NANCY - Frankreich. (hpd) Gegen die bereits im Oktober 2007 wegen religiöser Diskriminierung verurteilte Frau Truchelut wurde am 9. Oktober das Urteil des Berufungsprozesses vom September ausgesprochen. Das Gericht bestätigte im Wesentlichen die Verurteilung und provozierte eine erneute kontroverse Diskussion in den laizistischen Kreisen Frankreichs.
Am vergangenen Donnerstag, den 9. Oktober 2008, wurde Frau Truchelut in zweiter Instanz nun doch verurteilt. 4.000 Euro und 2 Monate Gefängnis auf Bewährung (statt 4 Monaten im ersten Prozess) war die Strafe für die Übernachtungsverweigerung von zwei verschleierten muslimischen Frauen in ihrem Hotel (hpd berichtete).
Ähnlich wie zu Beginn des ersten Prozesses waren auch jetzt die Meinungen in den laizistischen Kreisen Frankreichs sehr unterschiedlich, obwohl die Diskussion jetzt weniger intensiv war. Zur Illustration der Meinungsdifferenzen stellen wir hier nur die Meinung von Frau Nadia Geerts (eine in frankofonen Kreisen bekannte Streiterin gegen die Kirchen) und der MRAP (Bewegung gegen den Rassismus und für die Freundschaft unter den Völkern) einerseits und die der Risposte Laique (eine radikal atheistische Zeitschrift) gegenüber.
Religiöse Diskriminierung, oder ...
Nadia Geerts meint zunächst, dass nicht jede Forderung nach weltanschaulicher Neutralität in öffentlichen Räumen als religiöse Diskriminierung zu gelten habe und dass das Tragen eines Schleiers ein Symbol gegen die Gleichstellung der Geschlechter darstelle. Sie betont jedoch, dass man diese Forderung nach Neutralität nicht auf Räume wie ein Hotel, ein Geschäft oder einen Bahnsteig erweitern kann. Wenn der Staat verfassungsmäßig die Laizität und die Gleichheit zwischen Männern und Frauen bestätigt, bedeutet das sehr wohl, dass diese zwei Grundsätze fest im staatlichen Raum verteidigt werden müssen - das heißt in den Gebäuden, die den Staat repräsentieren, und für die Beamten, die ihn, in der Ausübung ihres Amtes, verkörpern.
Andererseits und selbst wenn der Schleier sie persönlich stört, glaube sie nicht das Recht zu haben, von einer Muslima zu fordern, dass sie ihn wegnimmt, weder in öffentlichen Räumen, noch in Orten wie Hotels oder Geschäften. Denn letztendlich sind die Bürger nicht unter allen Umständen gezwungen neutral zu sein. Und sie müssen nicht die Gleichheit zwischen Männern und Frauen in jeder der geringsten Handlung ihres täglichen Lebens respektieren. Wenn die Frau zwei Meter hinter dem Mann auf dem Bürgersteig geht, um deutlich ihre Unterordnung unter dem Mann zu markieren, wird kein Polizeibeamter intervenieren.
Dass ein Urteil wie dieses die Laizität schwächt, glaubt Frau Geerts nicht, im Gegenteil, es stärkt sie, indem hier Zeichen gesetzt werden, die deutlich einen laizistischen von einem theokratischen Staat unterscheiden, der behauptet, alle Aspekte des Lebens der Individuen zu bestimmen. (Französisch)
Auch die MRAP (Bewegung gegen den Rassismus und für die Freundschaft unter den Völkern), die als Kläger gegen Frau Truchelut auftritt, drückt, trotz der Strafverminderung, Zufriedenheit über die Entscheidung aus, die das Diskriminierungsvergehen bestätigt. Für die MRAP ist diese Angelegenheit aufschlussreich für den beunruhigenden Versuch, diskriminierende Handlungen gegen Personengruppen aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit auszuweiten. Diese Art der Diskriminierung bedürfe - im Namen der Universalität der menschlichen Würde - eine permanente Wachsamkeit und die Mobilisierung all jener, für die der Rassismus ein und unteilbar ist. (Französisch)
...pro islamische Toleranz
Anne Zelensky in Riposte Laique ist anderer Meinung. Frau Truchelut wurde wegen „religiöser Diskriminierung" verurteilt. Wo war aber die Diskriminierung, fragt sie. Kam die Provokation nicht von Seiten dieser Frauen, die anderen ein diskriminierendes Zeichen auferlegten in einem Land, wo die Gleichheit der Geschlechter ein Grundsatz ist? Außerdem hat das Hotel, halb öffentlichen halb privaten Charakter. Fanny Truchelut, als Eigentümer, hat das Recht, dort ihre Regeln aufzuerlegen. Was den „religiösen" Grund des Urteils betrifft, stand er im vorliegenden Fall außerhalb der Betrachtung. Der Schleier ist kein Zeichen religiöser Zugehörigkeit. Er ist vor allem das klare Symbol einer Trennung der Geschlechter.
In anderen Zusammenhängen haben die Magistrate schon den Beweis der Unterscheidung erbracht. Sie konnten die Bewilligung der französischen Staatsangehörigkeit für eine Frau ablehnen, die eine Burka trägt; sie konnten die Anwesenheit einer Frau ablehnen, die in einer Jury verschleiert Platz nehmen wollte; sie konnten die Annullierung einer Zivilehe ablehnen, weil der muslimische Ehemann die Jungfräulichkeit seiner Frau nicht akzeptierte.
Das neue Urteil ist nach Frau Zelensky folgenschwer und es entstehen viele Fragen. Wie z. B.: Warum werden die Laizität und die Würde der Frauen durch einige Magistrate verteidigt und nicht durch alle? Warum wird der Schleier nur in den Schulen und in bestimmten Institutionen des Staates verboten und nicht überall sonst? Dieses Urteil wäre die offene Tür für einen Islam, der immer weniger maskiert vorrückt. (Französisch)
Maurice Vidal stellt in derselben Zeitschrift das Problem unter das Zeichen der Philosophie der Toleranz. Nach ihm wurde Frau Truchelut durch das Gericht im Namen der Toleranz bestraft. Vidal argumentiert dann sehr emotional, dass die Toleranz hier nur als ein falscher Wert verwendet wurde. Werte können nicht bewiesen werden, sie werden erprobt. Wahrheiten erprobt man kaum sind aber bewiesen. Wenn die Vernunft spricht, schweigt die Toleranz. Spricht die Toleranz, schweigt die Vernunft. Das Urteil über Frau Truchelut gehört deshalb zum Irrationalen, denn es ist die direkte Folge des Toleranzverständnisses der Geschworenen. Es wäre ebenso, wenn Fanny unschuldig erklärt worden wäre.
Unter nur einer Bedingung ist es möglich aus diesem Kreis herauszukommen: dass man „Wahrheit" und „Wert" trennt. Wenn die Wahrheit der Wert schlechthin ist, dann ist jeder Wert, der nicht wahr ist, falsch und im weiteren Verlauf ohne Wert. Mehr noch, wenn der Wert nur durch die Wahrheit besteht, dann müssen alle Werte sich ihr unterwerfen. Daher impliziert eine selbe Wahrheit für alle, die gleiche Moral für alle, eine selbe Politik für alle, eine selbe Religion für alle. Mit anderen Worten: außerhalb der Wahrheit, der Partei, der Religion, kein Segen. „Wahrheit" und „Wert" verwechseln, bedeutet zu sagen, dass nichts außer der Wahrheit, noch gegen sie besteht.
Aber welches also ist diese Wahrheit, die die Wahrhaftigkeit aller Werte ausmacht, fragt Herr Vidal. Es kann nur „die göttliche Wahrheit" sein, denn sie allein ist immer wahr, das heißt ewig wie Gott selber. Es ist offensichtlich, dass von einem solchen Ursprung geprägt, diese Wahrheit sich als DIE Wahrheit und im weiteren Verlauf als die Moral aufdrängt. Denn die Moral ist nur moralisch, wenn sie auf der Wahrheit basiert. Aber das zu sagen bedeutet, dass die Moral von „religiösem" Wesen ist, da sie uns mit dem Göttlichen „verbindet", das das Wahre ist. Deshalb verbindet die Religion uns mit der Wahrheit. Das hat zur Folge, den Ausdruck „religiöse Wahrheit" zu einem Pleonasmus zu machen. Das ist die Logik, welcher die Richter, nach Herrn Vidal, gehorcht haben. Es ist das, was der islamische Schleier bedeutet. Der tödliche Fehler all jener, die nicht begreifen, dass die Toleranz nie a priori annehmbar ist, denn es ist immer der Inhalt eines Wertes, der erlaubt über ihn zu urteilen. Nicht der Wert entscheidet a priori über seinen eigenen Inhalt. Deshalb gibt es unannehmbare Werte! Ja, die Werte sind von ungleichem Wert! Lebensregeln die sich von den ewigen Wahrheiten Allahs nähren sind unvereinbar mit der Republik, denn ihre Anwendung kann nur anstatt der Republik erfolgen.
Es muss dringend daran erinnert werden, dass die Republik „einig und unteilbar ist", sagt Herr Vidal, und dass der Schleier ihn zerteilt. Wissen diese Richter wenigstens, dass die Toleranz paradox ist, dass „wenn man von einer absoluten Toleranz ist, sogar gegenüber den Untoleranten, und man die tolerante Gesellschaft gegen ihre Angriffe nicht verteidigt, die Toleranten und mit ihnen die Toleranz vernichtet werden"? (Karl Popper) Vidal schließt mit der Warnung, dass die französischen und europäischen Werte nur eingehalten werden können, wenn wir den Mut und die Intelligenz haben, sie gerade im Namen der Trennung der Wahrheit vom Wert zu erzwingen? (Französisch)
Hilfsaktionen für Frau Truchelut
Riposte Laique organisierte bereits nach dem ersten Prozess eine erste finanzielle Solidaritätskampagne, damit Frau Truchelut ihren neuen Rechtsanwalt zahlen konnte. Jetzt organisiert sie eine Spendenaktion, um die Schadenersatzforderungen zu bewältigen. Zwei Abgeordnete haben auch jeder einen Gesetzesentwurf vorgelegt in dem Sinne, dass keine religiöse oder kulturelle Vorschrift es jemandem erlauben darf, sein Gesicht auf der Straße gänzlich zu verschleiern. Der ehemalige Minister, Françoise Hostalier, der sich auf die Unterschrift von sechzig Abgeordneten stützt, schlägt ein Gesetz vor, das darauf abzielt, das Tragen von Zeichen oder von Kleidung, die offensiv eine religiöse, politische oder philosophische Zugehörigkeit ausdrucken, zu verbieten. Dies sollte für jede Person gelten, die eine öffentliche Einrichtung vertritt, mit einer öffentlichen Aufgabe beauftragt ist oder daran gemeinsam teilnimmt. (Französisch)
Eine erste Pressekonferenz zu dem Urteil wurde bereits in Paris abgehalten. Frau Truchelut selbst rief hier auf zur Gründung eines Netzwerkes „A voix haute" (mit lauter Stimme). Dazu sagte sie u. a.: „Wir haben sehr gut organisierte und finanziell mächtige Leute vor uns. Um zu handeln, ist es zuerst notwendig, uns zu strukturieren. Die Gesetze werden von den Abgeordneten angenommen. Seit mehreren Jahren machen sie alles, um Stimmen zu sammlen. Es ist an der Zeit, ihnen zu zeigen, dass sie davon auch welche verlieren können."
Das Netz wird für all jene geöffnet, die sich vor Ort engagieren wollen. Ein Textentwurf für einen eigenen Gesetzesvorschlag ist in Arbeit und wird an diese Personen gesendet. Dann sollten 2 bis 3 Vertreter jedes Wahlbezirkes ihren Abgeordnete aufsuchen und von dem Gesetzentwurf überzeugen. Damit ein Gesetzesentwurf auf der Tagesordnung der Nationalversammlung gesetzt werden kann, braucht man nur die Unterschrift von 60 Abgeordneten. (Französisch)
Übersetzung: Rudy Mondelaers