Religion in der Defensive (1)

(hpd) Die Religion arbeitet an ihrer Grabinschrift. Und sie liest sich nicht einmal gut. (Teil 1)

 

Seit die Neuen Atheisten mit ihrer klar formulierten Religionskritik die Bühne der öffentlichen Auseinandersetzung betreten haben, ist bei Theologen und auch bei einem Teil der Medien Karneval angesagt. Anstatt auf die inhaltlichen Argumente ihrer Gegner einzugehen, flüchten Gottes Schafe auf die Bäume und werfen mit verfaulten Äpfeln um sich. Doch sie sitzen auf dürren Ästen.

Im Folgenden soll auf einige der beliebtesten Argumente eingegangen werden, die man bislang gegen die Neuen Atheisten und gegen die Brights ins Feld führte. Wer sich selbst davon überzeugen möchte, dass die Seite der religiösen Apologeten genau diese Argumente immer wieder vorbringt, dem sei diese Sammlung mit Debatten empfohlen.

Es ist ausgesprochen bedauerlich, dass die religiöse Seite nicht anständig mitreden möchte, wenn es um die Zukunft der Religion geht. Immerhin begleitet uns diese Weltanschauung seit vielen tausend Jahren, da hätte sie doch mit ein bisschen Würde untergehen können.

1. Die Brights sind die Neuen Atheisten

Die Brights als Bewegung haben mit der Anti-Gott-Sache eigentlich nichts zu tun, denn ihr Ziel ist die Gleichberechtigung von Naturalisten, nicht die Religionskritik. Sie betreiben in erster Linie Aufklärung über das naturalistische Weltbild, sowie politische Lobbyarbeit und sie protestieren gegen Diskriminierung. Das interessierte leider weder Theologen noch viele Journalisten. Man setzte sie einfach mit den Neuen Atheisten gleich. Dabei war alles, was es gebraucht hätte, ein Blick auf ihre Website.

Teils herrscht zwar Personalunion, so gehören unter anderem Daniel Dennett und Richard Dawkins auch den Brights an, jedoch liegt dies nur daran, dass sie mit den anderen Brights ein naturalistisches Weltbild teilen. Die Brights mit den Neuen Atheisten gleichzusetzen ist so, als würde man einen Golfclub mit einem Speerwerfer gleichsetzen, nur weil der Speerwerfer zufällig auch Mitglied dieses Golfclubs ist.

Von allen Seiten für ihr Weltbild und für die Neuen Atheisten angegriffen, entwickelten auch viele zuvor brave Agnostiker und Pantheisten unter den Brights antitheistische Neigungen. Eine selbsterfüllende Prophezeiung. Die religiöse Seite hat sie alleine zu verantworten.

2. Stalin und Hitler

Wer die Debatten verfolgt hat, weiß sofort, was gemeint ist: Das ewige Argument, Stalin und Hitler seien Atheisten gewesen. Nicht nur das, sie waren zudem auch noch, zumindest angeblich, die größeren Massenmörder als alle Fundamentalisten, die es jemals gab, zusammen genommen. Der Atheismus sei also auch nicht besser als die Religion, sondern noch schlimmer.

Was dann ja bedeutet, dass die Religion schlimm ist, wenn der Atheismus noch schlimmer sein soll. Der Rest des Arguments ist eine einzige Peinlichkeit.

Davon abgesehen, dass Hitler seinem Katholizismus nie offiziell abschwor und nur ein einziger Nationalsozialist exkommuniziert wurde, fehlt diesem Argument jede Logik. Bei jenem Nationalsozialisten handelte es sich um Josef Goebbels. Er wurde keineswegs für seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit aus der katholischen Kirche ausgeschlossen, sondern weil er eine Protestantin heiratete. Man muss schließlich Prioritäten setzen.

Was nun das Argument zum Einsturz bringt ist der Umstand, dass Stalin und Hitler nicht aufgrund ihres Atheismus völkermordend durch die Gegend zogen, sondern aufgrund der Tatsache, dass sie viele unwahrscheinliche Dinge über Gott und die Welt glaubten. Der eigentliche Kern des Neuen Atheismus ist nämlich der Anti-Dogmatismus, die Ablehnung des unverbesserlichen Glaubens an Dinge, für die es keine Belege gibt oder die sogar im Widerspruch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen stehen.

Josef Stalin glaubte zum Beispiel an den Histomat, an den historischen Materialismus, der nichts anderes ist als die Prophezeiung, dass der Kommunismus siegen werde, weil „die Geschichte" es so will – man setze für „die Geschichte" einfach „Gott" ein und man sieht, was Sache ist. Stalin glaubte außerdem, er sei mehr als ein Mensch, was man etwa daran erkennt, dass er immer mit allem Recht zu haben glaubte. Die Variante des Personenkults, den man ihm entgegenbrachte, findet man auch in Bezug auf Jesus oder auf die Jungfrau Maria. Besonders bezeichnend waren jedoch die Ansichten seines führenden Biologen Trofim Denissowitsch Lyssenko, der die Existenz von Genen für „unsozialistisch" hielt und deshalb nicht an sie glaubte. Seine abstrusen Meinungen zum Thema Agrarwissenschaft (z.B. dass sich Weizen bei günstigem Wetter in Roggen verwandeln könne) waren hauptverantwortlich für den Tod von etwa 15 Millionen Menschen.

Eine Analyse von Hitlers Theologie stammt von einem christlichen Theologen: Rainer Bucher untersucht sie in einem Buch Hitlers Theologie. Es gibt schon lange atheistische Bücher zum Thema. Man konnte sie wohl nicht ewig ignorieren, so heißt es jetzt, die religiösen Vorstellungen des Führers hätten nichts mit dem Christentum und mit der wahren Religiosität zu tun gehabt. Das wäre dann die aktuelle Ausrede, mal sehen, was als nächstes kommt. Immerhin erkennt man inzwischen an, dass Hitler religiös war und kein Atheist.

Natürlich waren über 90% der Deutschen zur Zeit des Nationalsozialismus Christen. Sollte das wirklich keinen Einfluss gehabt haben? Warum haben sich diese Abermillionen Christen nicht gegen Hitler gestellt, warum taten das nur wenige? Die österreichischen Bischöfe gaben noch 1938 eine Pro-Hitler-Erklärung heraus, ein Auszug:
„Wir erkennen freudig an, dass die nationalsozialistische Bewegung auf dem Gebiet des völkischen und wirtschaftlichen Aufbaues sowie der Sozial-Politik für das Deutsche Reich und Volk und namentlich für die ärmsten Schichten des Volkes Hervorragendes geleistet hat und leistet. Wir sind auch der Überzeugung, dass durch das Wirken der nationalsozialistischen Bewegung die Gefahr des alles zerstörenden gottlosen Bolschewismus abgewehrt wurde. [...] Am Tage der Volksabstimmung ist es für uns Bischöfe selbstverständliche nationale Pflicht, uns als Deutsche zum Deutschen Reich zu bekennen, und wir erwarten auch von allen gläubigen Christen, dass sie wissen, was sie ihrem Volke schuldig sind."

1933 drehte Leni Riefenstahl einen Film über den 5. Reichsparteitag. Der Titel: „Sieg des Glaubens".

Es gibt also gute Gründe, Stalin, Hitler und ihre Anhänger für die Vertreter weltlicher Religionen zu halten, die allerdings auch nicht immer ohne übernatürliche Elemente auskamen (siehe Heinrich Himmlers Geisterbeschwörung). Aufgeklärt und frei von Dogmen waren sie ganz bestimmt nicht. Man könnte auch noch auf Pol Pot oder Mao Zedong eingehen, bei denen es keineswegs besser aussah mit dem gesunden Menschenverstand, aber das würde den Rahmen sprengen.

Die Haltung dieser Tyrannen zur Religion war dann auch nicht so ablehnend: Stalin genoss eine Ausbildung zum russisch-orthodoxen Priester, Pol Pot verbrachte (angeblich, es gibt nur wenige Materialien über ihn) sechs Jahre in einem buddhistischen Kloster, Hitler war Zeit seines Lebens Katholik, Franco und Mussolini arbeiteten eng mit der katholischen Kirche zusammen und Himmler entwickelte eine eigene okkult-germanische Religion.

Vorzeigeatheisten waren sie also wohl kaum.

Fazit: Es gibt keinen logischen Weg vom Atheismus zum Völkermord, wohl aber einen logischen Weg vom beleglosen, dogmatischen Glauben zu allen Grausamkeiten dieser Welt. Vor allem ist das der Fall, wenn die „heiligen" Bücher der jeweiligen Religion oder weltlichen Ideologie bereits alle Legitimationen zum Mord an Un- und Andersgläubigen enthalten, wie es bei Bibel, Lenins Was tun? (Die Grundlage für die spätere bolschewistische Partei) und Koran mit Sicherheit der Fall ist. Vielleicht wäre es hilfreich, wenn die „Gläubigen" ihr jeweiliges Wort Gottes mal lesen würden, sollten sie das bezweifeln. In der Tat ist es überaus erstaunlich, dass so viele Menschen, die „glauben", die Bibel sei das Wort Gottes, dieses Wort gar nicht hören wollen.

3. Der Atheismus ist auch nur eine Religion

Besonders eigenartig an diesem Argument ist nicht die Tatsache, dass es falsch ist, sondern der Umstand, dass es eine Abwertung der Religion impliziert. Wenn Atheismus auch „nur" eine Religion sei, wenn es auch atheistische „Missionare" gebe und wenn der Gotteswahn das „heilige Buch" der Atheisten sei, dann muss doch offensichtlich etwas nicht stimmen mit Religionen, Missionaren und heiligen Büchern! Andernfalls wäre es schließlich gut, wenn Atheismus auch eine Religion wäre, und nicht schlecht!

Jedoch ist der Atheismus keine Religion und kann per definitionem auch keine sein. Atheismus heißt nichts anderes als Nicht-Theismus oder Nicht-Gottesglaube. Ein Atheist glaubt nicht an Gott. Fertig. Aus, Ende.

Betrachten wir die Sache weniger eng. Vielleicht sind Humanistenvereine, Freidenkerverbände und vor allem natürlich die Brights nichts anderes als weltliche Sekten? Wohl kaum. Das fängt damit an, dass Sekten Gurus haben, welche die Glaubenssätze vorgeben und eine strikt hierarchische Organisation, um die Anhänger auszubeuten und zu kontrollieren.

Die Giordano Bruno Stiftung hat natürlich Michael Schmidt-Salomon und sein Manifest des evolutionären Humanismus. Das Problem besteht jetzt nur darin, dass dieses Manifest ausdrücklich antidogmatisch ist und die Giordano Bruno Stiftung ist nur wenig hierarchisch. Wie nicht anders zu erwarten, da sie sich aus allerlei Künstlern und Querdenkern zusammensetzt. Wie sektenartig kann eine Organisation sein, der zum Beispiel Janosch, Udo Pollmer und Ralf König angehört? Diese Behauptung ist nichts anderes als eine Verschwörungstheorie auf dem Level mit der Meinung, die US-Regierung sei für den 9.11. verantwortlich oder die Amerikaner wären nie auf dem Mond gewesen.

Wie sieht das nun mit den Brights aus? Die haben immerhin ein komisches Symbol mit Sonnenstrahlen darauf und Sekten haben ja auch komische Symbole mit Sonnenstrahlen darauf (schätze ich mal). Außerdem heißen sie „Brights", was als Adjektiv unter anderen „schlau" meint. Die selbsternannten Übermenschen also?

Tatsächlich hängt der Name, der als Adjektiv vor allem „hell" und „strahlend" bedeutet, mit der Lichtsymbolik des Logos zusammen, wobei Licht ein Symbol für Wahrheit ist und eng mit dem Zeitalter der Aufklärung (engl: „Age of Enlightenment" - „Zeitalter der Erleuchtung") in Verbindung steht. Dieser Name schließt wiederum an die Mythologie der Aufklärung an, laut der es ein „finsteres" Mittelalter gibt und die „Fackel" der Aufklärung, die Licht ins Dunkel bringt. Der Zusammenhang sollte recht schnell einleuchten. Es sei denn, man will, dass sich die Brights für die Schlaules halten. Die gewollte Medienaufmerksamkeit hat der Begriff auf jeden Fall hervorgerufen.

Aber was machen diese Organisationen den ganzen Tag? Nun, meistens sitzen ihre Anhänger zu Hause an ihren PCs und unterhalten sich in Foren oder schreiben Artikel wie diesen hier, wenn sie mal nicht arbeiten (sehr lukrativ ist Denken nämlich nicht). Oder sie treffen sich bei örtlichen Stammtischen, trinken etwas und sprechen über die böse Kirche. Manche davon verbünden sich mit anderen Sekten wie der Kinderhilfe oder Obdachlosenhilfe oder einer Umweltschutzorganisation und arbeiten mit denen an finsteren Plänen zur Verbesserung unserer Gesellschaft und der Welt als Ganzes. Gelegentlich verteilen sie auch Flugblätter und demonstrieren. Ein besonderes Faible haben sie auch für allerlei wissenschaftliche Kongresse und Tagungen, die Welt will schließlich beherrscht werden, oder zumindest eifrig debattiert.

Man sieht also: Am atheistischen Sektenmythos ist so viel dran wie an allen anderen religiösen Mythen: Gar nichts.

Fortsetzung folgt...

Andreas Müller

Die Neuen Atheisten
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