AUGSBURG. (bfg) Am Freitag, den 8. Februar 2008, fand die Verleihung des Ludwig-Feuerbach-Preises statt. Dieser Preis wird alle drei Jahre
vom Bund für Geistesfreiheit Augsburg an Persönlichkeiten verliehen, die sich besonders um die freigeistige Kultur verdient gemacht haben. In diesem Jahr war der Rechtsphilosoph Prof. Dr. Dr. Norbert Hoerster der Preisträger. Er ist der Dritte, der nach Karlheinz Deschner im Jahre 2001 und Prof. Franz Buggle 2004 diesen Preis erhielt.
Im fast voll besetzten Musiksaal des Zeughauses begrüßte der Vorsitzende Dietmar Michalke die Gäste. Als Ehrengäste kamen Repräsentanten befreundeter Verbände und anderer Ortsgruppen des bfg wie Dr. Kurt Schobert von der DGHS, Helmut Fink vom HVD Nürnberg, Rainer Statz und Dr. Heinrich Klussmann vom bfg München sowie Rainer Lüttich, Rainer Hamp und Kai Krause vom bfg Neuburg/Ingolstadt. Die Augsburger Allgemeine Zeitung schickte ihren Feuilleton-Redakteur. Wie auch schon bei den Preisverleihungen davor entsandte die Stadt Augsburg keinen Vertreter, obwohl das sonst bei kulturellen Ereignissen dieses Ranges üblich ist.
In einem Grußwort wies Dr. Schobert auf die engen Verbindungen zwischen DGHS und dem bfg hin. An der Gründung der DGHS waren viele bfg-Mitglieder maßgeblich beteiligt. Auch der Preisträger, Prof. Hoerster, habe mit seinen medizin-ethischen Arbeiten sehr die Anliegen der DGHS gefördert und sei auch aus DGHS-Sicht eine sehr gute Wahl. Helmut Fink überbrachte die Grüße des HVD Nürnberg sowie die der Landesvorsitzenden Susanne Jahn. Sowohl der Preisträger, Prof. Hoerster, als auch der Namensgeber des Preises, Ludwig Feuerbach, seien Persönlichkeiten, deren Gedankengut den HVD und bfg verbinden.
Dietmar Michalke überbrachte noch die Grüße des Präsidenten des DFW, Dr. Volker Müller, sowie des stellv. Landesvorsitzenden der Freidenker in Bayern, André Schinck.
Umfangreiche Arbeiten auf dem Gebiet der Religionskritik und Bioethik
Zur Preisbegründung wies Dietmar Michalke auf Prof. Hoersters umfangreiche Arbeiten auf dem Gebiet der Religionskritik und Bioethik hin. Mit Werken wie den Aufsatz „Unlösbarkeit des Theodizee-Problems" und das Buch „Die Frage nach Gott" erreiche Hoerster auch viele Leser ohne philosophische Vorkenntnisse. In den Naturwissenschaften sei die Populärwissenschaft eine hochgeachtete Disziplin, die von den angesehensten Vertretern ihres Faches, nicht selten Nobelpreisträger, wahrgenommen wird. Im Bereich der Philosophie ist es Prof. Hoerster, der diese verdienstvolle Rolle brillant ausfüllt.
Mit seinen bio- und medizin-ethischen Arbeiten trug Hoerster sehr zur Versachlichung der Debatten um Embryonen-Schutz, Sterbehilfe oder Präimplantations-Diagnostik bei. Allerdings machte er damit den Kirchen ihre „Spielwiese" streitig. Diese betrachten Ethik und Werte als ihr Monopol und rechtfertigen damit die hohen materiellen Privilegien, die der Staat ihnen gewährt. Prof. Hoerster bekam daher mächtigen Gegenwind zu spüren. Damit befand er sich in guter Gesellschaft bedeutender Denker seit der Antike: Epikur, Montesquieus, Feuerbach oder heute Dawkins wurden diffamiert und ihre Werke teilweise verboten. Seit einigen Tagen ist diese Liste um eine Person länger geworden. Gegen das Kinderbuch „Wo bitte geht es zu Gott, fragte das kleine Ferkel" von Michael Schmidt-Salomon initiierte die Familienministerin von der Leyen einen Indizierungsantrag.
Im Falle von Prof. Hoerster wurden Studenten der Universitäten Dortmund und Mainz instrumentalisiert. Er wurde ausgepfiffen, seine Vorlesungen gestört und mit unflätigen Telefon-Anrufen malträtiert. Er beugte sich nicht den Angriffen, sondern kehrte der Universität den Rücken. Der bfg sei überzeugt, dass Prof. Hoersters Arbeiten durch diese Ächtungen nicht in Vergessenheit geraten, nicht in der Bevölkerung und innerhalb des bfg schon gar nicht.
Nach der Preisbegründung und jeder der noch folgenden Reden gab es klassische Musikdarbietungen des Konzertpianisten Martin Münch. Dieser Musiker, der schon Konzerte auf verschiedenen Kontinenten gab, spielte Stücke, die sich der ebenfalls musikbegeisterte Prof. Hoerster gewünscht hatte: Werke von Rachmaninow, Skrjabin, Chopin und Debussy. Münch bestach durch eine besondere Virtuosität und Ausdrucksstärke. All die teilweise sehr komplizierten Stücke spielte er auswendig - seinem Grundsatz folgend, dass er nur Stücke aufführt, die ihm in solchem Maße vertraut sind.
Der stellvertretende Vorsitzende des bfg Augsburg, Gerhard Rampp, referierte über die Bedeutung, die Ludwig Feuerbach für Augsburg und Bayern habe. Für den Schulunterricht stelle Feuerbach ein wichtiges Thema dar, mehr noch im Religionsunterricht als im Ethikunterricht, aber auch als bedeutender Literat im Deutschunterricht. Die Augsburger Allgemeine habe im 19. Jahrhundert schon solche Querdenker wie Feuerbach zu freien oder festen Mitarbeitern gehabt, etwa den Verfasser des Buches „Der Pfaffenspiegel" Otto von Corvin. Die besondere Beziehung Ludwig Feuerbach zu Augsburg bestünde aber darin, dass das immer noch recht einseitig klerikale Augsburg Feuerbach besonders nötig habe.
Prägnanz und Knappheit in den Formulierungen
Der Laudator, Prof. Dr. Franz-Josef Wetz, begeisterte das Publikum durch eine Rede, die gleichermaßen launig und humorvoll wie auch tiefgründig und kenntnisreich war. An der Pädagogischen Hochschule von Schwäbisch-Gmünd, wo Wetz lehrt, führte er einmal ein Semester-Seminar durch, das Hoersters Arbeiten zum Gegenstand hatte. Hoerster und Wetz kennen sich persönlich, weil sie gemeinsam Rundfunksendungen produzierten. Prof. Wetz hob Hoersters besondere Eigenschaften hervor: Prägnanz und Knappheit in den Formulierungen, misstrauisch gegen blumige, aufgeblähte Worthülsen, unnachgiebige Ablehnung von Kompromissen auf Kosten der logischen Konsistenz, sicher im Aufspüren ideologischer Vorurteile und Prämissen in Denkgebäuden und von einer besonderen Gabe, Gedanken zuende zu denken.
Was es bedeutet, etwas zuende zu denken, illustrierte Prof. Wetz an einer Begebenheit, die dem Dichter Friedrich Hebbel passierte. Eine Dame, die ihn sehr verehrte, überraschte ihn mit einem Heiratsantrag. Auf den Einwand Hebbels, sie sei doch bereits verheiratet, antwortete diese: „Nur ein Wort von Ihnen, und ich bin morgen schon Witwe." Hebbel dachte nun diese Situation zuende und antwortete: „ Wenn es Ihnen so leicht fällt, sich Ihres Gatten kaltblütig zu entledigen, dann dürfte ich wohl sehr bald das nächste Opfer sein. Denn ich habe auch noch andere Aufgaben im Leben vor, als nur verheiratet zu sein." Hebbel lehnte den Antrag ab.
Prof. Wetz vertrat die Ansicht, dass sich Religionskritik eigentlich erübrigt habe. Es gäbe nichts mehr am Christentum, das noch widerlegt werden müsse. Die meisten Menschen hätten sich nicht nur vom Glauben verabschiedet, sondern sie hätten sich sogar vom „Abschied verabschiedet" und wüssten gar nicht, dass sie Atheisten seien. Wenn Prof. Hoerster sich so intensiv mit Religionskritik beschäftige, dann deute das wohl auf eine heimliche Beziehung zur Religion hin. Dass seine diesbezüglichen Arbeiten dennoch für Beachtung sorgten, läge wohl daran, dass er in einem besonderen Bundesland, nämlich Bayern, lebe, in dem Religionskritik nach wie vor noch halbwegs für Aufregung sorge: „Aber machen Sie das mal in Schleswig-Holstein!"
„Willst du Gutes tun, dann tue es für den Menschen"
Dann wurde Prof. Hoerster der Feuerbachpreis vom Vorstand des bfg Augsburg übergeben. Michalke wies auf den Sinnspruch Feuerbachs auf der Medaille hin: „Willst du Gutes tun, dann tue es für den Menschen". Mit diesem Zitat wollte Feuerbach ausdrücken, dass man es nicht für ein höheres Wesen tun solle. Das Handeln im Namen eines Gottes habe sich nur allzu oft gegen die Menschen gerichtet, wie Feuerbach immer wieder warnte. Zum Wohle des Menschen wirkte auch der Preisträger Prof. Hoerster, als er eine säkulare Ethik für den Menschen unter Verzicht auf metaphysische Annahmen schuf. „Damit treffen sich in optimaler Weise die Absichten des Preisstifters mit dem Wirken des diesjährigen Preisträgers", so Michalke.
Prof. Hoerster bedankte sich in seiner Rede für die Ehrung. Was die „entlarvenden" Analysen seiner Person durch Prof. Wetz angeht, so machte er gar nicht erst den Versuch, diese zu entkräften: „Alles, was Sie über mich gesagt haben, ist richtig!", so Hoerster. Er ging dann auf das Wesen seiner Bio- und Medizin-Ethik ein. Uneingeschränkter Konsens herrsche in unserer Gesellschaft, dass das Leben von Menschen geschützt werden müsse. Uneinigkeit, ja leidenschaftliche Kontroverse, entstünde jedoch, wenn man über die Grenzbereiche am Anfang und am Ende eines Menschenlebens nachdenke. Die Diskussionen werden erschwert durch religiöse Prämissen, die die Kirchen auf die Gesetzgebung und damit auf die gesamte Bevölkerung übertragen wolle. Heute ist die Kirche in den Fragen des Embryonenschutzes noch restriktiver als im Mittelalter. Der Kirchenlehrer Thomas von Aquin ging noch davon aus, dass der Fötus erst spät die göttliche Seele empfängt: „Der männliche Fötus wird nach 40 Tagen ein Mensch, der weibliche erst nach 80 Tagen."
Das Überlebens-Interesse muss geschützt werden
Heute geht die Kirche davon aus, dass bereits mit der Vereinigung von Ei und Sperma ein Mensch entstanden ist. Das führe zu seltsamen Widersprüchen in der Gesetzgebung, etwa, wenn man einerseits die Präimplantations-Diagnostik ablehne, andererseits aber die Spirale akzeptiere. Der Begriff „Menschenwürde" sei in Bezug auf Ethik nicht hilfreich, da sich aus ihm keine Anleitungen zum Handeln ableiten ließen. Er sei dafür viel zur schwammig. Hoerster setzt auf den Begriff des Überlebens-Interesses. Erst ein Wesen mit den intellektuellen Fähigkeiten, sich die Zukunft vorzustellen, könne ein Überlebens-Interesse entwickeln, das zu schützen ist. Das gelte weder für den Embryo noch für das Tier, was jedoch nicht heiße, dass man nach Belieben mit diesen Wesen umgehen dürfe. Hoerster gab einige Zitate von populistischen Politikern wieder, die seine Haltung zum Embryonenschutz oder zur Sterbehilfe mit der Euthanasie der Nazis gleichsetzten. Solche Böswilligkeiten verschweigen jedoch den entscheidenden Unterschied. Bei der Euthanasie werde dem Betroffenen der Tod aufgezwungen. Bei der Sterbehilfe handele es sich hingegen um die freiwillige, reiflich überlegte Entscheidung einer Person, deren Krankheit irreversibel zu einem qualvollen Tode führe. Diese Vorraussetzung müsse von sachkundigen Ärzten sorgsam geprüft werden. Im Übrigen wies Hoerster die Behauptung zurück, er befürworte die aktive Sterbehilfe. Vielmehr sei er lediglich für deren Straffreiheit. Die Gesetzgebung müsse so gestaltet werden, dass ein Kranker sich ebenso frei gegen die Sterbehilfe entscheiden könne wie dafür, sofern die genannten Voraussetzungen vorlägen.
Erster öffentlicher Musikauftritt
Nach dieser Rede folgte ein musikalischer Beitrag, der zeigte, dass Prof. Hoerster nicht nur auf dem Gebiet der Philosophie, sondern auch in der Musik ein Könner ist. Er spielte nämlich mit Martin Münch vierhändig das Werk Walzer, Opus 39 Nr. 15 von Johannes Brahms. Im Vorgespäch bekannte Prof. Hoerster, dass dieses sein erster öffentlicher Musikauftritt und er deshalb etwas aufgeregt sei. Michalke mutmaßte, dass das dann wohl der Anfang einer Musiklaufbahn werden könne. Denn wer einmal die Ovationen genossen hat, die das Publikum einem Musiker zuteil werden lässt, der könne nicht mehr davon lassen.
Die Festlichkeiten endeten bei Sekt und kleinen Leckerbissen im Foyer, dargereicht von den liebenswürdigen Gastgeberinnen des bfg Augsburg. Angeregte Gespräche zwischen Besuchern und Akteuren, zwischen Hobby- und Profi-Philosophen ergaben sich. Ein harter Kern von Diskutanten besuchte anschließend noch den nahe gelegenen „König von Flandern", wo bei geistigen Getränken noch lange freigeistige Diskussionen geführt wurden.
Dietmar Michalke