BERLIN. Zum Thema „Säkulare Geschichtspolitik in
Deutschland und freidenkerisches Erbe“ hatte die Friedrich-Ebert-Stiftung (fes) am 18. November zu einer Konferenz ihrer Politischen Akademie mit der Humanistischen Akademie Deutschland eingeladen. Dr. Johannes Kandel und Dr. Horst Groschopp leiteten die Tagung.
Am 19. November wurde die Veranstaltung im Theatersaal des Kulturhauses in Friedrichshain fortgesetzt. Einlader war nun die Berliner Humanistische Akademie.
Ein Motiv der Organisatoren stellten die aktuellen politischen Konflikte um die Erinnerungskultur in den Medien und im Gedenk- und Ausstellungsbetrieb in Deutschland dar. Michael Bodemann hatte dieses kulturell-politische Umfeld bereits 2001 als „Gedächtnistheater in Deutschland“ bezeichnet. Paul Ricæur nannte es 1999 „das verletzte Gedächtnis“.Nachdem 2005 provokatorisch gefragt worden war, ob der Humanismus der Konfessionsfreien auf dem Wege ist eine „dritte Konfession“ zu werden, ging es diesmal um die Frage, ob säkulare Humanisten im kulturellen Gedächtnis überhaupt vorkommen und wo zu suchen wäre, wenn sie darin einen Platz haben. Geschichtspolitik wurde dabei die Verquickung der kulturellen Legitimation mit den politischen Entscheidungen selbst verstanden, wenn es um öffentliche Gedächtnisstätten, Denkmale, Ausstellungen, Stelen, Schilder, Landkarten, Hinweistafeln usw. geht.
Die Debatte darüber war verbunden mit der Diskussion der unentwickelten eigenen Gedächtnispolitik der Säkularen, die an der aktuellen Situation großen Anteil hat – der Identitätskrise in vieler freigeistiger Organisationen. Vereinfachendes, nostalgisches und subjektivierendes Zurück-Schauen blockiert den Blick auf das, was befähigen kann, sich neu aufzustellen und anerkannter Teil der Geschichtskultur zu werden.
Prof. Dr. Hermann Glaser, Roßtal, referierte einleitend und generalisierend über „Humanismus als Kern von Geschichtskultur?“ Er benutzte Jan Rüsens Definition der Geschichtskultur und das Bild von der Ausstellung gesammelter Knöpfe, die zu verstehen der Ausstellung der dazugehörigen Knopflöcher bedarf, um das Fehlen von Humanismus als einer Orientierung in der Erinnerungskultur zu kritisieren, angesichts einer Inflation der Schaustellung von Artefakten aller Art. Er forderte die Ersetzung von Geschichte durch Kulturgeschichte und das intellektuelle Überprüfen der sichtbaren Zeichen. Am Beispiel des Begriffs „Hartz IV“ beklagte Glaser zum Schluss die antihumanistische Bezeichnung einer ganzen Bevölkerungsklasse.
Prof. Dr. Susanne Lanwerd, Berlin, interpretierte ihr Thema „Zeichen der Säkularität im öffentlichen Raum“ wie (erfreulicherweise) gewohnt geschlechterspezifisch, ästhetisch und religionswissenschaftlich. Nach notwendigen Begriffsklärungen erläuterte sie am Beispiel der Pieta von Käthe Kollwitz in der Berliner Neuen Wache und anderen öffentlich sichtbaren Denkmalen den säkularen Gebrauch ehemals sakral genutzter christlicher Bilder und setzte sie in Kontrast zu von vornherein säkular gemeinten Erinnerungsinszenierungen.
Dr. Horst Junginger, Tübingen, widmete sich „Aktuellen Fragen der Vergangenheitspolitik“ am Beispiel der Geschichte der Apologetischen Centrale von der Weimarer Republik bis in die Gegenwart der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. Dabei ging er detailreich auf Kurt Hutten und Axel Künneth ein. Die Biographie und das Werk Huttens wurden als Anbiederungsleistung an die Gestapo und als Verdrängungsgeschichte der protestantischen Kirche nach 1945 beschrieben.
In vier Arbeitskreisen kam es anschließend zu teils heftigen Diskussionen, besonders im Arbeitskreis „Freireligiöse und Nationalsozialismus – Replik auf eine Debatte“ (Christian G. Langenbach, Nidderau). Hier ging es um die Bewertung öffentlicher, sich nach 1933 an den Nationalsozialismus sich anbiedernder Äußerungen führender südwestdeutscher Freireligiöser, die auch rassistische Aussagen enthielten. Dem wurde entgegen gehalten, dass dies nicht für alle Freireligiösen verallgemeinert werden dürfe. Das bestätigte der Referent, betonte aber seine nachweislichen Befunde, das Lob für seine Arbeit durch den bfgd und die Hoffnung, dass es möglich sein werde, weiteres – auch entlastendes bzw. differenzierenderes – Material zu finden. Michael Schmidt, Berlin, dem im Wesentlichen die Humanismus-Wanderausstellung zu verdanken ist – z.Z. im Kulturhaus Friedrichshain zu sehen <hpd-online> –berichtete über die Schwierigkeit „Freidenker im antifaschistischen Widerstand“ zu erforschen und aus der Widerstandsgeschichte gegen den Nationalsozialismus zu filtern. Dafür nannte er Beispiele.
Manfred Isemeyer, Berlin, hatte sich der Mühe unterzogen, einen Überblick über vielgestaltige und wechselvolle „Freigeistige Bewegungen in der Bundesrepublik 1945-90“ zu geben. Es war dies der erste Versuch einer vollständigen Bestandsaufnahme und vorsichtigen Wertung. Die Teilnehmer der Diskussionsrunde rangen dem Referenten das Versprechen einer Publikation der Forschungsergebnisse ab.
Dr. Horst Groschopp, Berlin, ging bei seiner Analyse des Zusammenhangs von „Atheismus und Realsozialismus in der DDR 1945-1990“ von der (von Heiner Meulemann übernommenen) These aus, dass ohne die Einführung des Atheismus die DDR nicht als Staat entstanden sei und fügte hinzu, dass sie nicht am Erstarken der Kirche untergegangen wäre. Dem schloss der Referent die Frage an, wie die Methoden in der DDR angesichts des positiven Ergebnisses für Atheisten zu sehen sind. Bisher fehle eine Geschichte des Atheismus in der DDR.
Die Humanistische Akademie Berlin lud am 19. November zur Fortsetzung der Konferenz in den Theatersaal des Kulturhauses Friedrichshain. Es referierte zunächst Prof. Dr. Günter Kehrer, Tübingen, zur Frage „Warum es kein freidenkerisches Erbe in der Kultur der BRD gibt – eine Betrachtung aus religionswissenschaftlicher Sicht“. Dem schloss sich Prof. Dr. Dietrich Mühlberg, Berlin, an: „Welche sozialkulturellen Defizite 1987/89 zur Gründung des Freidenkerverbandes in der DDR führten – eine Betrachtung aus kulturwissenschaftlicher Sicht“. Kehrer ging von den zunehmenden kirchlichen Ritualen in der öffentlichen Feierkultur aus, die – sogar im Gegensatz zu den 1950er Jahren – auf die Nichttrennung von Staat und Kirche hinauslaufen. Die Entkonfessionalisierung der christlichen Religion habe diese Prozesse befördert. Hinzu kam die Verstaatlichung der katholischen Soziallehre im Bundessozialhilfegesetz. Dies schuf die sozialpolitische Grundlage für die Machtkonsistenz der Kirchen. Kehrer sah in diesem Vorgang einen Anpassungsprozess kirchlicher Rituale an öffentliche Inszenierungen. Der Freidenkerei wiederum habe dagegen hier – wie in weiteren Bereichen – stets die Verbindung mit großen politischen Bewegungen / Parteien gefehlt, um sich zu etablieren.
Mühlberg schilderte anschaulich und pointiert in Thesenform das Verhältnis von Staat, SED, Religion und Kirchen in der DDR. Die sozialkulturellen und politischen Mängel, die einige der Mitgründer des DDR-Freidenkerverbandes 1989 motivierten, seien schon im Gründungsprozess enttäuscht worden. So dachten einige der Initiatoren z.B., dass die Probleme lesbischer und schwuler Subkulturen an den neuen Verband zu binden wären. Es ging im Kern darum, ob die Fragen in die Mitte gerückt werden sollen, auf die es keine oder nur wenig schlüssige Antworten gab oder ob es um die geschickte Propaganda von Gewissheiten gehen solle. Da sich Letzteres durchsetzte habe der neue Verband das Gründungsziel vieler Enthusiasten verfehlt und ein neuer Apparat neben anderen „Massenorganisationen“ habe sich kurzzeitig etabliert.
Die Konferenz wird im Frühjahr 2007 im Heft 20 von <humanismus aktuell> dokumentiert:
ISBN 3-937265-08-2
Horst Groschopp