Dem Neuen Atheismus läuten schon die Totenglocken. Doch er läutet zurück.
„Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht schon irgendwie komisch!“, sagte Michael Schmidt-Salomon bei einem seiner letzten Vorträge. Nun müsse man voranschreiten zum Neuen Humanismus, dessen Ziel, kurz gefasst, darin besteht, die Lebensverhältnisse im Diesseits unter Einbezug naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zu humanisieren. Gleichzeitig stellt er fest, dass die Neuen Atheisten auch Humanisten und Naturalisten sind. Jedoch stürzten sich die Medien aufgrund seiner „subversiven Aura“ vor allem auf den Atheismus von Dawkins und co.
Doch gibt es keine ernstzunehmenden Anzeichen dafür, dass die Religionskritik im Stile der Neuen Atheisten, sowie die dahinter stehenden Personen selbst, irgendwann in nächster Zeit von der Bildfläche verschwinden werden, wenn auch das große Medieninteresse naturgemäß abgenommen hat (allerdings gar nicht mal so sehr, wie man das erwartet hätte). Nun kann man zwar hoffen, dass in Zukunft der Neue Humanismus ebenfalls Gehör finden wird, doch gibt es dafür im englischsprachigen Raum leider ebenfalls keine Anzeichen. Dies ist schon eher der Fall in Deutschland, das nach langer Zeit wieder eine internationale Vorreiterrolle im intellektuellen Diskurs spielen könnte, insofern sich das Projekt einer „Einheit des Wissens“ oder einer „Dritten Kultur“ – der Versöhnung von Geistes- und Naturwissenschaften – erfolgreich entwickeln wird.
Eines der Probleme besteht darin, dass man zwar Sam Harris, Christopher Hitchens und Richard Dawkins als Humanisten bezeichnen könnte, sie diesen Aspekt ihrer Weltanschauung aber selbst nur selten betonen. Sam Harris ist dafür bekannt geworden, sämtliche Kategorisierungen seiner Person abzulehnen. Christopher Hitchens bevorzugt den Begriff „Antitheist“, womit er ausdrücken möchte, dass er den Gottesglauben als ein Phänomen, das offensiv bekämpft werden muss, ablehnt. Richard Dawkins nennt sich mal Bright, mal Naturalist und mal Atheist. Er ändert diesbezüglich ständig seine Meinung. Im Bereich des „Humanismus“ verorten sie sich alle nur selten.
Ein weiteres Problem besteht darin, dass es in den USA und in Großbritannien kein gemeinsames humanistisches Konzept gibt. Man spricht in der Regel vom „säkularen Humanismus“ und meint damit einen nicht näher definierten naturalistischen Humanismus. In der aktuellen Ausgabe (Juni/Juli 2008) des amerikanischen Free Inquiry Magazine – die bedeutenste englischsprachige Zeitschrift zum Thema – findet sich ein Artikel von Lawrence Rifkin mit dem Titel „Evolutionary Humanism for a New Era“. An seinem Inhalt wird leider deutlich, dass er in vollkommener Unwissenheit vom deutschen Stand der Debatte verfasst wurde. Der Evolutionäre Humanismus gehört zu den führenden humanistischen Konzepten in Deutschland und in diesem Artikel wird er behandelt, als hätte es etwas Vergleichbares seit seinem Urheber Julian Huxley nicht mehr gegeben.
Das soll keineswegs bedeuten, dass der Stand der Debatte hierzulande in allen Punkten fortgeschritten wäre. Immerhin muss man betonen, dass der US-Humanismus schon seit Jahrzehnten konsequent naturalistisch ist, was auf Deutschland wohl kaum zutrifft. Man könnte den Unterschied so darstellen, dass wir es in Deutschland traditionellerweise mit einem unklaren säkularen und religiösen Humanismus zu tun haben, der erst in letzter Zeit allmählich von einem konkreten naturalistischen Humanismus abgelöst wird (dem Evolutionären Humanismus), während in den USA traditionellerweise ein unklarer naturalistischer Humanismus vorherrscht.
Dabei betont der Evolutionäre Humanismus vor allem unser Dasein als eine Affenart, als Produkt der Evolution, und beruht konsequenterweise auf einer „evolutionären Ethik“, die Altruismus auf Grundlage des Eigennutzes begründet. Der naturalistische Humanismus begnügt sich damit, ohne übernatürliche Wesenheiten und Phänomene auszukommen, ohne notwendigerweise die Evolutionstheorie besonders zu gewichten.
Man muss im englischsprachigen Raum also mit den Schwierigkeiten kämpfen, die sich aus der mangelnden Betontung des Zusammenhangs von säkularem Humanismus und Atheismus ergeben. Ferner leidet man unter einem fehlenden, gemeinsamen Konzept wie dem des Evolutionären Humanismus.
Doch gibt es auch etwas Positives zu berichten. Die Religionskritik im Stile der Neuen Atheisten ist zum festen Bestandteil des amerikanischen und britischen (und kanadischen) Diskurses geworden. Sie wird ergänzt durch mildere Versionen der Religionskritik, sowie durch versöhnliche Vermittlungsversuche naturwissenschaftlicher Fakten, welche beide aufgrund des Erfolges der Neuen Atheisten an Aufwind gewinnen konnten.
Der Philosoph Austin Dacey fordert in seinem Buch „The Secular Conscience“, dass Religion in den öffentlichen Raum gehöre, also nicht in den Raum des rein Privaten und auch nicht in den Raum des Staates, sondern in den Bereich der öffentlichen Diskussion und Auseinandersetzung. Man könnte so weit gehen und dieses Projekt bereits als Erfolg bezeichnen.
Religion muss sich nun der öffentlichen Kritik aussetzen und hat ihre Sonderrechte im Vergleich zu anderen Weltanschauungen verloren. Die Neuen Atheisten haben einen wichtigen Teilerfolg für sich verbuchen können. Ein weiterer Erfolg zeichnet sich bereits ab, so betonen zunehmend viele Forscher die Unvereinbarkeit von Religion und Wissenschaft, von blindem Glauben und kritischem Denken. In diesem Zusammenhang tut sich ein Neuer Atheist hervor, der zunehmend im Anschluss an seine Kollegen Medienresonanz erfährt: Der 68-jährige Chemiker Peter Atkins, der sich sehr deutlich ausdrückt, wenn es um die Unvereinbarkeit von Wissenschaft und Religion geht. Er wirft sogar die Philosophie gleich mit über Bord, die er für nichts anderes als den primitiveren Vorgänger der Wissenschaft hält.
Dabei ist die Religionskritik keineswegs unwichtig, sondern vielmehr die Grundvoraussetzung aller Kritik. Erst sobald man davon ausgeht, dass es keine längst festgelegte ultimative Wahrheit gibt, welche alle Bereiche des Lebens umfasst, erst dann kann man mit der Philosophie beginnen. Erst dann hat man überhaupt einen Grund, sich Fragen zu stellen.
Dieses Thema wird nun schon seit mehreren Ausgaben im Free Inquiry diskutiert: Was ist wichtiger, was kommt zuerst – die Betonung des Humanismus oder des Atheismus? Schließlich ist es von entscheidender Bedeutung, jene, die ihren Glauben verloren haben, nicht orientierungslos herumstehen zu lassen. Insofern muss man einräumen, dass es zweckmäßig ist, einfach beides zu tun, oder dass bestimmte Individuen eher für den Atheismus argumentieren sollten und andere für den Humanismus. Ein Konkurrenzverhältnis oder die Ablösung des einen durch das andere ist weder notwendig noch angebracht.
Der Begriff des „Neuen Atheismus“ wird uns wohl bald verlassen*. Die Essenz des Phänomens jedoch, der „kämpferisch-aufgeklärte Atheismus“ (MSS) hat sich im öffentlichen Diskurs festgesetzt und wo er das noch nicht getan hat, wird er es bald tun. Und dort wird er auch bleiben, bis die Religionen den selben Weg gegangen sind wie die großen Ideologien des 20. Jahrhunderts. Und wenn Sam Harris Recht behält, dann wird das in den nächsten 30 Jahren geschehen.
*Allerdings nicht diese Artikelreihe. Die Protagonisten des Phänomens zeigen keine erkennbaren Ermüdungserscheinungen.
Andreas Müller
Die Neuen Atheisten
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