WIEN. (hpd) Das offizielle Österreich hat am Dienstag erstmals den Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus begangen, was deutschnationale Burschenschafter nicht abhielt, am Abend am Heldenplatz ihr umstrittenes „Totengedenken“ abzuhalten. Mehr als tausend Menschen nahmen an einer Gegendemonstration gegen das Burschenschafter-Ritual teil.
Es mutet an wie ein Kampf der Kulturen. Burschenschafter mit einer etwas dubiosen Tradition und das offizielle Österreich, das eine neue Tradition einzuführen versucht.
Die österreichische Bundesregierung ringt sich zu einem historischen Schritt durch und begeht 67 Jahre nach der Kapitulation Nazideutschlands den 8. Mai das erste Mal als Tag der Befreiung. Ein offizieller Festakt im Bundeskanzleramt, unter den Teilnehmenden auch die Erste Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) und Bundespräsident Heinz Fischer. „Der 8. Mai 1945 markiert den Neubeginn in Europa auf der Grundlage des gemeinsamen Bekenntnisses, nie wieder solche Gräuel zuzulassen, wie sie während des NS-Regimes geschahen“, sagte Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und erinnerte „an die Millionen Opfer und unermessliches Leid und Elend.“ Die Mitschuld Österreichs an Krieg und Völkermord klammerte er nicht aus: „Wer über unsere Geschichte spricht, kann sich nicht an den Begriffen Schuld und Mitschuld vorbeischwindeln. Wir müssen die Dinge beim Namen nennen.“
Vizekanzler und Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) wies vor allem auf den Prozess der europäischen Einigung seit 1945 hin. Neben dem 9. Mai 1950, dem Tag der Schuman-Erklärung, die die europäische Einigung in die Wege leite, markiere der 8. Mai den Auf- und Umbruch Europas nach der Katastrophe. „Wenn nun einige wenige das für ihre Zwecke missbrauchen wollten, dann sage ich ganz deutlich: Das brauchen wir nicht“, sagte Spindelegger.
Die „einigen wenigen“ ließen nicht lange auf sich warten. Wenige Stunden später und vom Ballhausplatz, an dem das Bundeskanzleramt liegt, nur durch eine Straße und einen Zaun getrennt, marschieren die Deutschnationalen mit ihren Schlägern genannten Fechtschwertern auf und trauern mit einem Fackelzug. Offiziell um alle Toten des Weltkriegs, wahlweise auch beider Weltkriege. Sagen sie.
Der Heldenplatz als Schauplatz hat nach ihrer Darstellung selbstredend nichts damit zu tun, dass sich dort im März 1938 Abertausende eingefunden hatten, um jenem Mann zuzujubeln, der manchem Burschenschafter bis heute als heimliches Idol vorschweben dürfte. Am Heldenplatz liegt auch eine Krypta zu Ehren gefallener Soldaten – übrigens auch einiger Mitglieder der SS, wie es heißt. Dieser Krypta gilt nach Darstellung der Burschenschaften die Aufmerksamkeit des Totengedenkens. Angeblich befindet sich unter einem Denkmal aus den 30er-Jahren auch ein Tribut an die NSDAP. Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) hat das Bundesheer angewiesen, das überprüfen zu lassen.
Auf den ersten Blick scheint der Festakt der Bundesregierung wenig an den Realitäten in Österreich zu ändern. Die deutschnationale Seite fühlt sich weiter bemüßigt, demonstrativ an jenem Tag zu trauern, der im Rest Europas als Tag der Befreiung und des Kriegsendes gefeiert wird. Allein, die mittlerweile ebenfalls traditionelle Gegendemonstration fiel heuer beeindruckender aus als in den vergangenen Jahren.
1.200 Menschen demonstrierten weitgehend friedlich gegen das Totengedenken der Burschenschafter. Die Befreiungsfeier dürfte den Organisatoren Rückenwind verschafft haben. Zuträglich war auch die Tatsache, dass zahlreiche Spitzenpolitiker und Spitzenpolitikerinnen wie SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Laura Rudas, Staatssekretär Josef Ostermayer (SPÖ) und der Klubchef der Wiener Grünen, David Ellensohn an der Demo teilnahmen.
Und anders als in den vergangenen Jahren blieb diesmal die FPÖ-Prominenz bei den Burschenschaftern weitgehend aus. Der Dritte Nationalratspräsident Martin Graf wurde heuer nach Medienangaben nicht gesichtet. Er ist sonst Stammgast beim Aufmarsch und Mitglied der Burschenschaft Olympia, die als besonders radikal gilt. FPÖ-Chef Strache meinte, er sei terminlich verhindert und nicht als Redner eingeladen. Im Vorjahr hatte er für Enttäuschung bei den rechten Recken gesorgt, als er nach massiven Protesten seine geplante Rede am Heldenplatz absagte.
Ob das der Tatsache geschuldet ist, dass das offizielle Österreich erstmals eine deutliche Gegenposition zu den Burschenschafter-Umtrieben bezieht, ist Spekulation. Möglich auch, dass die FPÖ ein Jahr vor der Wahl nicht allzu deutlich am eigenen rechten Rand anstreifen will. Das würde sich mit dem staatsmännischen Image schlagen, mit dem sich Strache zu umgeben versucht. Tagespolitisches Kalkül ist vor allem auf der rechten Seite des politischen Spektrums nicht herauszuhalten aus dem Umgang mit der Geschichte. Vielleicht ist man auch einfach nur sauer, dass die Burschenschafter, die das Rückgrat des FPÖ-Funktionärskaders sind, heuer nicht mehr die Diskurshoheit über den 8. Mai hatten.
Das wird auch deutlich, wenn FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl in einer Presseaussendung die Gegendemonstration gegen die Burschenschafter attackiert. Offenbar war ein Polizist bei kleineren Ausschreitungen am Rande der Demo verletzt worden. Kickl wirft den Hauptveranstaltern vor, dafür verantwortlich zu sein und fordert sie auf, ihre „Hetze gegen politisch Andersdenkende“ aufzugeben. Der Kampf der politischen Kulturen in Österreich scheint nach dem 8. Mai weiterzugehen.
Christoph Baumgarten
Fotos: mit freundlicher Genehmigung von Daniel Weber