„Ein extrem fruchtbarer Erklärungsansatz"

BONN. (hpd) Im Mai 2007 fand in Trier ein Kongress zum Thema „Evolution und Kreationismus in Wissenschaften und Gesellschaft" statt. Nun ist im Alibri Verlag die Dokumentation der spannenden Vorträge erschienen. Der Humanistische Pressedienst sprach mit einem der Organisatoren der Tagung, Christoph Antweiler.

 

Christoph Antweiler lehrte damals in Trier und ist heute Leiter der Abteilung für Südostasienwissenschaft am Institut für Orient- und Asienwissenschaften an der Universität Bonn und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Giordano Bruno Stiftung.

hpd: Die Tagung verfolgte einen interessanten Ansatz: Kreationismus und Intelligent Design wurden nicht einfach verdammt, sondern zugleich haben einige Vorträge die Leistungsfähigkeit der Evolutionstheorie reflektiert. Wie sind die Reaktionen darauf ausgefallen?

Christoph Antweiler: Die Reaktionen waren durchweg positiv. Es ist einfach wichtig, zu zeigen, dass die Theorie Darwins leistungsfähig ist und wie fruchtbar sie ist. Ein weiterer Grund, die Evolutionstheorie zu diskutieren, liegt darin, dass es verschiedene Kreationismen gibt, die zwar allesamt unwissenschaftlich sind, aber unterschiedlich mit der Evolutionstheorie umgehen. So verwendet der Ansatz des Intelligent Design ausgewählte Versatzstücke der biologischen Evolutionstheorie, um seine religiöse Botschaft wissenschaftlich erscheinen zu lassen. Die Vertreter dieser Variante des Kreationismus sind - leider - ziemlich intelligent. Das gilt auch für ihre Nutzung der Massenmedien. Ein Problem ist derzeit, dass in der breiten Öffentlichkeit vielfach gar nicht mehr klar ist, was Wissenschaft von Glauben unterscheidet. Und das nutzen Kreationisten und andere Fundamentalisten in cleverer Weise.

Geht es zu weit, den Kongress als Versuch anzusehen, anhand eines populären Beispiels materialistische und idealistische Denkansätze voneinander abzugrenzen?

Das geht nicht zu weit. Es wurde vor allem eine naturalistische Perspektive präsentiert. Es sollte aber kein materialistisches Dogma begründet werden. Wenn alle einer Meinung sind, bin ich immer skeptisch und die Vortragenden waren dann auch längst nicht über alles einer Meinung. So gab auch deutliche Kritiken am Naturalismus.

Ein anderer wichtiger Aspekt des Kongresses war die Diskussion darüber, inwieweit evolutionstheoretische Ansätze für sozial- und kulturwissenschaftliche Fragestellungen nutzbar gemacht werden können. Rechnen Sie damit, dass Sozial- und NaturwissenschaftlerInnen in Zukunft diesbezüglich verstärkt ins Gespräch kommen?

Ich hoffe das, denn die Darwinsche Theorie ist - vor allem wenn man sie verallgemeinert - also von Genetik und Umweltselektion im engen Sinn trennt, und damit substratneutral formuliert - ein extrem fruchtbarer Erklärungsansatz. Ich wünsche mir diesen Dialog also, aber ich rechne nicht damit. Der Graben zwischen den beiden „Kulturen" der sogenannte Natur- und Geisteswissenschaften wird gegenwärtig in Deutschland eher wieder tiefer. Die Phänomene der menschlichen Welt liegen aber quer zu dieser kruden Unterscheidung. Dazu kommt massives Unwissen. Kaum zu glauben, aber die Evolutionstheorie ist nicht nur beim Bürger, sondern auch unter Wissenschaftlern viel zu wenig bekannt. Jeder kennt nämlich den Namen Darwin, aber die meisten Bürger verbinden falsche Vorstellungen damit, wie zum Beispiel den Kampf zwischen Tierarten. Auch viele Wissenschaftler außerhalb der Biologie sind ahnungslos. Sie verwechseln zum Beispiel ideologischen „Sozialdarwinismus" mit Evolutionstheorie oder kennen den Unterschied zwischen den Theorien von Konrad Lorenz und der Soziobiologie gar nicht.

Gibt es seitens der Veranstalter oder aus dem Kreis der Unterstützer des Kongresses Überlegungen, diesen Diskurs weiter zu fördern?

Ja, denn erstens ist Evolutionstheorie wichtig, zweitens ist der Kreationismus virulent und drittens war der Kongress sehr erfolgreich. Wir machen also weiter, aber mit verschiedenen Aktivitäten und auch durchaus unterschiedlichen Ausrichtungen. Dazu nur zwei Beispiele. Die Giordano Bruno Stiftung verfolgt das Thema weiter in Bezug auf einen evolutionären Naturalismus, der jeglichen Fundamentalismen in Religionen entgegentritt. Im Februar 2009 wird die Fachgruppe Biologie der TU Dortmund, Prof. Dr. Dittmar Graf, in Kooperation mit dem Max Planck Institut für molekulare Physiologie, eine größere Tagung unter dem Titel "Einstellung und Wissen zu Evolution und Wissenschaft in Europa (EWEWE)" durchführen.

Der Titel des Trierer Kongresses lautete „¡Die erschöpfte Theorie?" - war also mit einem Fragezeichen versehen. Das Buch erscheint nun mit dem Titel „Die unerschöpfte Theorie". Deutet das darauf hin, dass die Diskussionen auf und nach dem Kongress die Fragestellung beseitigt haben?

Der Titel sollte vor allem zum Denken anregen! Und diese produktive Verunsicherung ist voll gelungen. Es gab viele und ganz unterschiedliche Reaktionen. Die Feststellung, dass die Theorie Darwins noch lange nicht ausgeschöpft ist, kann als allgemeiner Befund des Buchs klar getroffen werden, also ein Ausrufezeichen. Die Fragestellungen sind damit aber noch lange nicht beseitigt. Das gilt sowohl für inhaltliche Anwendungen der Evolutionstheorie wie auch für strategische Fragen in der Arbeit gegen Kreationismen. In Bezug auf die Erklärung von Gesellschaften und ihren Wandel müssen wir noch viel klarer über verschiedene Ziele und Ebenen von Erklärungen reden. Beim Einsatz gegen den Kreationismus ist es eine meines Erachtens offene Frage, ob man nicht auch Vertreter der Kirchen einbeziehen sollte, denn die meisten unter ihnen lehnen zumindest die meisten Varianten des Kreationismus ab.

Nächstes Jahr steht uns das Darwin-Jahr ins Haus. Welche Debatte über das Erbe Charles Darwins wäre Ihrer Ansicht nach notwendig oder nutzbringend?

Bevor man debattieren kann, ist es wichtig, Darwinsche Erklärungen überhaupt bekannt zu machen. Nutzbringend für die Wissenschaften vom Menschen wäre eine systematische Klärung, welche sozialen bzw. kulturellen Prozesse mit einem Darwinschen Ansatz besser verstanden und sparsamer erklärt werden können als mit anderen Theorien. Nötig für die breite Öffentlichkeit wäre noch etwas viel grundlegenderes. Es sollte klar gemacht werden, dass Wissenschaft nicht nur eine unter mehreren Glaubensformen ist, sondern eine ganz besondere - intersubjektive und damit auch interkulturelle - Erkenntnisform.
Ich bewundere Charles Darwin, aber wünsche mir ein Darwin-Jahr, das uns wenig Hagiographie und dafür mehr Kenntnisse und Dialoge bringt - über Evolution und Wissenschaft überhaupt!

Danke für das Gespräch.

Die Fragen stellte Martin Bauer.

Christoph Antweiler / Christoph Lammers / Nicole Thies (Hrsg.): Die unerschöpfte Theorie. Evolution und Kreationismus in Wissenschaft und Gesellschaft. Aschaffenburg 2008. Alibri Verlag, 224 Seiten, Fotos, kartoniert, Euro 15.-, ISBN 3-86569-078-5

Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.