BERLIN. (HAB/hpd) Am 24. April 2009 fand in der Humanistischen Akademie Berlin ein öffentlicher Vortrag von Prof. Dr. Jo Reichertz, Medienwissenschaftler Uni Duisburg-Essen, statt zum Thema „Frohe Botschaften im Fernsehen an die Jugend? Werte, Religionen und das Diesseits der Medienrealität“.
Diese Rede ist jetzt zugänglich. Anschließend bestätigten die anwesenden Mitglieder der Akademie das bisherige Präsidium im Amt.
„Botschaft“ des Vortrages
Jo Reichertz, durch zwei neuere Bücher in der aktuellen Debatte („Die Macht der Worte und der Medien“ 2009, 2. Auflage; „Auf der Suche nach neuer Sicherheit“ 2008, mit H. Peter Ohly und Hans-Jürgen Lange), widmete sich in seinem Vortrag der Frage, ob die Medien tatsächlich Sinn schaffen oder diesen nur „liefern“ und ob dies in Konkurrenz zu Religionen geschieht. Es sei zunächst zu konstatieren, so der Referent, dass sich die Kirchen im Mediengeschäft dem dortigen Markt stellen, entsprechende Praktiken entfalten und relativ erfolgreich als Sinnanbieter tätig sind, jedenfalls Gründe dafür anbieten, ihre Sinngebungen zu übernehmen.
Das gelinge ihnen, obwohl die Medien heute das leisten, was früher die Pfarrer boten: Vergebung vorführen, Beichte erlauben, Sühne gewähren und Trauerarbeit begleiten. Das geschehe in einer insgesamt positiven, das moralisch Gute betonenden Alltagsethik, die sich von Gewalt distanziere. Werte und Menschen würden beobachtet und vorgestellt, Kontakte mit Unbekannten und Unbekanntem vermittelt. Medien schaffen so den verallgemeinerten Anderen. Sie stellen „Dorfgemeinschaft“ her.
Der Zuschauer nähere sich den verschiedenen Angeboten „flanierend“. Da dem Fernsehen selbst aber die Legitimation von Sinn fehle, bediene es sich im christlich-religiösen Fundus (Heilsversprechen und Strafandrohung ebenso als Metaphern wie „kein Sinn ohne Sanktionen“). Damit sei es für die Kirchen und Religionen möglich, sich dem positiven Grundton des Fernsehens anzuschließen und als Bürgen eines Versprechens auf das Jenseits im Diesseits zu wirken, selbst wenn sie nicht unmittelbar beteiligt sind und das Fernsehen selbst nicht religiös auftritt.
Es seien, so Reichertz, gerade diejenigen Fernsehangebote, denen viele Intellektuelle mit Distanz gegenüber stehen, die darin erfolgreich seien, die Casting-Shows, Big Brother, Dschungel-Camp, Traumhochzeit – das performative Fernsehen insgesamt. Hier werde das Bedürfnis der Teilnehmenden wie der Zuschauer befriedigt, die eigene Person öffentlich sichtbar zu machen, authentisch zu sein, sich selbst in Möglichkeiten zu sehen und vor allem, sich bewähren zu müssen und Gefahren zu bestehen bzw. darüber reden zu können. Hauptsache sei die Glaubwürdigkeit.
Insgesamt seien die Kirchen inzwischen in der Lage, sich immer besser der „Rückkehr der Rituale“ zu stellen. Sie hätten darauf eine moderne Antwort. Zum einen akzeptieren sie ethisch, ohne große Kulturkritik, dass im Fernsehen Bewährungsrituale zunehmen. Zum anderen stellen sie ihre Angebote selbst darauf ein, z.B. durch entsprechende Serien, eigene Sender und Foren, Einbindung von eigenen Angeboten im Fernsehen (vom „Wort zum Sonntag“ bis zu Gottesdienst-Übertragungen) ins kirchliche Leben vor Ort.
Es sei ein Irrtum, so der Referent, das Fernsehen als unmodern „abzuschreiben“, denn das Internet könne zwar viel, aber keine Rituale produzieren. Überhaupt gehöre die Zukunft denjenigen Religionen und Weltanschauungen, denen es gelänge, Rituale für Alltag und Feste anzubieten, die angenommen würden. Zudem biete das Fernsehen das, was die Oma in Dorf, Kiez oder Kleinstadt auch in der Großstadt suche. Es ermögliche sozusagen, auf das Kissen gelehnt aus dem Fenster zu schauen, in die Gegend zu blicken und sich ein Urteil über die erkennbare Welt zu bilden.
Der Vortrag erscheint, gemeinsam mit anderen Texten von Akademieveranstaltungen 2009, gedruckt im Frühjahr 2010 in dem Band „Humanismus und heranwachsende Generation“ in der „Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Berlin, Band 3 (Fortsetzung von humanismus aktuell, Band 26), im Alibri Verlag Aschaffenburg.
Versammlung der Akademie
In der anschließenden Mitgliederversammlung resümierte die Berliner Humanistische Akademie ihre Arbeit und zog Schlussfolgerungen hinsichtlich ihrer Profilierung angesichts zweier aktueller Vorgänge: zum einen die Gründung weiterer Humanistischer Akademien (nach der HA Bayern nun auch die HA Niedersachsen und die Bundesakademie), die mehr abgestimmte Arbeitsteilung erfordere; zum anderen die Ersetzung von „humanismus aktuell“ (nach 25 Ausgaben) durch die neue „Schriftenreihe“ durch Kooperation mit dem Alibri Verlag.
Prof. Dr. Frieder Otto Wolf wurde erneut zum Präsidenten der HAB gewählt. Dr. Felicitas Tesch und Dr. Petra Caysa zu Vizepräsidentinnen. BeisitzerInnen wurden Dr. Thomas Heinrichs, Ulrike Meyen, Prof. Dr. Dietrich Mühlberg und Gerd Wartenberg.
Horst Groschopp
Foto und Video: Frank Spade
Die Rechte am Vortragstext liegen bei Prof. Dr. Jo Reichertz