Grenzen der Toleranz

Laizistische Orientierung im Kampf der Ideen, Kulturen, Religionen.

Von Joachim Kahl.

Blickachsen durch ein unübersichtliches Gelände.

Ich gebe zu: lauter schwierige Themen: Toleranz, gar Grenzen der Toleranz. Laizistische Orientierung: Was ist Laizismus und welchen unverzichtbaren Dienst leistet er? Kampf der Ideen, Kulturen, Religionen? Ja, es gibt ihn, diesen Kampf - offen und verborgen, hierzulande und weltweit. Wir stecken mitten drin und können ihm nicht ausweichen. Interkultureller und interreligiöser Dialog in allen Ehren. Aber lassen wir uns nicht den Blick dafür verstellen, dass auch der Dialog nur eine Ebene im Kampf ist.

Ein Kuscheldialog verfehlt den Ernst der Lage. Ein Klartextdialog, hart und fair, ist hilfreich für alle Beteiligten beim Erkennen von Weg und Ziel, wobei es sich empfiehlt, Kritik ernst zu nehmen statt sich durch sie gekränkt oder beleidigt zu fühlen. Dass einige Zeitgenossen die Diagnose „Kampf" lieber vermeiden und ausschließlich von „Dialog" der Kulturen sprechen wollen, zeugt bereits von einer geschwächten Kampfmoral und mangelnder Klarheit des Blicks.

Seit wir Menschen diesen Erdball bevölkern, ist unsere Existenz immer auch Kampf: Lebenskampf, Überlebenskampf. Der dabei benötigte Kampfgeist lässt sich durch geeignete Vorkämpferinnen und Vorkämpfer beflügeln. Im Kampf um das friedliche Zusammenleben der Völker und Individuen, der Religionen und Ideen, hilft eine Streitkultur, die auf eine möglichst zivile Form der Konfliktregelung abzielt. Solche zivile Lösungen sind freilich nicht immer und überall möglich. Denn heute ist ein Hauptkampffeld abgesteckt durch eine neuartige Gestalt des Totalitarismus, inspiriert durch muslimische Religiosität. Dieser Islamismus bedroht die offene Gesellschaft mit ihren attraktiven Errungenschaften von Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Säkularität - dem Wurzelboden produktiver Vielfalt.

Daher drängt sich das Problem „Grenzen der Toleranz" auf. Wie lässt sich die schwere Kunst der Duldsamkeit vereinen mit der - nicht minder schweren und nicht minder notwendigen - Kunst der Unduldsamkeit? Was darf gestattet, was muss verweigert werden, ohne sich dem Vorwurf der Willkür auszuliefern?

Das Konzept eines wertgebundenen und prinzipiengeleiteten Pluralismus weist in die Richtung, wo Antworten, theoretische und vor allem praktische, mit Aussicht auf Erfolg aufgespürt werden können. Dieser Pluralismus entsagt den beiden Versuchungen, die menschliche Orientierungsanstrengungen seit jeher begleiten: dem (jüngeren) Relativismus und dem (älteren) Absolutismus.

Relativismus verfällt dem Irrtum zu meinen, weil in der Tat alles relativ ist, sei ebendeshalb alles auch gleichwertig, gleichrangig, kurz: beliebig. Absolutismus verfällt dem komplementären Irrtum, eine gegebene Position, in der Regel die eigene, als die allein mögliche herauszuputzen: etwas Relatives zu verabsolutieren.

Der islamisch inspirierte Totalitarismus unserer Tage ist eine Hauptgestalt eines solchen Absolutheitsanspruchs. Für ihn zerfällt die Menschheit schlicht in Gläubige und Ungläubige. Die Dramatik der gegenwärtigen Weltlage besteht in dieser Hinsicht darin, dass dem muslimischen Absolutismus oft nur ein knieweicher Relativismus begegnet, „entgegentritt" wäre schon zu viel gesagt.

Der Bombenterror seit dem 11. September 2001 in seiner unberechenbaren Brutalität hat freilich bei vielen ein Erwachen aus sozialromantischen Multikulti-Träumereien bewirkt und ein Umdenken eingeleitet. Das Gewaltpotential im Islam lässt sich nicht länger als „islamophobes" Hirngespinst abtun. Unvermeidlich fällt dabei auch ein Licht auf das Gewaltpotential in den beiden anderen „abrahamitischen" Religionen, dem Judentum und dem Christentum, ja, in einer religiösen Geistesverfassung überhaupt.

Eine Stimme säkularer Vernunft, die die Vorzüge einer Demokratie gegenüber einer Theokratie benennt, strebt hier nach Gehör. Bei allem Neuen, was sie zu sagen hat, will sie aber auch eine alte Weisheit aus der 68er Zeit vor dem Vergessen bewahren: „Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt."

Dabei sei eigens betont, dass der säkulare Ordnungsrahmen keineswegs den Verzicht auf persönliche Religion verlangt und auch keine religiöse Weltdeutung verwehrt. Im Gegenteil, die rivalisierenden Glaubensrichtungen werden erst zu einem friedlichen Nebeneinander in Stand gesetzt, sofern sie sie sich nicht selbst zum Maßstab für das ganze Gemeinwesen verabsolutieren. Angestrebt ist ein gewaltfreies Zusammenleben auf dem Boden eines Pluralismus, der sich an den Menschen- und Bürgerrechten orientiert, besonders an der Parität der Geschlechter und an der Religionsfreiheit in ihrem negativen und positiven Sinn.

Sakrale und säkulare Sphäre schließen sich keineswegs aus. Erst die säkulare Ordnung garantiert die freie Entfaltung der konkurrierenden Deutungen von Sakralität. Eine sakrale Ordnung gewährt nur Freiheit für die eigene Religion auf Kosten aller anderen. Allein der politische Vorrang der Säkularität vor der Sakralität räumt allen Religionen ihre Chance ein. Die damit verbundene Trennung von Staat und Religion ist der Kern des Laizismus.

_____________________________________

Diese Thesen wurden in der Medienpartnerschaft zwischen Frankfurter Rundschau und der Humanistischen Union Frankfurt zur Vorbereitung des Vortages von Joachim Kahl am Donnerstag - im Café Wiesengrund in Frankfurt -, von der FR am 10.12.06 abgedruckt.