Macht Wissenschaft den Gottesglauben überflüssig?

Ja, sagt der Physiker Victor Stenger und beruft sich auf neueste Forschungsergebnisse. Ist die Nichtexistenz Gottes wissenschaftlich erwiesen?

 

Es war einmal vor langer Zeit, da gab es starke wissenschaftliche Argumente für die Existenz Gottes. Eines der ältesten und langlebigsten ist das Design-Argument. Die meisten Menschen schauen sich die Komplexität der Welt an und können sich nicht vorstellen, wie sie entstanden sein mag, wenn nicht durch den Eingriff eines Wesens oder einer Kraft von großer Macht und Intelligenz.

Das Design-Argument wurde auf die vielleicht genialste Weise im Werk des anglikanischen Erzdiakons William Paley zum Ausdruck gebracht. In seiner Natural Theology, or Evidences of the Existence and Attributes of the Deity Collected from the Appearance of Nature („Natürliche Theologie oder Belege von Existenz und Eigenschaften der Gottheit. Gesammelt aus dem Erscheinungsbild der Natur“), das zum ersten Mal 1802 veröffentlicht wurde, schreibt Paley davon, wie er beim Überqueren einer Heidelandschaft sowohl einen Stein wie eine Uhr findet.

Obwohl man den Stein einfach als einen Teil der Natur ansehen würde, so würde niemand daran zweifeln, dass es sich bei der Uhr um einen Gegenstand handelt, der zu dem Zwecke gefertigt wurde, uns die Zeit mitzuteilen. Paley behauptet nun, dass natürliche Objekte wie das menschliche Auge allem Anschein nach ebensolche Erfindungen sind.

Als Charles Darwin 1827 Cambridge betrat, wurde er den selben Räumen in Christ's College zugeordnet wie William Paley siebzig Jahre früher. Zu dieser Zeit beinhalteten die Lehrpläne ein Studium von Paleys Arbeiten und Darwin war tief beeindruckt. Er bemerkte, dass ihm Paleys Arbeit „so viel Vergnügen bereitete wie Euklid“. Allerdings entdeckte Darwin letzten Endes die Antwort auf Paley und er zeigte, wie sich komplexe Systeme auf natürliche Weise ohne Design oder Plan von einfacheren weiterentwickeln können. Der Mechanismus, den er 1859 in Die Entstehung der Arten vorschlug (und der unabhängig von ihm von Alfred Russel Wallace angenommen wurde) war die natürliche Selektion, mit der Organismen Veränderungen ansammeln, die es ihnen ermöglichen, zu überleben und Nachkommen zu zeugen, welche diese Eigenschaften behalten.

Jedoch erkannte Darwin, dass es laut der damals aktuellen Physik einen ernsthaften Einwand gegen die Evolution gab. Berechnungen des großen Physikers William Thomson (Lord Kelvin) zeigten ein viel zu kurzes Sonnenalter für die natürliche Selektion.

Zu jener Zeit war Kernenergie jedoch unbekannt. Als man diese neue Energieform am Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckte, vermuteten Physiker, dass die Energie aus Kernreaktionen der Sonne und anderen Sternen ein Alter von mehreren Milliarden Jahren als stabile Energiequellen ermöglichen würden.

Vor dem 20. Jahrhundert war der bloße Umstand, dass das Universum Materie enthält, ebenso ein starker Beleg für eine Schöpfung. Zu jener Zeit ging man davon aus, dass Materie konserviert wurde, also musste die Materie des Universums von irgendwoher kommen. 1905 zeigte Einstein, dass Materie aus Energie gewonnen werden kann. Aber woher kommt diese Energie?

Diese Frage blieb für fast ein weiteres Jahrhundert unbeantwortet, bis genaue Beobachtungen mit Teleskopen aufzeigten, dass zwischen der positiven Energie der Materie und der negativen Energie der Gravitation ein exaktes Gleichgewicht vorherrscht. Also war keine Energie nötig, um das Universum hervorzubringen. Das Universum hätte aus dem Nichts entstehen können.

Eine Schöpfung wurde auch durch unabhängige wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt, die sich auf ein Grundprinzip der Physik bezogen, nämlich das Zweite Thermodynamische Gesetz, laut dem die Gesamtunordnung oder Entropie des Universums mit der Zeit zunehmen muss. Das Universum wird immer unordentlicher. Da es nun Ordnung hat, würde daraus folgen, dass irgendwann in der Vergangenheit noch mehr Ordnung von außen zugeführt werden musste.

Aber im Jahre 1929 berichtete der Astronom Edwin Hubble, dass sich die Galaxien mit Geschwindigkeiten voneinander weg bewegen, die dem Verhältnis ihrer Abstände entsprachen, was darauf hinweist, dass sich das Universum ausdehnt. Dies bedeutete den ersten Beleg für den Urknall. Ein sich ausbreitendes Universums könnte mit geringer Entropie angefangen haben und würde dennoch lokale Ordnung entwickeln können, die mit dem Zweiten Gesetz übereinstimmt.

Wenn wir von dem, was wir von moderner Kosmologie wissen, auf den frühsten definierbaren Augenblick zurückschließen, so stellen wir fest, dass das Universum in einem Zustand maximaler Unordnung begann. Es enthielt die maximale Entropie für einen Bereich im Raum, der Null Information entsprach. Selbst wenn das Universum erschaffen wurde, so bewahrt es keine Erinnerung von dieser Schöpfung oder von den Intentionen irgendeines möglichen Schöpfers. Der einzig mögliche Schöpfer ist jener, den Einstein verabscheute – der Gott, der mit dem Universum Würfel spielt.

Nun könnte ein solcher Gott noch existieren und eine Rolle im Universum spielen, seit das Universum aus dem Chaos explodierte. Wir haben zwar keine vollkommene Unordnung mehr, aber Unordnung dominiert noch immer das Universum. Der größte Anteil der Materie des Universums bewegt sich zufällig in der Gegend herum. Nur 0,1% – der Teil, der in sichbaren Bereichen der Galaxien enthalten ist, hat irgendeine bedeutsame Struktur. Sollte er irgendeine Kontrolle über Ereignisse haben, so dass irgendein ultimativer Plan verwirklicht wird, dann muss Gott seine Finger in dieses ganze Chaos stecken. Allerdings gibt es keine Belege dafür, dass Gott seine Finger irgendwo hinein steckt. Das Universum und das Leben sehen für die Wissenschaft genau so aus, wie sie aussehen sollten, wenn sie nicht erschaffen oder designt wurden.

Und die Menschheit, die ein kleines Staubkorn in einem ungeheuer großen Kosmos bewohnt und einen winzigen Bestandteil des Lebens in diesem Staubkorn darstellt, sieht kaum nach etwas Besonderem aus. Das für uns sichtbare Universum enthält 100 Milliarden Galaxien, jede davon mit 100 Milliarden Sternen. Aber der bei weitem größte Anteil des Universums, der sich vom ursprünglichen Chaos expotenziell ausdehnt und mindestens 50 Größenordnungen mehr umfasst, liegt fern von unserem Horizont.

Das Universum, das wir mit unseren stärksten Teleskopen sehen können, ist nur ein Sandkorn in der Sahara. Und dennoch sollen wir glauben, dass ein erhabenes Wesen existiert, das den Pfad jedes Partikels verfolgt, während es den Gedanken eines jeden Menschen lauscht und seinen Lieblingsfußballmannschaften zum Sieg verhilft. Die Wissenschaft hat den Glauben an Gott nicht nur überflüssig gemacht. Sie hat ihn zusammenhanglos gemacht.

Victor J. Stenger ist emeritierter Professor für Physik und Astronomie an der Universität von Hawaii, Assistenzprofessor für Philosophie an der Universität von Colorado und der Autor von sieben Büchern, darunter: "Gott: Die gescheiterte Hypothese – wie die Wissenschaft zeigt, dass Gott nicht existiert" (Bislang nur auf Englisch erschienen).

Quelle: Templeton Foundation. April 2008.
Übersetzung: Andreas Müller

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