BERLIN. (hpd) Im Rahmen einer Anhörung vor dem Ausschuss für Bildung,
Jugend und Familie im Berliner Abgeordnetenhaus nahm Dr. Gerhard Weil, Sprecher der Initiative „Pro Ethik“ und Vorsitzender des GEW-Landesausschusses für multikulturelle Angelegenheiten, zu Erfahrungen aus dem Ethikunterricht und dem Volksbegehren „Pro Reli“, Stellung:
„Für die Entwicklung von gegenseitigem Verstehen, von Akzeptanz und Respekt voreinander ist das integrative Berliner Ethikfach unverzichtbar. Bestrebungen, die Verbindlichkeit dieses Faches für alle SchülerInnen abzuschaffen, wurden durchweg mit Unverständnis zur Kenntnis genommen.
Wie es sich für eine Gewerkschaft gehört, wurde diese zweite Auswertung auch wieder von Forderungen der Fachlehrkräfte begleitet, denen sich die GEW voll anschließt: Frequenzen von teilweise 30 bis 32 SchülerInnen werden als zu hoch angesehen, Teilungsstunden werden für notwendig erachtet. Die Ethiklehrkräfte sollten möglichst ihre Klassen auch in anderen Fächern betreuen, um die Vertrauensbasis zu stärken. Die Senatsverwaltung muss sich nach zwei Jahren endlich zu einer positiven Entscheidung durchringen, dass auch eine Grundausstattung für Lehr- und Lernmittel in den Katalog der Mindestanforderungen aufgenommen wird. Ein neues Fach braucht eine materielle Basis, ebenso wie spätestens nach Durchlauf der ersten 4 Jahre die Einrichtung von Fachbereichsleitungen an den Oberschulen.
Die kontinuierliche Fortbildung von Absolventen der Einführungsfortbildungen wird ebenso gefordert wie bezirkliche Fachkonferenzen und weitere Fachbriefe. Insgesamt wird also ein verstärktes Senatsengagement zugunsten des neuen Faches als notwendig angesehen.
Gleichfalls begrüßt wurde auf der Veranstaltung und von den Initiativenpartnern die gesetzlich vorgesehene Kooperation mit Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu einzelnen Themenbereichen, gern auch durch Unterricht an anderem Ort. Hier sollten Materialien, Schulungen der Ethiklehrkräfte und Finanzmittel unterstützend eingesetzt werden. Als rechtswidrig wurde aber die von der Evangelischen Kirche nach Angaben des Notbundes für den Religionsunterricht an ca. 60 Schulen praktizierte dauerhafte Kooperation von evangelischen Religionslehrkräften und dem Ethikunterricht nach dem sogenannten 1:1:1 Modell angesehen. Hierzu möchte ich das Rechtsgutachten von Frau Dr. Kirsten Wiese von der Humanistischen Union zu Protokoll geben, das dem Bildungs- und dem Kultursenator bereits vorliegt. Außerdem gebe ich den Text des Bundesvorsitzenden des Fachverbandes Ethik e.V., Herrn Peter Kriesel, zu Protokoll, der Möglichkeiten einer pluralistischen Kooperation aufzeigt. Die GEW Berlin und die Initiative verlangen angesichts der Unklarheiten und der Grauzone in diesem Bereich klare Ausführungsvorschriften des Senats zu § 12 Abs. 6 des Schulgesetzes im Hinblick auf die Kooperation.
Was die in Frage stehende Weiterbildung für Ethiklehrkräfte anbelangt, so bedauert die GEW wie die Initiative „Pro Ethik“ die zeitliche Verschiebung des Beginns des Weiterbildungsstudiums um ein Jahr aufgrund der universitären Umstellungen im Lehrerbildungsbereich. Wir fordern für praktizierende KollegInnen angemessene Freistellungstatbestände und die besoldungsrechtliche Anerkennung als zweites Wahlfach. Eine weitere Verzögerung des Studienbeginns ist auch im Interesse der hohen Ansprüche dieses Faches nicht hinnehmbar!
Was die Zielsetzungen des Volksbegehrens von „ProReli" anbelangt, so haben wir einen klar ablehnenden Standpunkt: Es gibt gute Gründe, die gegen dieses Anliegen sprechen. Mit dem vorgeschlagenen Wahlpflichtbereich Religion/Ethik würden bekenntnisgebundener Unterricht und ein zur religiös-weltanschaulichen Neutralität verpflichteter allgemeinbildender Unterricht in einen Topf geworfen werden. Damit würde die gerade in Berlin wichtige Trennung von Staat und Kirche unterlaufen. Zudem würde die Chance vertan, dass alle Schülerinnen und Schüler in einem gemeinsamen Ethikunterricht etwas über die Grundlagen eines friedlichen und gleichberechtigten Zusammenlebens lernen. In Berlin gibt es über 100 verschiedene Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und die Mehrheit der Einwohner ist konfessionslos. Nach unserer Auffassung ist es für die Integration und die Akzeptanz von Menschen mit unterschiedlicher religiösweltanschaulicher Prägung besser, wenn sich alle Schülerinnen und Schüler in einem gemeinsamen Unterricht mit dieser Vielfalt beschäftigen.
Ein darüber hinausgehendes Angebot von bekenntnisgebundenem Unterricht sollte uneingeschränkt freiwillig bleiben.
Ebenfalls lehnen wir die eigenartigerweise ausgerechnet von den Kritikern des Ethikunterrichts per Gesetzentwurf geforderte Ausweitung dieses Faches auf die Grundschulklassen 1 bis 6 und auf die Klassen 11 bis 13 ab. Die Berliner Schule wäre mit einer solchen Ausweitung überfordert und die Qualität eines Ersatzfachs zu Religion, zu dem Ethik dann werden würde, wäre ernsthaft bedroht. Die Verstaatlichung des Religionsunterrichts widerspricht der Berliner Tradition seit der Blockadezeit und würde aus der Sicht der GEW sogar Verschlechterungen mit sich bringen: Glauben die Befürworter ernsthaft, dass Ethik dann mit voller Klassenstärke, der alternative Religionsunterricht aber mit 15er Frequenzen in der Grundschule und 12er Frequenzen in der Oberschule wie bisher weitergeführt würde? Was passiert mit den ca. 700 Katecheten, für die das Schulgesetz zur Zeit eine Übergangsregelung in § 129 Abs. 4 mit Stichtag vorsieht? Das Schulgesetz stellt in § 13 Abs 2 jetzt schon höhere Ausbildungsanforderungen nur für den nichtstaatlichen Religionsunterricht!
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bestrebungen dieses Volksbegehrens ein nicht einmal zweijähriges neues Schulfach mit guten Entwicklungspotenzialen gefährden, den begonnenen und notwendigen Dialog in der multikulturellen Schülerschaft über Werte und Kulturen abbrechen wollen und, wie es die Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion gestern im Tagesspiegel ausdrückte, einen Kulturkampf riskieren.
Die GEW-Berlin wird – auch als Mitglied der Initiative „Pro Ethik“ – viel dafür tun, um es zu keinem Volksentscheid kommen zu lassen! Sollte das doch geschehen, so werden wir uns engagieren, um die Gesetzesänderung zu verhindern!"
Lesen Sie hier auch die Referate von der Auftaktveranstaltung der initiative „Pro Ethik“ am 20. Mai von Prof. Dr. Michael Bongardt (Freie Universität Berlin) und Peter Kriesel (Bundesvorsitzender des Fachverbandes Ethik e.V.) im Anhang.