Gesetzgebungsverfahren Patientenverfügungen

BERLIN. Für Überraschungen durchaus noch offen ist der Weg, wie in Deutschland die rechtliche Verankerung

 der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen geregelt werden soll, nämlich „aus der Mitte des Hauses“ des Deutschen Bundestages.

Hier werden jetzt die Abgeordneten selbst initiativ. Sie suchen für ihren Standpunkt – falls sie am Thema ein besonderes Interesse haben – Bundesgenossen in ihren eigenen Fraktionen und bei anderen, um eine Mehrheit im Bundestag für die eigene Position oder einen schönen Kompromiss zu erreichen. Was dabei letztlich herauskommt, das ist offen. Es ist durchaus umstritten, ob die Sache überhaupt juristisch anders als bisher geregelt werden soll oder ob der durch Gerichtsurteile verfasste Status quo zu verstetigen oder ob aus religiösen, ethischen, medizinischen oder sonstigen Gründen versucht werden soll, diesen Rechtsstand zurück zu drehen. Das wird zu verfolgen sein.

Inzwischen hat, nach den Ethikdebatten der letzten Jahre, erneut die Anhörung von Experten begonnen. Wie sollte es anders sein: die beiden christlichen Kirchen werden zuerst gehört. Die SPD-Abgeordnete Kerstin Griese (Niederberg/Ratingen, Nordrhein-Westfalen), Vorsitzende des „Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend“, der „Netzwerkgruppe“ zugerechnet („Rheinische Post“, 20.11.2006), hat für morgen (22.11. 2006) zu einem Fraktionsoffenen Gespräch zum Thema Patientenverfügungen hochrangige Kirchenfunktionäre eingeladen. Weitere solche Gespräche werden folgen. Die anderen Fraktionen und einzelne Abgeordnete werden nachziehen. Dem Vernehmen nach arbeitet der rechtspolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Joachim Stünker (Rotenburg-Verden, Niedersachsen), an einem konsensfähigen Papier. Man wird sehen. 

Der nun eingeschlagene Weg, „aus der Mitte des Hauses“ zu einer Lösung zu kommen, wurde erforderlich, da der Antrag der FDP-Fraktion vom 26.01.2006 scheiterte. Dieser <Antrag> forderte die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die notwendigen Klarstellungen zur Bindungswirkung von Patientenverfügungen vornimmt.

Das bisher reich vorhandene Material zur gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung macht es für den Bürger / die Bürgerin nicht einfach, dem Fortgang zu folgen und – wie zu erwarten bei diesem Thema – die Sach- von den Moralfragen zu unterscheiden. Es ist schwierig, hinter den ideologischen Nebelwänden das Licht zu erkennen, das den eigenen Weg nach Autonomie am Lebensende beleuchtet. Wer tiefer eindringen möchte in die bisherigen Kontroversen um ein zukünftiges Gesetz zu Patientenverfügungen, der findet hier zahlreiche <Dokumente>.

Ein Blick zurück: Noch 2003/2004 schien ein eigener Gesetzentwurf der Bundesjustizministerin Zypries möglich. Am 10. Juni 2004 übergab die Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“ (die sog. „Kutzer-Kommission“, benannt nach dem Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Klaus Kutzer im Ruhestand, der die AG leitete) ihren Abschlussbericht. Die AG hatte sich mit Fragen der Verbindlichkeit und Reichweite von Patientenverfügungen befasst. Der <Bericht>  wurde in einer <Pressemitteilung> umfänglich vorgestellt:  

Er enthält neben Thesen und Empfehlungen an den Gesetzgeber im Betreuungs- und im Strafrecht auch Formulierungshilfen, die Bürgerinnen und Bürgern das Abfassen einer individuellen schriftlichen Patientenverfügung erleichtern sollen. Dazu gibt es eine hilfreiche <Broschüre>.

 

Doch da der Abschlussbericht auf S.44 die Ansicht des Humanistischen Verbandes Deutschlands (Gita Neumann) nur als Minderheitenvotum dokumentierte, nämlich ein extra Patientenverfügungsgesetz zu verabschieden, deutete sich schon an, was die Ministerin – selbst wenn sie es selbst wollte – eben nicht tun kann: ein solches Patientenverfügungsgesetz auf den Weg bringen ... und zwar aus dem Ministerium ins Parlament – ... und jetzt haben wir Große Koalition.

 

Im säkularen Spektrum haben alle Organisationen Positionen zu diesem Thema. Wird von der besonderen Rolle des deutschen Ablegers der schweizerischen Sterbehilfeorganisation „Dignitas“ (sie heißt in Deutschland „dignitate“) einmal abgesehen – gibt es drei Organisationen mit einem ausführlichen Forderungskatalog.

Von diesen geht lediglich die <Humanistische Union> (HU) von der Notwendigkeit aus, den § 216 StGB („Tötung auf Verlangen“) im rechtsstaatlichen Sinne zu liberalisieren.Die anderen beiden Verbände – <Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben> (DGHS)  und der <Humanistische Verband Deutschlands> (HVD)  – haben, wenn auch mit Unterschieden, ein anderes Herangehen.  

Der HVD hat gestern an alle Bundestagsabgeordneten einen Brief geschrieben, in dem er seine Position zur Gesetzgebung in der Angelegenheit Patientenverfügungen noch einmal erläutert und Gesprächsbereitschaft anbietet. In diesem <Brief> wird der Kern der Forderungen wie folgt zusammengefasst (und in vier Erläuterungen anschließend begründet):

 

„Der in einer Patientenverfügung gültig dokumentierte Wille ist von Ärzten und dem Behandlungsteam verbindlich zu befolgen und vom Vertreter (Betreuer oder Bevollmächtigter) des einwilligungsunfähig gewordenen Patienten durchzusetzen, sofern der vorausverfügte Wille konkret auf die akut eingetretene Situation anwendbar ist und sofern kein begründeter Anlass besteht anzunehmen, dass der bzw. die Betroffene ihn nicht mehr gelten lassen würde.“

Wer die offiziellen Bundestagsaktivitäten verfolgen möchte, kann dies <hier> tun.   

Gabriele Groschopp