Nachruf auf Peter Riedesser

HAMBURG. (hpd) Peter Riedesser ist tot. Der Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum

Hamburg-Eppendorf starb am frühen Freitagmorgen im Alter von 63 Jahren an den Folgen einer aggressiven Krebserkrankung. Michael Schmidt-Salomon erinnert in seinem Nachruf an einen großen Freigeist und Humanisten, der (nicht nur) der Giordano Bruno Stiftung wichtige Impulse gab.

 

Es gibt Menschen, von denen man sich eigentlich gar nicht vorstellen kann, dass sie überhaupt sterben. Zu dieser Sorte Mensch zählte Peter Riedesser. Peter war einer der vitalsten Menschen, denen ich in meinem Leben begegnet bin. Er sprudelte geradezu vor Ideen. In drei Minuten konnte er mehr Projektvorschläge aus dem Hut zaubern als ein ganzes Team von PR-Beratern in drei Tagen. Man hätte drei Dutzend Giordano Bruno Stiftungen gebraucht, um all die verrückten, klugen, witzigen Einfälle, die Peter hervorbrachte, umsetzen zu können.

Dabei war er alles andere als ein Traumtänzer. Was Peter tat, hatte stets Hand und Fuß. Er stürzte sich zwar mit großer Leidenschaft in seine Projekte, doch niemals kopflos. So locker er auch wirkte, seine Arbeit nahm er ungeheuer ernst. Um seine Zeit möglichst effizient zu nutzen, hatte er einen persönlichen „Zeitmanager" engagiert, der ihm half, die vielen Projekte, in die er involviert war, zu koordinieren. Selbst als er wusste, dass er bald sterben würde, blieb er aktiv. So ließ er mir noch wenige Tage vor seinem Tod einen Hinweis auf eine neue Publikation zukommen, von der er dachte, dass ich sie für mein aktuelles Buchprojekt verwerten könnte. „Ruhen kann ich, wenn ich tot bin!", hat er mir einmal gesagt. Offensichtlich hat er diese Maxime bis zum Schluss verfolgt.

Peter Riedesser war ein Mensch, der nicht nur die Fähigkeit besaß, sich für neue Ideen zu begeistern, sondern auch andere mit seiner Begeisterung anzustecken. So animierte er Tennis-Ikone Steffi Graf zur Gründung der Stiftung „Children for tomorrow", die sich für kriegstraumatisierte Kinder in aller Welt einsetzt. Gemeinsam mit dem ehemaligen Tennisstar sowie vielen anderen Unterstützerinnen und Unterstützern rief er Hilfsprojekte für minderjährige Kriegsopfer in Hamburg, Südosteuropa, Afrika sowie im Nahen Osten ins Leben und brachte die führenden Traumatologen der Welt zusammen, um nach Wegen zu suchen, wie man Kindern, die Schreckliches erlebt haben, besser helfen kann. Darüber hinaus fand er auch noch Zeit, in den Vorständen der „Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie" sowie der „Ärzte gegen den Atomkrieg" (IPPNW) aktiv mitzuwirken.

Peters Publikationen waren stets brisant. In den 1980er Jahren rechnete er gemeinsam mit Axel Verderber mit der deutschen Militärpsychiatrie ab. Die Bücher „Aufrüstung der Seelen" und „Maschinengewehre hinter der Front" verursachten, so „Die Zeit" in einem lesenswerten Feature über den „Seelenorganisator" Riedesser, „einen heftigen Skandal". Das 1998 erschienene, gemeinsam mit Gottfried Fischer verfasste Standardwerk „Lehrbuch der Psychotraumatologie" wertete Tilman Moser zu Recht als „Paukenschlag zur Grundlegung eines neuen Faches".

In den letzten Jahren hat Peter gemeinsam mit Axel Verderber an einem neuen Buch gearbeitet, von dem er sich große Breitenwirkung erhoffte. Das Buch sollte sich einem besonders tabuisierten Thema widmen, nämlich der religiösen Traumatisierung von Kindern. Wie wichtig Peter dieses Thema war, zeigt sich darin, dass er noch auf dem Sterbebett, einen Tag vor seinem Tod, mit seinem guten Freund und Kollegen Axel Verderber besprach, wo er welche Quellen finden und was er bei der Niederschrift des Buches vielleicht noch berücksichtigen könne.

Die Bedeutung, die Peter dem Thema „religiöse Traumatisierung" zumaß, war zum Teil autobiographisch begründet. 1945 in einem kleinen Dorf in Oberschwaben geboren, kam er in den Einflussbereich eines katholischen Geistlichen, der ihn unbedingt zum Priester machen wollte. Glücklicherweise wurde Peter dabei aber „bloß religiös neurotisiert, nicht traumatisiert", wie er später sagte. Er kurierte sich selbst, indem er Schopenhauer und Nietzsche las. Nachdem er zunächst ein geisteswissenschaftliches Studium begonnen hatte, folgte er seinem Vorbild Albert Schweitzer und studierte Medizin. 1979 nahm er eine Anstellung als Kinder- und Jugendpsychiater an der Universitäts-Kinderklinik in Freiburg an. 1991 folgte er dem Ruf nach Hamburg, wo er den Posten des Direktors der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie antrat. Kurz bevor ihn die schreckliche Diagnose „Bauschspeicheldrüsenkrebs" traf, stand er, wie er damals sagte, auf dem Zenit seiner Schaffenskraft. Er hatte vieles erreicht, aber noch sehr viel mehr vor. Doch die schwere Erkrankung machte ihm einen Strich durch die Rechnung.

Eine Geschichte, die Peter sehr gut charakterisiert, ereignete sich in seiner Zeit als Assistenzarzt an der Freiburger Kinderklinik. Dort gab es eine integrierte Kapelle mit katholisch geweihtem Altar, die nur selten genutzt wurde. Peter brachte den damaligen, sehr frommen Klinikdirektor so weit, dass dieser schließlich schweren Herzens zustimmte, die Kapelle in einen Klinikkindergarten umzuwandeln. Ein hoher Würdenträger des Freiburger Erzbistums musste den Altar „entweihen", bevor er mit dem Presslufthammer entfernt werden konnte. Auf diese Weise kam die Freiburger Kinderklinik zu einem Kindergarten mit einem wunderschönen modernen Kirchenfenster aus buntem Glas.

Ich kann für den gesamten Vorstand der Giordano Bruno Stiftung sprechen, wenn ich sage, dass es für jeden von uns eine große Ehre und ein Vergnügen war, mit einem so außergewöhnlichen Menschen wie Peter Riedesser zusammenzuarbeiten. Wir werden seinen Mut, seinen Humor, seine Kreativität, sein Wissen, seinen Elan, seine Freundlichkeit sehr vermissen. Mit ihm verlieren wir nicht nur einen der aktivsten Beiräte unserer Stiftung, sondern auch einen guten Freund, auf den wir uns hundertprozentig verlassen konnten, auch wenn es einmal hart auf hart kam. Peter war eine große Inspirationsquelle für uns alle. Wir werden uns mit allen zur Verfügung stehenden Kräften darum bemühen, das weiterzuführen, was er begonnen hat...

Michael Schmidt-Salomon