Geschlechtsdysphorie bei Kindern

Das Trans-Dilemma

teenager_trans.jpg

Die neue Richtlinie zur Behandlung von Geschlechtsdysphorie, mit Spannung erwartet, hält am Ansatz fest, Kinder in ihrem Gefühl, trans zu sein, zu unterstützen. Das ist gut gemeint. Aber entspricht es auch den wissenschaftlichen Erkenntnissen?

Wann hat ein Streit um eine so kleine Gruppe von Menschen in einer Gesellschaft schon einmal zu einem so erbitterten Konflikt geführt? Irgendwo um die ein Prozent liegt der Anteil von Transmenschen in der Bevölkerung. Und sie zu akzeptieren, wie sie sind, sollte eigentlich kein großes Problem sein. Doch ihr Kampf um Anerkennung hat sensible Fragen aufgeworfen. Etwa was eine Frau ausmacht, und was einen Mann. Ob Transfrauen – also biologische Männer – Zugang zu Bereichen haben sollten, die eigentlich Frauen vorbehalten sind. Die Frage, um die es hier geht, ist: Wie soll man mit Kindern und Jugendlichen umgehen, die ihre Körper verändern wollen, weil sie das Gefühl haben, dass er nicht ihrer sexuellen Identität entspricht. Es gibt jene, die ihnen eine Transition mittels geschlechtsverändernder Maßnahmen so früh es geht ermöglichen wollen. Und es gibt jene, die davor warnen, weil Kinder die Folgen noch nicht verstehen und die Transition später bereuen könnten. Beide Seiten gehen sich scharf an. Die einen sprechen von Transphobie, die anderen von Verantwortungslosigkeit und Kastration.

Deshalb wurden die neuen "Richtlinien zur Behandlung und Diagnostik von Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter" mit Spannung erwartet. Vor einigen Tagen wurden sie veröffentlicht. Und der Streit geht weiter.

Um die Leitlinie beurteilen zu können, muss man die jüngeren Entwicklungen rund um das Thema trans berücksichtigen. Die Sache ist ja schon deshalb extrem kompliziert, weil es in wichtigen Fragen völlig verschiedene Perspektiven auf Transsexualität gibt. Viele Menschen haben schon ein Problem mit der Idee, in einem biologisch männlichen Körper könnte eine Frau stecken und umgekehrt. Andere dagegen meinen, die körperlichen Eigenschaften seien überhaupt irrelevant.

Trans als biologische Realität

Biologisch gesehen gibt es zwei Geschlechter, definiert über die Größe der Fortpflanzungszellen, die Individuen produzieren (können): große (weibliche) oder kleine (männliche) Gameten. Über evolutionäre Prozesse haben sich davon ausgehend unterschiedliche körperliche und psychische Merkmale und Verhaltenstendenzen entwickelt. Zwar gibt es innerhalb der Geschlechter bei etlichen Merkmalen Spektren und die Ausprägung kann sich überschneiden. (Männer sind zum Beispiel im Schnitt größer als Frauen. Es gibt jedoch auch große Frauen und kleine Männer.) Das löst die Binarität im Fortpflanzungssystem aber nicht auf. Und fast zu hundert Prozent stimmt das biologische Geschlecht mit der Eigenwahrnehmung als Frau oder Mann überein.

Manche Menschen fühlen sich jedoch nicht ihrem biologischen Geschlecht zugehörig, sondern dem jeweils anderen (Geschlechtsinkongruenz). Sie beschreiben dies häufig als ein Gefangensein im falschen Körper, was zu großem Leidensdruck führen kann (Geschlechtsdysphorie). Unabhängig davon, ob man dieses Phänomen als Störung der Geschlechtsidentität bezeichnet, als psychische oder Persönlichkeitsstörung definiert oder einfach als Geschlechtsinkongruenz zur Kenntnis nimmt (wie es die WHO inzwischen tut): Es existiert und kann für sich genommen auch als weiterer Hinweis auf so etwas wie eine sexuelle Identität interpretiert werden.

Da sich Gefühle und Wahrnehmungen nicht vom organischen Gehirn trennen lassen, muss sich diese sexuelle Identität auch in den Hirnstrukturen widerspiegeln. Wie, ist noch weitgehend unklar. Angesichts der komplexen Abläufe bei der Entwicklung des Gehirns und des Geschlechts von Menschen kann man aber davon ausgehen, dass es hier zu Abweichungen kommen kann, die zu einer Geschlechtsinkongruenz führen. Das heißt: Wissenschaftlich betrachtet lässt sich eine Art sexuelle Identität akzeptieren, die nicht immer mit dem biologischen Geschlecht übereinstimmt.

Postmoderne Irrtümer

Ausgehend von der Queer-Theorie sind viele Menschen trotz aller naturwissenschaftlichen Erkenntnisse überzeugt, einzig das soziale Geschlecht (engl. Gender) oder die sexuelle Identität sei von Bedeutung. Unter Berufung auf postmoderne, poststrukturelle "Denker" wie Judith Butler wird behauptet, die Biologie spiele keine definierende Rolle: Geschlecht und sexuelle Identität hingen demnach vielmehr irgendwie mit gesellschaftlichen Machtstrukturen, Normen, Geschlechterrollen zusammen, und würden letztlich durch Handlungen bestimmt. Merkmale wie Penis oder Vagina wären dann keine eindeutigen Geschlechtsmerkmale mehr, sogar die Gameten wären irrelevant. Es soll gelten: Wer sich als Frau fühlt, ist eine Frau. Ein Transmann ist ein Mann. Zudem hat sich in diesen Kreisen die Idee entwickelt, es gäbe nicht nur zwei Geschlechter, sondern ein ganzes Spektrum.

Im größten Teil der Bevölkerung stoßen beide Behauptungen – die Biologie spielt keine Rolle und es gibt mehr als zwei Geschlechter – zurecht auf Ablehnung.

Gender-affirmative Behandlung

Viele Transmenschen wären froh, wenn sich die "falschen" Geschlechtsmerkmale in ihrer Pubertät gar nicht erst entwickelt hätten. Seit etlichen Jahren stehen Mittel zur Verfügung, die sie blockieren und Kindern einige Zeit geben sollen, festzustellen, ob tatsächlich eine bleibende Geschlechtsdysphorie vorliegt. Anschließend an die Pubertätsblocker können dann Hormone verabreicht werden, die die Entwicklung einer Reihe von "passenden" Geschlechtsmerkmalen fördern. Der Ansatz wurde in den 1990er Jahren an der Universitätsklinik Amsterdam entwickelt ("Dutch Protocol"). Er hat sich in vielen Ländern durchgesetzt. Ein wichtiges Prinzip ist, dass die Betroffenen in ihrer Selbstwahrnehmung bestätigt werden, um sie psychisch zu entlasten. Dieses "gender-affirmative" (geschlechtsbestätigende) Behandlungsmodell geht davon aus, dass bereits Kinder vor der Pubertät sehr sicher sind, ob sie dem jeweils anderen Geschlecht zugehören.

Das Modell ist in den vergangenen Jahren erheblich in die Kritik geraten, vor allem, weil immer mehr sogenannte "Detransitioner" – Menschen, die ihre Transition bedauern und gern rückgängig machen würden – an die Öffentlichkeit gegangen sind. Wie gut kann man sich also auf die Selbsteinschätzung von Kindern und Jugendlichen verlassen? Studien zeigen, dass von relativ vielen Kindern (etwa bis zu elf Prozent) gelegentlich der Wunsch zu hören ist, dem anderen Geschlecht zuzugehören, eine sehr kleine Zahl (etwa zwei Prozent) verspürt ihn sogar häufig. Bei den meisten verschwindet er bis zum Erwachsenenalter jedoch wieder. Und auch bei den wenigen, die sich anfänglich recht sicher sind, bleibt er nur bei etwa der Hälfte erhalten. Eine jüngere Studie zeigt: Sogar wenn eine Geschlechtsdysphorie diagnostiziert wurde, ist diese bei der Hälfte der Fälle nach fünf Jahren nicht mehr vorhanden. Allgemein lässt sich sagen: Bei den allermeisten Kindern mit entsprechenden Diagnosen oder Hinweisen auf eine Transsexualität verschwindet das Gefühl, im falschen Körper zu stecken, während der Pubertät.

Werden Kinder und Jugendliche konsequent mit dem gender-affirmativen Ansatz behandelt, besteht also das Risiko, dass sie in einem Gefühl bestätigt werden, das sonst vielleicht von selbst wieder verschwinden würde. Zwar zeigen die bislang vorliegenden Studien, dass Jugendliche, die Pubertätsblocker erhalten haben, danach mehrheitlich mit geschlechtsverändernder Hormonbehandlung weitermachten. In einer häufig zitierten niederländischen Studie von 2022 waren 98 Prozent der untersuchten Jugendlichen vier Jahre nach dem Beginn der Behandlung mit Blockern auf die geschlechtsangleichende Hormonbehandlung umgestiegen. Die Forscher warnen selbst jedoch davor, die Ergebnisse überzubewerten. Die Jugendlichen waren vor der Behandlung im Durchschnitt ein ganzes Jahr untersucht worden. Sonst wird bei Betroffenen, die eine Behandlung wünschen, meist erheblich schneller zu den Pubertätsblockern gegriffen. Zum anderen kann das Gefühl, dass die sexuelle Identität doch mit dem biologischen Geschlecht übereinstimmt, auch noch auftreten, wenn die Hormonbehandlung längst läuft oder noch später.

Zudem verfügen Kinder und Jugendliche kaum über die Reife, sich mit den Folgen der Behandlung auseinanderzusetzen: Es drohen Unfruchtbarkeit und der Verlust der Orgasmusfähigkeit. Zu den belegten Risiken der Blocker gehört zudem eine geringe Knochendichte. Diskutiert wird sogar eine Abnahme des IQ sowie ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und Thrombose. Und die Entfernung der weiblichen Brust, der Gebärmutter, des Penis' und der Hoden lassen sich nicht rückgängig machen. Die Probleme sind unter Medizinern länger bekannt, wie etwa geleakte Dokumente der einflussreichen World Professional Association for Transgender Health (WPATH) gezeigt haben. So wies etwa ein kanadischer Endokrinologe darauf hin, etliche seiner inzwischen erwachsenen Patienten bereuten es nun, unfruchtbar zu sein.

Ein Höhepunkt in der Diskussion um den gender-affirmativen Ansatz war 2020 der Prozess von Keira Bell, einer jungen Frau, die eine Transition durchlaufen hatte, gegen den britischen Gender Identity Development Service (GIDS). Wie sich herausstellte, hatte der GIDS in der Tavistock Klinik in London etliche Kinder und Jugendliche mit Geschlechtsdysphorie behandelt, aber Betroffene, deren Zahl zuletzt drastisch angestiegen war, nicht ausreichend oder sogar irreführend über die Folgen informiert. Das britische NHS, das Gesundheitssystem des Vereinigten Königreichs, beauftragte daraufhin die renommierte Kinderärztin Hilary Cass, die Arbeit des GIDS zu untersuchen. Dass der Dienst 2024 nach der Vorstellung des Cass-Zwischenberichts dichtgemacht wurde, spricht für sich.

Welche Rolle spielen psychische Störungen oder Homosexualität?

Zudem hatten Hilary Cass und ihr Team empfohlen, die Psyche der betroffenen Kinder und Jugendlichen zukünftig in speziellen Kliniken stärker zu berücksichtigen. Denn viele Betroffene kommen aus schwierigen Familienverhältnissen, zeigen Essstörungen, Depressionen, wurden missbraucht. In einer deutschen Studie von 2022 wurde bei etwa 75 Prozent eine Depression, eine Borderline-Störung, eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Zudem tritt Geschlechtsdysphorie auffällig häufig bei Menschen mit Autismus auf.

Manche sind offenbar auch irritiert durch die eigene homosexuelle Orientierung; es gibt Hinweise darauf, dass Geschlechtsinkongruenz im Kindesalter eher auf eine spätere Homosexualität hinweist als auf ein Geschlecht im falschen biologischen Körper.

Bei sehr vielen Betroffenen bestand vor der Geschlechtsdysphorie schon eine psychische Störung. Viele Detransitioner haben erst nach der Behandlung festgestellt, dass ihre Geschlechtsdysphorie die Neben- oder Folgeerscheinung anderer Probleme war. Viele Betroffene haben sich aus Angst vor medizinischen Komplikationen dazu entschieden. Noch mehr aber identifizierten sich wieder besser mit ihrem biologischen Geschlecht.

Geschlechtsdysphorie wird also nicht häufig begleitet von psychischen Störungen und psychischen Belastungen, sondern kann umgekehrt eine Folge davon sein, oder mit einer nicht verstandenen homosexuellen Orientierung zusammenhängen. Auch sollte man nicht unterschätzen: Es gibt keine Garantie dafür, dass körperanpassende Maßnahmen die Betroffenen zufriedener machen. In einer jüngst veröffentlichten Studie zeigten trans Menschen nach geschlechtsverändernden Operationen ein deutlich höheres Risiko für Depressionen, Angststörungen, Suizidgedanken und Substanzmissbrauch als jene ohne solche Eingriffe.

Detransition: Ein heruntergespieltes Phänomen

Wie groß die Zahl derjenigen ist, die ihre Entscheidung letztlich bereuen, ist weiterhin unklar, die Forschung zur Detransition war und ist schwierig: Sowohl Wissenschaftler als auch Betroffene mussten und müssen damit rechnen, von Vertretern der wortmächtigen LGBTQ-Communitys abgelehnt, diffamiert, beleidigt und bedroht zu werden, wenn sie sich dazu äußern. "Trans-Rechtsaktivisten und Mainstream-Medien sollten aufhören, die Realität der Detransition herunterzuspielen, damit Leser und Zuschauer nicht zu dem Schluss kommen, dass es sich um ein vernachlässigbares Problem handelt", warnte etwa Kinnon MacKinnon von der York University, selbst ein Transmann, der an dem Thema forscht.) Und Laura Edwards-Leeper, Mitautorin der Standards of Care für Jugendliche und Kinder von WPATH, stellte fest: "Die Leute haben Angst, diese Forschung zu betreiben."

Soziale Ansteckung?

Die meisten Transaktivisten halten die These, dass es unter Kindern und Jugendlichen zu einer Art sozialer Ansteckung kommen kann (Rapid-Onset Gender Dysphoria, ROGD), für transphob. Aber: Die Zahl derjenigen, die sich als trans betrachten und eine Behandlung suchen, hat in den vergangenen Jahren extrem zugenommen, vor allem unter biologischen Mädchen. Eine Ursache dafür ist sicher, dass die Diskriminierung der Betroffenen erheblich nachgelassen hat. Aber man sollte auch die Dynamik innerhalb von Gruppen von Jugendlichen, den erheblich zunehmenden Einfluss der neuen (Sozialen) Medien und die Unsicherheit von Kindern vor und während der Pubertät in ihrer eigenen Sexualität nicht unterschätzen. Eine soziale "Ansteckung", wie sie auch vom Ritzen her bekannt ist, sollte man nicht leichtfertig ausschließen, wenn die Betroffenen erstmals als Jugendliche das Gefühl äußern, im falschen Körper zu stecken.

Die ersten Studien, die ROGD als Phänomen beschrieben – insbesondere die von Lisa Littman von der Brown University in Providence –, wurden schnell abgetan und diffamiert, vor allem von Transaktivisten und Anhängern des gender-affirmativen Behandlungsmodells. Forscher der Universität Innsbruck haben jedoch jüngst nach einer Untersuchung der Faktenlage festgestellt: "Weder die voreilige Annahme von ROGD als gültiges Erklärungsmodell noch seine voreilige Verurteilung als transphob sind eine angemessene Reaktion." Die richtige Reaktion sei nicht, die Forschung in diese Richtung zu unterdrücken, sondern sie zu stärken, damit evidenzbasierte Urteile über ihre Gültigkeit möglich seien.

Der Streit um die Pubertätsblocker und Geschlechtshormone

Ein weiteres wichtiges Ergebnis des Cass-Reports ist eine neue Beurteilung der Pubertätsblocker und der anschließenden Hormonbehandlung: Es handele sich aufgrund mangelnder wissenschaftlicher Daten um experimentelle Maßnahmen, bei denen die Folgen irreversibel, die Wirksamkeit sowie weitere Risiken dagegen nicht eindeutig geklärt seien. Ein Team von Psychiaterinnen und Psychiatern um Florian Zepf vom Universitätsklinikum Jena bestätigte 2024 die Ergebnisse anhand neuerer Untersuchungen. Die Daten geben einige Hinweise darauf, dass die Maßnahmen vielleicht helfen könnten – belegt ist es aber nicht. So hat die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde gerade festgestellt: Es lässt sich einfach noch nicht sagen, ob Lebensqualität und psychische Gesundheit der Betroffenen im Erwachsenenalter nach einer körperverändernden Behandlung im Jugendalter besser – oder vielleicht sogar schlechter – sind.

Sogar das wichtige Argument, Pubertätsblocker und Hormone würden das erhöhte Suizidrisiko der Betroffenen senken, ist nicht belegt. Die häufigere Zahl von Selbsttötungen hängt offenbar eher mit anderen psychosozialen Faktoren und psychischen Krankheiten zusammen, unter denen die Betroffenen leiden. Statt Hormone einzusetzen, wären also entsprechende psychotherapeutische Behandlungen sinnvoll, empfahl der Cass-Report. Zu entsprechenden Schlüssen sind auch neuere Studien gekommen.

Die britische Regierung hat inzwischen den Einsatz von Pubertätsblockern verboten; verwendet werden sollen sie nur noch im Rahmen klinischer Studien. Auch andere Länder, die sich dem gender-affirmativen Modell verschrieben hatten, haben in den vergangenen Jahren auf die neuen Erkenntnisse reagiert. Der Einsatz der Blocker ist in Finnland bereits seit Jahren deutlich strenger reguliert, erstes Mittel der Wahl ist die Psychotherapie. In Schweden werden die Mittel an den Kliniken nur noch in Ausnahmefällen an Minderjährige gegeben. In Norwegen hat der Untersuchungsausschuss für das Gesundheitswesen empfohlen, Pubertätsblocker und Hormone deutlich zurückhaltender einzusetzen als bisher. Ähnliche Stellungnahmen gibt es in einer Reihe weiterer Länder, etwa Frankreich und Italien. In 26 US-Bundesstaaten wurde der Einsatz bei Minderjährigen gesetzlich verboten oder eingeschränkt – wobei die Entscheidungen der jeweils republikanisch kontrollierten Regierungen sicher auch politisch-populistisch motiviert waren. Das gilt auch für die Executive Order des US-Präsidenten Donald Trump, die untersagt, mit Bundesgeldern geschlechtsangleichende medizinische Maßnahmen bei transsexuellen Jugendlichen unter 19 Jahren zu unterstützen.

Die meisten Organisationen amerikanischer Mediziner und Psychotherapeuten treten weiterhin für die gender-affirmative Behandlung ein. Und das gilt auch für die World Professional Association for Transgender Health. Lautstarke Befürworter wie die Bioethikerin Florence Ashley (Pronomen: they) von der University of Alberta in Kanada stellen weiterhin den Respekt vor der Autonomie des Kindes über die Bedenken, es verfüge noch nicht über die Kompetenz, entsprechende Entscheidungen zu treffen.

Gender-affirmative Behandlung in Deutschland – die neue Leitlinie

In Deutschland wurden und werden Kinder, die möglicherweise eine Geschlechtsdysphorie aufweisen, derzeit nach dem gender-affirmativen Modell behandelt. Für mehr Sicherheit, wie Kinder und Jugendliche behandelt werden sollten, soll die anfangs erwähnte neue "Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie" sorgen. Die Leitlinie war bereits vor längerer Zeit von der ursprünglich geplanten höchsten Qualitätsstufe S3 herabgestuft worden auf eine S2k-Leitlinie. Das bedeutet, für S3 gibt es nicht genug Studien mit klaren Ergebnissen, weshalb man sich stark auf den Konsens zwischen den beteiligten Fachleuten stützt. Der Entwurf des Papiers war bereits vor einem Jahr vorgestellt worden, hätte nur einige Wochen diskutiert und dann in endgültiger Form veröffentlicht werden sollen. Dass es letztlich ein Jahr gedauert hat, dürfte mit der folgenden massiven Kritik am Entwurf zusammenhängen. So empfahl im April 2024 eine Gruppe von Fachleuten von verschiedenen Institutionen und Universitäten etliche Änderungen. Im Mai 2024 forderte dann der Deutsche Ärztetag die Bundesregierung auf, die Anwendung von Pubertätsblockern, geschlechtsumwandelnden Hormontherapien oder ebensolche Operationen bei unter 18-Jährigen nur im Rahmen wissenschaftlicher Studien zu erlauben, und nur, wenn mögliche psychische Störungen abschließend behandelt worden seien. Die Begründung entsprach jener, die in Großbritannien zu einem entsprechenden Verbot geführt hat.

Die jetzt veröffentlichte Leitlinie hält konsequent am gender-affirmativen Ansatz fest. Die Autorinnen und Autoren wollen sich offenbar auf keinen Fall den Vorwurf machen lassen, Geschlechtsinkongruenz und Genderdysphorie in die Nähe von psychischen Erkrankungen zu rücken. So wird in der Präambel betont: Psychotherapeutische Unterstützung – gemeint ist hier eigentlich psychosoziale Unterstützung – solle vor allem angeboten werden, um die Behandlungssuchenden in vielerlei Hinsicht psychisch zu stärken. Aber "eine Verpflichtung zu Psychotherapie als Bedingung für den Zugang zu medizinischer Behandlung ist aus Gründen des Respekts vor der Würde und Selbstbestimmung der Person ethisch nicht gerechtfertigt".

Dazu gibt es deutliche Kritik von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Die DGPPN gehört zu den Fachgesellschaften, die am Erstellungsprozess der Leitlinie beteiligt waren. Ihr Vorstand hat der finalen Fassung des Papiers auch zugestimmt – der Präambel jedoch ausdrücklich nicht. Der DGPPN zufolge könnte die Diagnose und auch die Behandlung einer möglicherweise gleichzeitig mit der Geschlechtsdysphorie vorhandenen psychiatrischen Störung eben doch eine Voraussetzung sein, bevor der Körper behandelt wird. Die Leitlinie aber diskutiere hier die Evidenz dafür und dagegen nicht einmal, so die DGPPN. Vielmehr würde "eine nicht wissenschaftlich begründbare 'Leitplanke' gesetzt, die die weitere objektive Abwägung für moralisch unzulässig erklärt". Es werde "ein primär affirmativer Ansatz gewählt, der Wunsch und Wille der Beratung bzw. Behandlung suchenden Person zum einzigen relevanten Maßstab macht".

Dabei empfiehlt die Leitlinie durchaus, es sollte eine Prüfung auf psychische Störungen vorgenommen werden, bevor Pubertätsblocker oder Hormone eingesetzt werden. Sie weist sogar darauf hin, dass eine primäre Psychopathologie zu vorübergehenden geschlechtsdysphorischen Symptomen führen kann. Nur bleibt sie trotz vieler Worte und Wiederholungen hier vage und stellt schließlich fest, dass die Diagnose einer psychischen Störung nicht per se dagegenspreche, körpermodifizierende Maßnahmen vorzunehmen.

Dass sie sich mit den Studien und Berichten rund um Geschlechtsdysphorie weltweit nicht auseinandergesetzt hätten, kann man den Autorinnen und Autoren nicht vorwerfen. Sie räumen sogar wiederholt ein, dass die gegenwärtige Datenlage mau und die Erkenntnisse zu den Folgen unsicher sind. Trotzdem orientieren sich ihre Schlussfolgerungen weiterhin an der oben genannten "Leitplanke". Die Fachleute hinter dem Entwurf sind von der eigenen Sorgfalt und der ihrer Kolleginnen und Kollegen überzeugt. Und die Selbsteinschätzung der Kinder soll eben nicht infrage gestellt werden.

Alle Beteiligten stehen weiterhin vor einem riesigen Dilemma. Behandelt man Kinder schon früh, erspart man trans Menschen das Leiden unter "falschen" Körpermerkmalen. Man geht jedoch zugleich das Risiko ein, Kinder irreversibel zu schädigen und unfruchtbar zu machen, obwohl sie möglicherweise nur vorübergehend davon überzeugt sind, im falschen Körper zu stecken. Obwohl dahinter psychische Störungen stecken könnten. Obwohl sie später vielleicht doch selbst Nachwuchs zeugen wollen. Und obwohl der veränderte Körper noch lange kein glückliches Leben garantiert.

Ist Watchful Waiting der bessere Ansatz?

Was wäre eine Alternative zum gender-affirmativen Ansatz? Ein empathischer Umgang mit den Kindern und Jugendlichen, die sich geschlechtsändernde Maßnahmen wünschen, sollte selbstverständlich sein. Aber auch die Erkenntnisse der vergangenen Jahre müssten unvoreingenommen berücksichtigt werden. Die Forderung nach einem "Watchful Waiting" bis die Betroffenen die notwendige Reife haben, gefällt vielen nicht, weil die sexuelle Identität von trans Kindern infrage gestellt wird. Die Forderung abzuwarten und zu beobachten wird sogar als transphob diffamiert. Aber wie verantwortungsbewusst ist es, bei unreifen Kindern irreversible Maßnahmen zu ergreifen?

Das Dilemma lässt sich nicht so leicht lösen. Auch Watchful Waiting führt zu Verlierern: Transsexuelle, die die "falsche" Pubertät länger durchmachen als unter einer gender-affirmativen Behandlung. Vielleicht gibt es noch weitere Alternativen? Das können letztlich nur weitere wissenschaftliche Studien zeigen.

Unterstützen Sie uns bei Steady!