BGH: Neues Personenstandsgesetz nur auf intersexuelle Personen anwendbar

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Am 22. April urteilte der Bundesgerichtshof (BGH) über die Frage, ob das 2018 novellierte Personenstandsgesetz (PStG) auch von nicht-intersexuellen Menschen in Anspruch genommen werden darf. Der BGH entschied, dass diese zur gerichtlichen Anerkennung einer Personenstandsänderung weiterhin den Weg über das 1980 auf den Weg gebrachte Transsexuellengesetz (TSG) zu gehen haben. Gegen diese Entscheidung wurde nun Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Im Jahr 2017 forderte das Bundesverfassungsgericht, dass der Gesetzgeber das PStG um die Option "keine Angabe" sowie um eine dritte Option – mittlerweile als "divers" bezeichnet – zu erweitern habe:

"Personen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, werden in beiden Grundrechten [Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 GG] verletzt, wenn das Personenstandsrecht dazu zwingt, das Geschlecht zu registrieren, aber keinen anderen positiven Geschlechtseintrag als weiblich oder männlich zulässt."

Diese Forderung kleidete der Bundestag Ende 2018 schließlich in das Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben. Wer eine "Variante der Geschlechtsentwicklung" per ärztlichem Attest bescheinigt, kann durch Erklärung beim zuständigen Standesamt den Geschlechtseintrag ändern oder streichen lassen. Wann eine solche "Variante der Geschlechtsentwicklung" vorliegt, klärte jüngst der Bundesgerichtshof: "Die von Paragraph 45 b PStG vorausgesetzte Variante der Geschlechtsentwicklung ist nur dann gegeben, wenn das Geschlecht nicht eindeutig anhand angeborener körperlicher Merkmale als weiblich oder männlich bestimmt werden kann. (...) Fälle der nur empfundenen Abweichung des eigenen vom eingetragenen Geschlecht werden von der Neuregelung hingegen nicht erfasst." Der BGH bestätigt damit einen Anwendungshinweis des Bundesinnenministeriums für die Standesämter aus dem Jahr 2019.

Kritik an der Anwendung des TSG erhärtet sich

Wer ein biologisch eindeutig bestimmbares Geschlecht hat, das aber nicht mit dem empfundenen Geschlecht übereinstimmt, muss zur Personenstandsänderung weiterhin das im TSG festgelegte Prozedere bemühen. Dieses, so der BGH, ermöglicht auch eine Streichung oder Änderung des Geschlechtseintrags zu "divers". Das TSG basiert auf einer Definition von "Transsexualismus" als "Störung der Geschlechtsidentät" – als psychische Krankheit also, der der Wunsch nach Geschlechtsangleichung inneliegt. Diese psychische Störung ist durch zwei unabhängige psychiatrische Gutachten zu belegen, bevor eine Änderung des Personenstands gerichtlich erwirkt werden kann.

Ein Rechtsgutachten zu Paragraph 45 b PStG kommt zu dem Ergebnis, dass dieser auch von nicht-intersexuellen Personen in Anspruch genommen werden dürfe. Die Autor*innen argumentieren, das Bundesverfassungsgericht habe "in seiner umfangreichen Rechtsprechung (...) das Allgemeine Persönlichkeitsrecht zu einem Grundrecht auf selbstempfundene 'geschlechtliche Identität' entwickelt".

Ein Gutachten der Berliner Humboldt-Universität im Auftrag des Bundesfamilienministeriums schlägt ähnliche Töne an: Das TSG sei eine unzeitgemäße Konstruktion, da in nicht einmal einem Prozent der Fälle das psychiatrische Gutachten negativ ausfällt. Die Kosten von durchschnittlich 1.868 Euro pro Verfahren, die von den antragstellenden Personen selbst oder per Verfahrenskostenhilfe zu tragen sind, seien im Hinblick darauf unverhältnismäßig.

Eine Verfasserin des erstgenannten Gutachtens hat nun zusammen mit zwei weiteren Klägerinnen am 16. Juni Beschwerde gegen die Entscheidung des BGH beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. Den Antrag unterstützen der Lesben- und Schwulenverband (LSVD), die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti), der Bundesverband Trans* (BVT*) sowie die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die gemeinsame Presseerklärung lässt sich hier einsehen.

Liberale Personenstandsgesetzgebung wird kaum missbraucht

Ein häufiger Einwand gegen eine vereinfachte Vornamens- oder Personenstandsänderung ist die Furcht vor missbräuchlicher Anwendung. Diese Sorge darf erwiesenermaßen als unbegründet bezeichnet werden. Das Gutachten der Humboldt-Universität kommt nach Auswertung von Daten unter anderem aus Dänemark, Malta, Norwegen und Schweden zu dem Ergebnis, dass trotz niedrigschwelliger Hürden bei der Personenstandsänderung keinerlei missbräuchliche Anwendung festzustellen ist. Auch die, wenngleich lückenhaften, Daten zur Anwendung des TSG legen diesen Schluss nahe: Nicht einmal ein Prozent der analysierten Verfahren dreht sich um den Wunsch nach Rückänderung eines bereits geänderten Geschlechtseintrags.

Die Studie weist außerdem auf einen "Wertungswiderspruch" in dieser Argumentation hin: Wäre das Geschlecht kein Teil der persönlichen Identität, keine relevante Größe bei der Selbstreflexion, dann wäre es grober Unfug, dieses überhaupt bei Geburt zu erfassen und dem Geschlecht damit eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung zuzuschreiben. Gerade weil dem empfundenen Geschlecht im europäischen Kulturkosmos eine inhärente Wichtigkeit zukomme, sei nicht davon auszugehen, dass niedrigschwellige Personenstandsgesetze von Personen, deren biologisches mit dem empfundenen Geschlecht übereinstimme, missbräuchlich verwendet würden.

Im Licht des medizinischen Kenntnisstands der beginnenden 80er Jahre mag das TSG angemessen gewesen sein. Mittlerweile jedoch ist das streng binäre Geschlechtsverständnis ein Relikt der Vergangenheit und hält weder dem Konsens der Sexualforschung noch den Bedürfnissen der Betroffenen Stand. Eine als "Selbstbestimmungsgesetz" bezeichnete Gesetzesvorlage der Grünen wurde am 19. Juni erstmals im Bundestag besprochen. Die Fraktion wünscht sich eine Ablösung des Transsexuellengesetzes noch in dieser Legislaturperiode.

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