
Mit dem Auftauchen noch jedes neuen Mediums seit dem Buchdruck konnten wir beobachten, dass wir aus einer Phase der Überwältigung heraus eine Resilienz entwickeln müssen. Das braucht seine Zeit. Viele Indikatoren sprechen dafür, dass wir bei der heutigen Schlagzahl an Neuerungen und Disruptionen nicht mehr hinterher kommen mit der Immunisierung. Ähnlich wie bei der Cannabis-Legalisierung ist es zumindest interessant, wenn ein Land etwas einfach mal ausprobiert und die anderen davon lernen können – selbst wenn das australische Gesetz grundsätzliche Mängel aufweist und in der EU nicht konsensfähig wäre.
Derweil können wir aber nicht die Hände in den Schoß legen, wenn es bei uns keine Regulierung in dieser Richtung gibt. Wir sind persönlich gefordert, mit Jugendlichen zu beobachten, wie sie auf die Nachrichten und Streams reagieren. Ihre Zeiten einzuschränken und auch Unmut hinzunehmen, der unweigerlich kommt, wenn die kleinen Glücksmomente und Bestätigungen aussetzen. Und wir sollten uns klarmachen, dass auch wir Erwachsenen überhaupt nicht souverän sind, was den Umgang mit neuen Medien angeht.
Effektiver wäre ein anderer Hebel: Sanktionen gegen Geschäftsmodelle, die unsere Gesellschaften zusehends polarisieren, radikalisieren, an Plattformen fesseln und geistig abstumpfen statt bereichern. Doch damit betreten wir ein heikles Terrain, weil es um diffuse Faktoren und Effekte geht, um geheime oder kaum verstandene Algorithmen, um Manipulationen und Meinungsfreiheit, um Faszination, Screentime und Werbeeinnahmen.
Souveränität vs. Regulierung
Letztlich ist unser Menschenbild gefragt: Sind unsere greifbaren Probleme letztlich nur individuell zu lösen? Beharren wir empört darauf, dass wir souverän in unseren Entscheidungen sind und schließlich am besten wissen was gut für uns ist? Oder akzeptieren wir, als Jugendliche, als Erwachsene, dass es Dinge gibt, gegen die wir uns schlecht wehren können – und lassen uns mit Gesetzen schützen? Wie beim Alkohol, bei Drogen und Medikamenten, bei Prostitution oder Pornografie, bei Gurtpflicht und Geschwindigkeitsbegrenzungen oder bei ungesunden Lebensmitteln. Auf diese im Grunde ganz ähnlichen Fragen gibt es individuell und je nach Thema sehr unterschiedliche Antworten.
- "In den letzten zehn Jahren sind die psychische Belastung und die Behandlung psychischer Erkrankungen bei Jugendlichen in Nordamerika parallel zu einem steilen Anstieg der Nutzung von Smartphones und sozialen Medien durch Kinder und Jugendliche angestiegen. Die Forschung zeigt einen Zusammenhang zwischen der Nutzung sozialer Medien durch junge Menschen und der Zunahme von psychischen Problemen, selbstverletzendem Verhalten und Suizidalität unter Jugendlichen. Ein Online-Monitoring-Unternehmen, das die Aktivitäten von 5,4 Millionen Kindern verfolgte, stellte fest, dass Instagram häufig für Selbstmordgedanken, Depressionen und mit dem eigenen Körperbild verbundene Probleme verantwortlich gemacht wurde."
Aus einem offenen Brief der Justizministerinnen und Justizminister aus 44 US-Staaten an Mark Zuckerberg vom Mai 2021 ↩
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Kommentare
Rainer Wuschansky am Permanenter Link
So gut das Gesetz auch gemeint sein mag, durchsetzen wird es sich nicht. Wie will man verhindern, dass es übertreten wird?