Teil 4: Eine Frage des Respekts

Fiktionale Gewalt ist in ganz bestimmten Fällen gefährlich. Was kann man dagegen tun?

Kinderlein für Vater Staat?

Eltern sollten sich zunächst einmal

bewusst machen, dass die Erziehung von Kindern viel Verantwortung mit sich bringt. Man sollte keine Kinder in die Welt setzen, nur um Sozialsysteme zu stützen oder die Vergreisung der Gesellschaft aufzuhalten. Der einzig gute Grund, Kinder in die Welt zu setzen, ist, dass man Kinder haben möchte. Die Medien waren niemals dafür gedacht, elterliche Zuneigung zu ersetzen und sie können diese Aufgabe auch nicht erfüllen. Eltern müssen Zeit mit ihren Kindern verbringen. Aufmerksamkeit ist für jedes menschliche Wesen von entscheidender Bedeutung und insbesondere für Kinder. Wenn eine Person nicht genug Aufmerksamkeit von Familie und Freunden erhält, wird sie nach Möglichkeiten suchen, öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen. Dies kann durch einen Pop-Star-Wettbewerb geschehen oder, in besonders schlimmen Fällen, durch einen Amoklauf.

Eltern müssen sich also die Zeit nehmen, mit ihren Kindern zu reden, auch darüber, warum ihnen gefällt, was sie spielen, lesen oder was sie sich ansehen. Nur so können Eltern ihre Kinder verstehen und überzogenen Medienkonsum verhindern. Sie müssen ihnen auch erklären, warum soziale Kontakte wichtig sind und warum man sich gelegentlich bewegen sollte. Die Entscheidung jedoch, welche Medienprodukte, welche Kunst, ein Kind bevorzugt, liegt bei diesem allein. Warum sollte sich jemand freiwillig einen Film ansehen, der ihn verstört, ein Spiel spielen, das für ihn wirklich ungeeignet ist? Welcher evolutionäre Überlebensmechanismus soll dafür verantwortlich sein? Die einzige Gefahr hier ist der Gruppenzwang, der, soweit möglich, unterbunden werden muss. Gerard Jones bringt die Sache auf den Punkt:

"Die Studie sagt also aus, dass, wenn Kinder ihre Freizeit kontrollieren - wenn sie sich nur ansehen oder spielen, was sie wirklich möchten, sei es Zaboomafoo oder Doom - dass sie sich dann vielleicht selbst im Allgemeinen viel besser unter Kontrolle haben." (Übersetzt aus dem Englischen: Gerard Jones: Killing Monsters, Seite 24)

Fantasie als Gefängnis

Ethik ist der bedeutendste Hintergrund unserer Wahrnehmung. Wie bereits in Teil 2 erklärt wurde, ist es sehr schwierig, Menschen zu instrumentalisieren, deren Wissen, Erfahrungen und Ideale mit dem Objekt der Instrumentalisierung unvereinbar sind. Darum müssen Eltern ihren Kindern durch neutrale Information, Aufmerksamkeit und Zuneigung dabei helfen, individuelle Wertvorstellungen zu entwickeln. Selbst militärische und politische Propaganda können einem starken Charakter nichts anhaben. Wenn eine Person bereits in einer Fantasiewelt gefangen ist, in mentaler Isolation, dann müssen Freunde und Familie bei einem Psychologen Rat suchen und mit dessen Unterstützung alles versuchen, um diese Person wieder in die reale Welt zurück zu versetzen.

 

Wozu Fantasie?

Unsere Fantasie, unsere Vorstellungskraft, war niemals dafür gedacht, die Realität zu ersetzen. Sie dient vielmehr dazu, die Realität abzubilden, über sie zu reflektieren – auf eine indirekte, metaphorische Art und Weise. Eine Person mit einem kritischen Verstand würde Fantasie und Realität niemals durcheinander bringen, etwa in der Form von Esoterik oder Aberglauben gleich welcher Art, die mit einem naturalistischen, also realitätsbezogenen Weltbild unvereinbar sind. Wenn wir den Kontakt zur Realität verlieren, dann verlieren wir uns selbst. Fantasie ist ein effektives Mittel, die Wirklichkeit zu verarbeiten. Nicht mehr und nicht weniger. Sie ist ein Werkzeug unseres Verstandes, kein Werkzeug der Wissenschaft, um die Wahrheit zu erkennen, so weit das möglich ist.

Wozu Medienkompetenz?

Ein kritischer Verstand ist auch die Grundvorraussetzung für Medienkompetenz. Heutzutage sind wir so stark mit verschiedenen Medien konfrontiert, dass einige Soziologen sogar von einer "Mediengesellschaft" sprechen. Wir beziehen Informationen über unsere Umwelt durch die Medien, welche, als Resultat unserer Erfahrungen oder Erziehung, unser Vertrauen gewinnen konnten. Nicht jede Nachricht ist jedoch eine gute Nachricht. Auch gewöhnlich zuverlässige Quellen übernehmen manchmal eine falsche öffentliche Meinung. Dies trifft im Falle brutaler Videospiele zu. Wir sehen also, dass Medienkompetenz besonders wichtig ist, wenn wir ein umfassendes und möglichst realitisches Weltbild anstreben, weil wir ohne diese nicht in der Lage sind, Informationen richtig auszuwerten. Ohne Medienkompetenz besteht die Gefahr, dass wir einfach die öffentliche Meinung übernehmen, ganz gleich, ob sie richtig oder falsch ist.

Man kann Medienkompetenz auf verschiedene Art und Weise erzielen: Mit Lernsoftware oder mit Computerspielen, was in Teil 3 näher erläutert wird, oder etwa durch Übungen in der Schule. Denkbar wäre es, Schüler verschiedene Artikel zum gleichen Thema vergleichen zu lassen, damit sie lernen, die Wahrheit heraus zu filtern. So können Schüler mit Hilfe der Learning-by-doing-Methode ihre Medienkompetenz verbessern. Allgemein sollte die Kritikfähigkeit sowohl in der Schule als auch in der breiten Gesellschaft gestärkt werden. Schüler müssen lernen, wie man argumentiert und auch, dass man widersprechen soll, wenn man die besseren Argumente vorweisen kann. Momentan haben die Schüler Angst, dass sie schlechtere Noten kassieren, wenn sie ihren Lehrern widersprechen, oder sie widersprechen ohne Sinn und Verstand. Beiden Tendenzen sollte man entgegentreten.

Geil auf Gewalt

Wie in dieser Artikelreihe bereits erklärt wurde, gibt es keinen guten Grund, harmlose Fantasie-Gewalt zu verbieten. Ein Argument gegen die Indizierung aus der Sicht von Jugendschützern wäre, dass Index-Titel und beschlagnahmte Medienprodukte viel von ihrer Popularität erst durch ihr Verbot gewinnen. Zum Beispiel war Manhunt, das erste Spiel, das in Australien beschlagnahmt wurde und bei Weitem nicht das erste in Deutschland, aufgrund seines Verbotes erheblich erfolgreicher als es ohne gewesen wäre. Es handelt sich um so eine Art Running Man in Spielform. Das Spiel ist zwar sehr satirisch angelegt, trotzdem erscheint es fraglich, ob man für möglichst brutale Morde mehr Punkte bekommen sollte. Trotzdem: Das Verbot war offensichtlich kontraproduktiv.

 

Zensur in Deutschland

Politisch korrekt heißt das natürlich nicht Zensur und auch rechtlich handelt es sich um Jugendschutz - aber nur, wenn man europäisches Recht außen vor lässt. Das deutsche Indizierungsverfahren verstößt nämlich, wie Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider von der Universität Nürnberg-Erlangen in einer im Mai 2002 veröffentlichten Studie feststellt, gegen EU-Recht. Sollte die bayerische Landesregierung ein "Verbot von Killerspielen" erreichen, würde die europäische Union dieses Verbot höchstwahrscheinlich kippen und außerdem einen europäischen Standard für Videospiel-Altersfreigaben und Indizierungen durchsetzen. In einem Binnenmarkt kann es schließlich nicht sein, dass in einem Land Produkte verkauft werden dürfen, die ein anderes Mitglied verbietet.

 

Radio, Fernsehen, Internet

Wie genau funktioniert Zensur in Deutschland? Von Selbstzensur abgesehen, erledigen das die deutschen Jugendschutzbehörden. Diese sind die weitgehend unbekannte KJM (Kommission für JugendMedienschutz) und die BPJM (BundesPrüfstelle für Jugendgefährdente Medien). Die KJM kontrolliert Internet, Radio und Privatfernsehen darauf, ob sie die Jugend gefährden könnten. Dies schließt ein: Pornographie, Gewalt und politischen Extremismus. Es gibt diverse Probleme mit der Zensur des Internets. Unter anderem können nur Webseiten eines bestimmten Landes zensiert werden. International hat man unterschiedliche Vorstellungen davon, was fiktionale Gewalt ist und wann sie gefährlich werden kann. Deshalb tauchen Webseiten, die in Deutschland verboten sind, oft auf ausländischen Servern wieder auf, über die man sie auch hierzulande betrachten kann. Zunächst erscheint eine solche Internet-Zensur sinnvoll, denkt man etwa an Kinderpornographie. Dann jedoch sollte man sich daran erinnern, dass Gerichte und Kriminalpolizei strafrechtlich bedenkliche Seiten sperren und nicht die KJM.

Die Zensur von Radio und Privatfernsehen ist teilweise sinnvoll, sollte jedoch auch das öffentliche Fernsehen mit einschließen. Es ist nicht einsichtig, warum die öffentlichen Kanäle Dinge zeigen dürfen, die dem Privatfernsehen verboten sind. Ein Vorrecht, das sie durchaus nutzen. Zensur ist hier wichtig, weil die Jugend tatsächlich vor bestimmten Sensationssendungen geschützt werden sollte, die ihnen ein falsches Bild der Wirklichkeit vermitteln könnten. Schließlich geben Talkshows und Real-Life-Shows vor, die gesellschaftliche Realität abzubilden, was sie nicht tun. Allein der Gedanke, dass sie das täten, löst bereits Alpträume aus - gewiss nicht nur bei Kindern.

 

Videospiele und Filme

Wenn der KJM etwas auffällt, das ihren Prinzipien zufolge zensiert werden sollte, dann beantragt sie das bei der BPJM. Nur diese Behörde hat das Recht, Medien auf den Index zu setzen, insofern sie keine Jugendfreigabe erhalten haben. Ob sie eine solche Freigabe erhalten, das entscheidet die USK (UnterhaltungsSoftware SelbstKontrolle) für Videospiele und die FSK (Freiwillige SelbstKontrolle der Filmwirtschaft) für Filme. Nach 25 Jahren werden Medien automatisch vom Index genommen, es sei denn, der Vorsitz der Behörde beantragt die erneute Überprüfung.

 

Sonstige Jugenschutzbehörden

Neben den genannten Jugendschutzbehörden und Einrichtungen der Selbstkontrolle gibt es noch zahlreiche weitere. Jugendschutz.net ist der KJM untergeordnet und überwacht für sie das Internet. Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) ist die Selbstkontrolle privater Fernsehsender. Die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) ist ein eingetragener Verein von Medienverbänden und Unternehmen der Online-Wirtschaft, der Öffentlichkeitsarbeit betreibt und Beschwerden entgegen nimmt. Die Automaten-Selbst-Kontrolle (ASK) zeichnet sich derweil für Spieleautomaten zuständig. Für nicht-digitale Medien gibt es noch weitere Kontrollinstanzen.

 

Kritik an der Jugendschutzpraxis

Die Regelung ist heute sehr viel besser als vor 2003, trotzdem gibt es daran noch Einiges zu kritisieren. Was, das erklärt Roland Seim, seines Zeichens Kunsthistoriker, Soziologe, Online-Journalist und Herausgeber. Er sagt:

"Grundsätzlich ist der Jugendschutzgedanke etwa bei rechtsextremen, fremdenfeindlichen und gewaltauffordernden Inhalten sinnvoll, da popkulturelle Medien Vorbildfunktion für das noch nicht gefestigte Weltbild von Minderjährigen haben. Fraglich scheint, ob der mittelalterliche Index geeignet ist, die notwendige moderne Medienkompetenz zu fördern. Unter der Käseglocke von Jugendverboten kann man Heranwachsende kaum auf die Erwachsenenwelt vorbereiten. Zur Medienbeurteilung gibt es Selbstkontrollinstanzen, und für strafbare Inhalte wie Kinderpornografie, Rechtsextremismus und Terrorismus sind die Gerichte zuständig."

Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen und sein medizinischer Sekundant, der Neurologe Manfred Spitzer, gehören zu den aggressivsten Kritikern von Videospielen und der USK. Es steht der begründete Verdacht im Raum, dass die Beiden nicht an Aufklärung zum Thema Mediengewalt interessiert sind, sondern an den Fördergeldern der USK. Verwundern würde das nicht, denn ihre Ansichten zu medialer Gewalt sind stets verdächtig unausgeglichen: "Sie machen tatsächlich dick, dumm und gewalttätig", sagt Manfred Spitzer. Herr Dr. Pfeiffer formuliert dies zum Glück wissenschaftlicher: "Zu viel Fernsehen und Computerspielen, macht Kinder dick, krank, dumm und traurig."

Noch ein Wort an die Anhänger des aktuellen Jugendschutzes und vor allem an Scharfmacher: So gut wie kein Konsument von brutaler Unterhaltung ist ein Mörder. Es sind Leute wie Sie. Deshalb verdienen sie dieselbe ethische Behandlung wie jede andere Person. Sie verdienen es nicht, als Gefahr für die Gesellschaft abgestempelt zu werden, sie machen vielmehr einen großen Teil dieser Gesellschaft aus. Es gibt sie in jeder Altersgruppe, in jeder Einkommensklasse, in jedem Milieu, überall.

Folgende Petition fordert vor allem, dass man zu einer zivilisierten, aufgeklärten Gesprächskultur zurückkehrt, was die Killerspiel-Debatte betrifft. Es sei jedem Leser angeboten, sie zu unterschreiben.

Andreas Müller

Zusätzliche Informationen

Näheres zum Thema Indizierung und Beschlagnahmung erfährt man auf der Website Schmutz und Schund, ein Projekt des Ludwig Uhland Instituts für Empirische Kulturwissenschaft. Die Website Zensur.org und der Aufsatz Geheimnisse der Zensur des Soziologen Dr. Roland Seim M.A. sind zu diesem Thema ebenfalls zu empfehlen.

Quellen (Teil 4)

Rötzer, Florian: Virtuelle Welten - Reale Gewalt. Heinz Heise. Hannover 2003

Jones, Gerard: Killing monsters: why children need fantasy, super heroes and make-believe violence. Basic Books. United States of America 2002

Im Artikel verlinkte Webseiten und weiterführende Literatur