Der Bundestag diskutiert ein Gesetz, wonach die sogenannte Gehsteigbelästigung von schwangeren Frauen vor einer Beratung oder einem Abbruch mit bis zu 5.000 Euro Bußgeld bedroht werden soll. Union und AfD stemmen sich gegen den Plan von SPD, Grünen und FDP.
Nicole Bauer erzählt von Lea: Lea erfährt, dass sie schwanger ist. Sie freut sich, so denken wir wie selbstverständlich. Aber vielleicht stellte sich bei den Frühuntersuchungen eine nur geringe Überlebenschance für das Kind heraus. Vielleicht musste sie abwägen, ob die Schwangerschaft für sie selbst zu einem immensen gesundheitlichen Risiko würde. Vielleicht möchte sie das Kind nicht bekommen, weil ihr Gewalt angetan wurde und psychische Belastungen sie erdrücken würden. Statt Freude empfindet Lea Angst, Zweifel und Schuldgefühle. Sie zermartert sich den Kopf: Was soll ich tun? Nach langem Zweifel und Abwägen will sie Unterstützung suchen, geht verzweifelt an den Ort, an dem sie Rat und Hilfe finden soll. Auf dem Weg zu der Beratungsstelle wird Lea angegangen. Von einer Person oder einer Gruppe sogenannter Lebensschützer. Menschen, die Leas individuelle Situation gar nicht kennen, verurteilen und beschimpfen sie. Plakate mit religiösen Symbolen werden gezeigt, Gebete gerufen. Mitgefühl, Empathie – Fehlanzeige.
Nicole Bauer ist Bundestagsabgeordnete der FDP. Und sie ist nicht die einzige Politikerin, die in der Parlamentsdebatte am gestrigen Mittwochnachmittag solche Szenarien aufzeigt. Geschichten von Menschen, die vor Abtreibungspraxen oder Schwangerschaftsberatungsstellen den Frauen den Weg dorthin zum Spießrutenlauf machen. Die sie bedrängen mit überdimensionierten Plastikföten, kleinen Särgen, Schockbildern.
Gehsteigbelästigung ist der fast schon verharmlosende Begriff, unter dem all dies zusammengefasst wird. Und dieser Gehsteigbelästigung will der Bundestag nun mit einem Gesetz ein Ende machen. In dem Gesetzentwurf, der am Mittwoch im Bundestag diskutiert wurde, steht unter anderem: "In einem Bereich von 100 Metern um den Eingangsbereich der Schwangerschaftsberatungsstellen ist es verboten, das Betreten der Stelle durch das Bereiten eines Hindernisses absichtlich zu erschweren. Oder der Frau entgegen ihrem erkennbaren Willen durch Ansprechen die eigene Meinung zu ihrer Entscheidung über die Fortsetzung der Schwangerschaft aufzudrängen. Sie zu bedrängen, einzuschüchtern oder sonstwie erheblich unter Druck zu setzen." Andernfalls droht ein Bußgeld von bis zu 5.000 Euro.
Zwölf Politikerinnen diskutieren das Thema im Bundestag, Männer applaudieren allenfalls oder äußern ihren Missmut. Doch auch die Frauen sind sich keinesfalls einig. Abgeordnete der CDU/CSU und der AfD kritisieren den Gesetzesplan scharf. Sie betonen das Recht auf Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit derjenigen, die da am Gehsteig stehen, rufen und demonstrieren. Bettina Margarethe Wiesmann von der CDU betont, es gebe kein Recht auf Verschonung vor einer anderen Meinung. Nicole Höchst von der AfD wirft der Mehrheit aus SPD, Grünen und FDP vor: "Sie machen aus Betern für das Leben Täter, Lebensschützer werden als Gehsteigbelästiger verächtlich gemacht", wo sie doch nur ihre freie Meinung öffentlich zum Ausdruck brächten. Gegenüber Frauen, die sich "gegen ihr eigenes Fleisch und Blut entscheiden".
Sonja Eichwede von der SPD dagegen betont, dass es vor einem Schwangerschaftsabbruch nun mal nach der gegenwärtigen Rechtslage eine gesetzliche Beratungspflicht gibt. "Wenn wir die Frauen verpflichten, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass sie unbescholten zu dieser Beratung kommen." Es gehe in den Fällen nicht um Meinungsäußerung, sondern um bewusste Belästigung. "Und es geht um den Schutz der Frauen vor der womöglich schwersten Entscheidung, vor dem schwersten Gang ihres Lebens", betont FDP-Politikerin Nicole Bauer.
Auch wenn die betroffenen schwangeren Frauen auf dem Weg zur Beratungsstelle die emotional Hauptbetroffenen sind, weil sie sich ohnehin schon in einer besonderen physischen und psychischen Belastungssituation befinden, so soll das neue Gesetz doch auch das Personal in den Beratungsstellen entlasten. Und die Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Im Vorfeld der Bundestagsdebatte hatte die Gynäkologin Jana Maeffert, Vorstand des Netzwerks Doctors for Choice, kommentiert: "Immer wieder erzählen ungewollt Schwangere, dass ihnen von Praxen empfohlen wurde, den Hintereingang zu benutzen, weil vorne protestierende Personen mit Schildern stehen würden. Das ist doch einfach unzumutbar." Und Maefferts Vorstandskollegin Alicia Baier ergänzt: "Seit Jahren fordern wir besseren Schutz für ungewollt Schwangere, die medizinische Hilfe aufsuchen. Auch für uns Ärzt*innen ist es entlastend, dass die Betenden nun einen gewissen Abstand zu unseren Praxen einhalten müssen."
Noch ist es nicht so weit, der Gesetzentwurf muss nach der Debatte im Bundestag nun erst noch das weitere Gesetzgebungsverfahren durchlaufen.
10 Kommentare
Kommentare
malte am Permanenter Link
Braucht es hier wirklich ein neues Gesetz? Wenn die Frau beschimpft wurde, kommt eine Anzeige wegen Beleidigung in Frage, das ist auch jetzt schon möglich.
Unechter Pole am Permanenter Link
Da es hier um eine zeitlich meistens sehr eng bemessene Angelegenheit geht, sind Präventivmaßnahmen gegen etwaige Nötigung durchaus angebracht.
malte am Permanenter Link
Dafür braucht man aber kein neues Gesetz. Wenn einer der "Lebensschützer" wiederholt durch Nötigung aufgefallen ist, kann man z.B. einen Platzverweis aussprechen.
Thomas Spickmann am Permanenter Link
Ein Abtreibungsverbot, wie religiöse Fanatiker fordern, hat keinen Sinn. Man verdrängt dann Abtreibungen nur in die Illegalität oder ins Ausland. Das kann dann für die betroffenen Frauen gefährlicher werden.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Mal (vorläufig) als Gedankenexperiment: Atheisten gehen vor der Kirche auf Gottesdienstbesucher zu, und erklären ihnen, wie absurd ihr Glaube ist; oder zeigen das auf drastischen Plakaten.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Da laufen Menschen mit einem Folter und Tötungsgerät in der Hand und demonstrieren für
das erhalten von unerwünschtem Leben, obgleich ihnen das nichts angeht, da dies einzig
Wenn im Namen eines "Gottes" Millionen von Menschen abgeschlachtet werden, geht niemand auf die Straßen und demonstriert dagegen, was für eine Heuchelei.
adam sedgwick am Permanenter Link
Seit mehr als 75 Jahren kommen strafbare Handlungen im öffentlichen Raum vor, wie Belästigungen, Nötigungen, auch auf dem Bürgersteig.
Eigentlich müssten die Abgeordneten, also der Gesetzgeber, die elementaren Rechte der Bürger kennen, vor allem auch das Grundgesetz. Wie wäre es, wenn man zur Kandidatur auf einen Abgeordneten-Sitz im Parlament eine Prüfung über die wesentlichen grundlegenden Gesetze ablegen müsste, außer für Juristen. Natürlich hat man vorher einen Anspruch auf einen zweiwöchigen Schnellkurs in Sachen Recht. Erst nach dieser bestandenen kleinen Prüfung in Elementarwissen kann man kandidieren. Anstatt mit überflüssigen, unnötigen Gesetzesvorhaben wertvolle Zeit zu verschwenden, könnten sich Abgeordnete und Fraktionen auf drei wesentliche Gesetzesvorhaben konzentrieren: Bau von Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen, dann wäre schon eine Menge sozialer Sprengstoff entschärft! Die restlichen Probleme der Gesellschaft erledigen sich zum großen Teil dann von alleine.
Noch etwas Konstruktives: Natürlich muss die Kommune oder das Land schwangere Frauen vor dem Mob schützen, vielleicht durch Postieren von Wachpersonal im Umkreis von 100m oder mehr um eine Beratungsstelle.
Noch eine kleine Randbemerkung: Seinerzeit war Frau von der Leyen (vom Laien?) Familienministerin. Da wollte sie ins GG einen Passus aufnehmen, dass Kleinkinder aus einer gefährlichen Familie rausgenommen werden können. Tja, hätte sie das GG gelesen, hätte sie gewusst, dass genau diese Möglichkeit im GG längst festgelegt ist.
David Z am Permanenter Link
Ich denke nicht, dass es hier ein Gesetz braucht. Kein Gefühl, keine Überzeugung sollte per Gesetz einen "safe space" vor Kritik erhalten.
Mare am Permanenter Link
Hier diskutieren anscheinend ausschließlich Männer darüber, ob der Staat junge Frauen in einer speziellen, emotionalen Notsituation durch ein speziell dafür zugeschnittenes Gesetz schützen soll oder nicht.
(Wenn es regelmäßig und flächendeckend vor Arztpraxen und Krankenhäusern Demonstrationen/Gebete/Missionierungsversuche von gut organisierten Sektenmitgliedern gäbe, die medizinische Behandlungen grundsätzlich ablehnen und als kollektive Sünde gegen den Willen der Natur ansehen, dann würde es sicher nicht lange dauern bis genau so etwas verboten wird.)
Allgemein könnte gesellschaftlich noch viel mehr dafür getan werden, dass Schwangere würdevoller behandelt werden und nicht wie Gemeineigentum (ungefragtes Anfassen im Alltag, unnötige oder schlecht kommunizierte Eingriffe bei der Geburt). Frühe Abtreibungen als Grundrecht zu verankern, wäre schonmal ein guter Anfang.
malte am Permanenter Link
Das Verstehe ich ehrlich gesagt nicht.