BERLIN (hpd) „Auch Humanisten brauchen um der Menschenwürde willen
einen arbeitsfreien Tag in der Woche. Sie sind nicht auf den Sonntag festgelegt. Ausnahmen kann der Gesetzgeber vornehmen. Der Sonntag ist kein speziell christlicher Feiertag. Die Regeln des Berliner Ladenöffnungsgesetzes sind verfassungsgemäß, da das Recht auf Religionsausübung für jede gläubige Minderheit gewährleistet ist.“ Das Berliner Ladenöffnungsgesetz (GVBl Nr. 38 vom 16. 11. 2006, Seite 1045) verstoße nicht gegen Art. 4, Abs. 1 und 2 GG i.V.m. Art. 140 GG/Art. 139 WRV. Beide Verfassungsbeschwerden verkürzen den Schutz des Sonntags unzulässig auf eine christlich-religiöse Schutzvorschrift.
Das ist das Fazit der Stellungnahme (siehe pdf im Anhang), die der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) gestern beim Bundesverfassungsgericht eingereicht hat zu den Klagen der beiden großen christlichen Kirchen gegen das Berliner Ladenschlussgesetz (1 BvR 2857/07 - 1 BvR 2858/07).
In seinem Anschreiben teilte der HVD als Dachverband und humanistische Weltanschauungsgemeinschaft dem Gericht mit, seine Mitglieder verträten die Lebensauffassung des weltlichen Humanismus. Das Anschreiben verweist zudem darauf, dass der Bundesvorsitzende des HVD, Dr. Horst Groschopp, in einem Artikel im hpd mitteile, dass die humanistische Auffassung vom Sonntag es gebiete, diesen als Frei-Tag beizubehalten, um ihn für Unternehmungen mit der Familie und mit Freunden zu nutzen. „Als Humanisten werden wir diesen allerdings nicht zum Kirchgang, jedoch mitunter durchaus zur inneren Einkehr nutzen. In dem genannten Beitrag finden sich zahlreiche Übereinstimmungen mit Auffassungen, wie sie der Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble mehrfach öffentlich vertreten hat.“
Der HVD ist der Auffassung, schon der Wortlaut des Art. 139 WRV widerspräche den Klägern, denn aus ihm ergebe sich nicht, dass hierin besondere christliche Schutzvorschriften begründet werden. In Art. 139 WRV ist (Verweis auf Jaras/Pieroth, GG-Kommentar, München 1989) in der knappesten Formulierung zusammengefasst, „keine Ausprägung des Art. 4“ zu sehen (Kommentierung zu Art. 140 GG).
Der HVD begründet im Einzelnen seine Auffassung sowohl mit verfassungsrechtlichen Argumenten, bisherigen Urteilen des BVerfG, soziologischen (Belege von fowid) und kulturellen Argumenten sowie berlinspezifischen Befunden.
Polemisch wendet sich die Stellungnahme gegen den Versuch der beiden Kirchen, durch eine ihnen eigene staatssoziologische Interpretation des Artikels 139 WRV i.V.m. 140 GG andere Religionsgemeinschaften zu bevormunden, die ebenfalls einen Anspruch auf Religionsausübung nach Artikel 4 Grundgesetz haben. Denn eine große Zahl der Bürger in Berlin bekennt sich zu anderen Kirchen als zu den christlichen, insbesondere zur muslimischen Religion. Der religiöse Feiertag der Muslime, der Freitag, ist gesetzlich nicht geschützt. Dies jedoch gibt den christlichen Kirchen kein Recht, auf einen christlichen Sonntag besonders schützend und ganztägig zu drängen, wie es die Verfassungsbeschwerden tun.
Besonders nach den Erfahrungen Deutschlands und der Welt mit dem Holocaust weist der HVD darauf hin: „Die Argumentation der kath. Verfassungsbeschwerde auf Seite 10 ist verfassungsrechtlich schlicht unerträglich, wenn es dort heißt, der Sonntag sei der ’christliche Ur-Feiertag, der den jüdischen Sabbat ersetzt ... und damit der Befreiung von Sünde, alttestamentlichem Gesetz und Tod’ diene. Dieser nahezu antisemitische Gedanke sollte verfassungsrechtlich in der Bundesrepublik Deutschland unzulässig sein.“
Horst Groschopp, Judith Huber, Wolfgang Lüder