Besser zu spät als nie

BERLIN. (hpd) Am Dienstag wurde das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen eingeweiht – in zentraler Lage,

am südlichen Rand des Großen Tiergartens von Berlin. Ein schöner Anlass, zugleich ein trauriger zum Nach- und Gedenken.

Viel wurde und wird um das Konzept des vom dänisch-norwegischen Künstlerduo Michael Elmgreen und Ingar Dragset geschaffenen Gedenksteins debattiert. Wer möchte, kann sich in den Zeitungsberichten dieser Woche ein Bild dazu machen. Mich interessieren im Zusammenhang mit der zweifellos wichtigen Errichtung des Gedenksteins – mehr als dessen künstlerische Seite – die folgenden Aspekte:

Zeitpunkt

Das Denkmal als nationaler Ort der Erinnerung kommt 63 (!) Jahre nach der Befreiung vom Faschismus. Spät? Günter Dworek vom Lesben- und Schwulenverband (LSVD) wies in seiner Rede bei der eindrucksvollen und gut besuchten Einweihungsfeier darauf hin, dass der 3,60 m hohe und 1,90 m breite Steinquader „endlich“ da sei. Gleichzeitig komme das Denkmal aber für die Schwulen, die das Martyrium überlebten, zu spät. Der letzte, dem LSVD bekannte KZ-Überlebende, Pierre Seel aus dem Elsass, verstarb 2005. Nicht genug, dass er selbst im KZ Schirmeck interniert, gefoltert und missbraucht worden war. Pierre Seel hatte mit eigenen Augen ansehen müssen, wie sein Freund auf grauenvolle Weise dort umgebracht wurde.

Doch seine Liebe und die von Millionen homosexuell empfindender Menschen wurde lange Zeit juristisch verfolgt. Den berüchtigten Strafparagrafen 175 hatte die Alt-Bundesrepublik in der verschärften Fassung der Nazis übernommen und bis 1969 mehr unschuldige Homosexuelle verurteilt und inhaftiert, als es die Nazis vor 1945 taten.

Die Zeiten haben sich geändert, doch inoffiziell gelten gleichgeschlechtlich Liebende auch heute für viele als unnatürlich, krank, zweitklassig, für manche als vernichtenswert. Ein Drittel der deutschen Jugendlichen geben heute noch in Umfragen an, dass sie zwei küssende Männer als eklig empfänden. Wen wundert es, wenn da ein Denkmal für Schwule und Lesben von einigen Politikern, wenn überhaupt, eher geduldet als gewollt ist.

Halbherzigkeit

Somit zum zweiten Aspekt der Geschichte – ihrer Halbherzigkeit. Das Denkmal gibt es nicht etwa, weil ein real-existierender pluralistischer Grundkonsens in der Mehrheit dieser Gesellschaft verwurzelt wäre, der die Mannigfaltigkeit aller Individuen verinnerlicht und dazu geführt hätte, dass ihre politische Vertreter ein solches Denkmal als selbstverständlich einfordern würden. Nein, der Gedenkstein kam nur auf Initiative der betroffenen Gruppe selbst, nämlich der Homosexuellen, zustande, die 1993 zu diesem Zweck die „Inititiative der homosexuellen NS-Opfer“ gegründet hatten und 16 Jahre lang für ihr Denkmal stritten.

Als die rot-grüne Regierung 2003 die Errichtung des Gedenkortes an zentraler Stelle beschloss, geschah dies ohne Zustimmung des „Parteienblocks der christlichen Nächstenliebe“. Und als das Denkmal in dieser Woche feierlich eingeweiht wurde, konnte man auch nicht „vollständigen Vollzug“ melden, wenn es um die von dem Historiker Peter Reichel beklagte Tendenz (Interview) in der Bundesrepublik geht, sich bei der Aufarbeitung der eigenen Geschichte vor allem in symbolischen Gesten zu gefallen und dafür gern auch die Opfer der Geschichte zu vereinnahmen.

Denn große Staatssymbolik fand am Dienstag nur halbherzig statt. Kein Bundespräsident Köhler oder andere Redner der politischen A-Klasse waren erschienen. Damit dies geschehe, müsste eher wieder ein ICE verunglücken, möchte man zynisch schreien. Und Fragen, wie es kam, dass Deutschland und nicht andere Staaten so perfide und von der breiten Masse seiner Bevölkerung getragen, „unwertes Leben“ klassifizierte und dann gründlich vernichtete, werden ohnehin selten im Land der Täter gestellt. Wie lässt sich so dauerhaft verhindern, das derartiges oder neues Unrecht auf menschverachtender Basis wieder passiert?

Konsequenzen

Damit gelange ich zum dritten Aspekt – den politischen Konsequenzen. Es ist symptomatisch, dass dieselben politischen Kreise, die 2003 einer lange Zeit verfemten Opfergruppe das offizielle Gedenken verwehrten, auch 2008 Homosexuelle weiter diskriminieren. Ausgerechnet kurz vor Einweihung des Denkmals schmetterten CDU und CSU am vergangenen Freitag eine Initiative der Länder Berlin und Bremen im Bundesrat ab, eingetragene Partnerschaften steuerrechtlich mit der Ehe gleichzustellen.

Wenn es um Diskriminierungsschutz – auch anderer Minderheiten – geht, lässt Deutschland sich gern treiben, anstatt Vorreiter zu sein. Das war 2006 bei der überfälligen Verabschiedung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes so, als schon EU-Sanktionen drohten, und setzt sich mit der bestehenden Weigerung der Unionsparteien fort, Lesben und Schwulen die Ehe zu öffnen.

Der graue Klotz mit seinem kleinen Fenster scheint auch den Grad der heutigen Akzeptanz sexueller Minderheiten in dieser Gesellschaft widerzuspiegeln: Schaut her, es gibt Opfer aus der Nazizeit, derer wir nun auch gedenken – in der Form analog zum benachbarten Stelenfeld für die ermorderten Juden, faktisch etwas abseits, am Rande hingestellt.

Seit Dienstag ist das Denkmal offiziell da. Es wird seine Zeit brauchen, um bei allen anzukommen.

Tibor Vogelsang