Diskriminierung aus Ignoranz

BERLIN. (hpd/HVD) Wie das reformierte Personenstandsgesetz und seine Umsetzungsbestimmungen zeigen, kann praktische amtliche „Ignoranz“ sehr schnell auf massive Diskriminierung hinauslaufen. So sehen etwa alle Urkunden, z.B. die Geburtsurkunde, nach dem neu gefassten Personenstandsrecht, nur noch den Hinweis auf eine Religionszugehörigkeit vor, wenn diese den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts hat. Der HVD beschwert sich beim Bundesinnenminister.

Absurditäten

Das neue Verfahren im Personenstandswesen (Bundesratsdrucksache 713/08, siehe PDF im Anhang) hat auch absurde Seiten. Aus Wünschen gläubiger Hinterbliebener, es wäre doch schön gewesen, der Tote wäre aus der Kirche nicht ausgetreten oder gar getauft worden, kann eine „Bekehrung“ per standesamtlichem Eintrag nachträglich erfolgen.
Das geht aus den Sterberegistern hervor: Hier genügt der Wunsch des Anzeigenden, damit die entsprechende Eintragung erfolgt. Der Anzeigende muss mit dem Verstorbenen weder verwandt noch näher bekannt sein. Berechtigt hierzu ist nach § 29 PStG auch derjenige, in dessen Wohnung jemand verstirbt! Da dies über § 30 PStG sinngemäß auch für christliche Krankenhäuser und Hospize gilt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass im Einzelfall eine Hinterfragung der Religionszugehörigkeit des Verstorbenen unterbleibt. Mögliche ökonomische Vorteile sollten hier mitgedacht werden.
Sodann wird im Gesetz der Inhalt einer öffentlichen Urkunde vom beliebigen Zufall abhängig gemacht. Nur wer den Wunsch äußert, erhält eine Urkunde, die die Religionsgemeinschaft nennt, der er angehört. Im Falle des Geburtsregisters hat das Kind keinerlei Recht, diese Eintragung zu beeinflussen und zwar auch nicht, wenn es religionsmündig oder volljährig geworden ist. Hier liegt aus Sicht des HVD ein Eingriff in Kinderrechte vor.
Selbst der Bundesverband der Deutschen Standesbeamten äußerte sich, wie einer Pressemitteilung  Anfang Januar 2009 zu entnehmen lässt, kritisch. Die Eintragung der Religionszugehörigkeit in zivilrechtlichen Urkunden sei danach wohl nur in Israel und dem Iran üblich.

Beschwerde des HVD

Der eigentliche Skandal ist aber, dass im 90. Jahr der Abschaffung der Staatskirche und der Einführung der Rechte der Mitglieder von Weltanschauungsgemeinschaften in der Weimarer Verfassung nun eine Bestimmung vorliegt, die diese Rechte einfach ignoriert. Aus diesem Grund hat sich der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) am 21. Januar 2009 durch einen Brief des Präsidenten, Dr. Horst Groschopp, beschwerdeführend an das Bundesinnenministerium gewandt. Einige Mitgliedsverbände, die KdöR sind, werden dem folgen.
Der HVD bezieht sich auf einen Briefwechsel mit dem Innenministerium, in dem ihm zunächst Gleichbehandlung zugesagt worden war mit der Formulierung des Staatssekretärs Hahlen: „Ihre Auffassung zu den Regelungen dieses Gesetzes, die sich auf Religionsgemeinschaften beziehen, wird hier geteilt. Die angeregten erläuternden Regelungen, werden … aufgenommen.“ Doch wurde dieses im Gesetz selbst nicht umgesetzt. Das war Wortbruch.
Der HVD sieht sich durch die Neufassung sehr enttäuscht und ist betroffen. Nach seinem Verständnis ist die Erfassung der Zugehörigkeit zu einer Weltanschauungs- oder Religionsgemeinschaft durch die staatlichen Stellen, hier die Standesämter, nicht geboten, da sich der Staat neutral zu verhalten hat. Darüber hinaus ermächtigt Art. 140 GG, Art. 136 Absatz 3 WRV die Behörden nur insoweit nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft zu fragen, als hiervon Rechte und Pflichten abhängen.
Der HVD hat sich erlaubt, das Ministerium an die genannte Vorschrift aus der Weimarer Reichsverfassung zu erinnern: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.“
Er stellt fest, dass dieses Behördenrecht im Hinblick auf den Personenstand in den Registern sicher nicht gegeben ist. Irritierend sei auch der Umstand, dass nach den neuen §§ 15,17, 21,31 PStG eine Eintragung der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft nur dann erfolgen kann, wenn diese zugleich Körperschaft des öffentlichen Rechts und dies der Wunsch des jeweils Berechtigten ist. Als Begründung führt der HVD an, dass sich die Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften, die zugleich K.d.ö.R. sind, sich gerade in Bezug auf die hier vorliegenden Fragen nur dadurch unterscheiden, dass letztere das Steuererhebungsrecht haben (Art. 137 Abs. 6 WRV). Für den Personenstand kann dies nicht relevant sein. Dies führe, so der HVD, zu einer nicht gerechtfertigten Benachteiligung anderer Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften.

Ungleichbehandlung

Aber selbst wenn man dem neuen Gesetz folge, so der HVD, dann könne er sich mit der inhaltlichen Ausgestaltung nicht einverstanden erklären. Die vorgesehenen Regelungen schränken nämlich die verfassungsmäßig garantierten Rechte seiner Mitglieder einer Weltanschauungsgemeinschaft Humanistischer Verband Deutschlands gegenüber Mitgliedern von Religionsgemeinschaften in unzumutbarer Weise ein.
In der genannten Bundesratsdrucksache 713/08 sind unter anderem die vorgesehenen Urkunden und die hier in elektronischer Form auszufüllenden Textfelder vorgestellt. Sämtliche Urkunden, die sich auf einen Personenstandsfall beziehen, sei es Geburt oder Eheschließung etc., sehen lediglich ein Feld mit der Bezeichnung „Religion“ vor. Die Mitgliedschaft in einer Weltanschauungsgemeinschaft wird nicht berücksichtigt.
Bereits die Bezeichnung dieses Feldes stellt eine unzulässige Einschränkung dar. Denn die Weltanschauungsgemeinschaften sind durch Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 7 WRV den Religionsgesellschaften gleichgestellt. Dies muss sich nach Überzeugung des HVD im staatlichen Handeln widerspiegeln. Zudem wäre die Abfassung einer Formulierung, die sowohl die Religionsgemeinschaften, als auch die Weltanschauungsgemeinschaften umfasst, unschwer möglich gewesen.
Einer Angabe unter der Rubrik Religion „humanistisch“, „Mitglied im HVD Landesverband …“ (oder wie auch immer) steht die innere Logik des Gesetzes entgegen. Denn der HVD ist gerade keine Religionsgemeinschaft und hat eigene verfassungsmäßig garantierte Rechte zu wahren, darunter das der Gleichbehandlung mit Religionen.
Die Zugehörigkeit zum HVD unter den Begriff der Religionszugehörigkeit fassen zu wollen, widerspricht der Stellung der Weltanschauungsgemeinschaften, die diese durch die genannten Vorschriften des GG bzw. der WRV haben. Da der Humanismus des HVD ausdrücklich keine Religion ist, wäre ein solcher Eintrag eine Einvernahme. Der HVD verlangt eine unverzügliche Änderung.

Judith Huber