Milliardenklage in den USA wegen Verleumdung gegen Fox

Die Ökonomie der Desinformation

pro-trump-demo.jpg

Pro-Trump-Demonstranten 2020 in Minnesota: Fox News befeuerte die Legende von der "gestohlenen Wahl".
Pro-Trump-Demonstranten 2020 in Minnesota

Heute beginnt in Delaware, USA, ein historischer Gerichtsprozess. Gegenüber stehen sich die Firma Dominion Voting Systems, Betreiber von Wahlcomputern, und Fox News Media, der Kabelsender des australischen Medienmoguls Rupert Murdoch. Wie im Laufe der Beweisaufnahme deutlich wurde, glaubten Fox' Führungsetage und die prominentesten Persönlichkeiten keine Sekunde daran, dass bei der Präsidentschaftswahl 2020 systematisch betrogen worden sei. Dennoch bot der Sender selbst den wildesten Verschwörungsmythen eine Plattform – aus Angst, die Zuschauer*innen könnten zu noch radikaleren Anbietern abwandern.

Es geht um eine Schadensersatzforderung in Höhe von sage und schreibe 1,6 Milliarden US-Dollar – und um die Frage, wie weit man die Wahrheit beugen kann, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Der erste Verfassungszusatz garantiert der US-amerikanischen Presse einen umfassenden Schutz vor Klagen wegen Ruf- oder Geschäftsschädigung. Ein Presseorgan kann nur dann bestraft werden, wenn dem Beklagten – in diesem Fall Fox – "tatsächliche Böswilligkeit" (Englisch: "actual malice") nachgewiesen werden kann. Das bedeutet, Dominion muss nicht nur belegen, dass Fox Falschinformationen verbreitet hat, sondern, dass diese Informationen entgegen besseren Wissens publiziert wurden.

Eine nachvollziehbarerweise sehr hoch angesetzte Hürde – doch Dominion Voting Systems könnte sie nehmen. Denn dass Fox Fake News verbreitet hat, hat der vorsitzende Richter Eric Davis bereits festgestellt: "Die Beweise, die in diesem Zivilverfahren vorgebracht wurden, zeigen klar wie KRISTALL (sic), dass keine der Aussagen über Dominion bezüglich der Präsidentschaftswahl 2020 wahr ist". Davis entschied auch, dass die von Dominion beispielhaft angeführten Statements, die von Fox-Sprecher*innen wie Tucker Carlson oder Maria Bartiromo beziehungsweise deren Gästen stammen, per se Verleumdung darstellen: "Die Statements sind per se rufschädigend, weil sie behaupten, Dominion hätte Wahlbetrug begangen, die Stimmenasuszählung durch eigene Software und Algorithmen manipuliert, wäre in Venezuela gegründet worden, um Wahlen für den Diktator Hugo Chavez zu beeinflussen und hätte Zahlungen an Regierungsbeamte von Bundesstaaten geleistet, wenn diese Maschinen von Dominion einsetzen."

Chinesische Satelliten, Zeitreisende und Hugo Chavez digitaler Geheimdienst

Das Narrativ, das Fox und extremistische Kabelsender wie One American News Network oder Newsmax im Nachgang der Präsidentschaftswahl 2020 verbreiteten, ist nachgerade eines Science-Fiction-Romans würdig. Ausgangspunkt sind die sogenannten Wahlcomputer, die von Unternehmen wie Dominion oder Smartmatic – das Fox ebenfalls wegen Rufschädigung auf 2,6 Milliarden US-Dollar verklagt – bereitgestellt werden. Die Wählenden füllen hier keinen Wahlschein auf Papier aus, sondern setzen ihr Kreuz digital.

Die Geschichte der radikalen MAGA-Fraktion der Republikanischen Partei lautete nun in etwa wie folgt: Millionen Stimmen für Trump seien durch einen Hack dieser Wahlcomputer an Biden gegangen und hätten den Ausgang der gesamten Wahl verfälscht. Versteckte Algorithmen sollen Stimmen per chinesischer Satelliten nach Venezuela übertragen haben, wo ein Team von Hacker*innen diese zugunsten Bidens geändert und zurück an die Wahlcomputer in den USA geschickt hätte. Eine irrwitzige Idee, so fern von jeglicher technischen Machbarkeit, dass man sich fragen muss, welch wahngeplagtem Geist sie wohl entfleucht sein mag. Die Antwort lautet: dem einer selbsternannten Zeitreisenden.

An dieser Stelle tritt Sidney Powell ins Bild, eine texanische Anwältin aus Trumps engstem Kreis, die den Wahlbetrugsmythos federführend mitgestaltete. Am 8. November 2020, also zwei Tage nach der Präsidentschaftswahl, saß Powell zum ersten von dutzenden Malen als Gast bei Fox, damals bei Maria Bartiromo. Betrachtet man Powells Zeugenaussage im Rahmen des Rechtsstreits zwischen Fox und Dominion sowie das Memo (S. 131 f.), das Powell Bartiromo schickte, um ihre Hypothesen zu untermauern, ergibt sich das Bild eines Menschen, der bis zum Haaransatz in wahnhaft anmutenden Vorstellungen zu stecken scheint. Die "Quelle" für die meisten ihrer Aussagen ist eine Mail einer Person, die "in einem semi-bewussten Zustand Zeitreisen erlebt" und daher "Dinge sieht, die andere nicht sehen". Glaubwürdige Beweise sehen anders aus – und das wusste nicht nur Bartiromo, das wusste die gesamte Führungsriege der Fox Corporation.

Murdoch: "Es geht um grün"

"Unsinn" und "inhärent unzuverlässig" nannte Bartiromo Powells vermeintliche Quelle in ihrer Zeugenaussage. Tucker Carlson, Fox' reichweitenstärkster Kommentator, beschrieb Powell in internen E-Mails als "wahnsinnig", "höllisch gefährlich" und als eine "ungelenkte Rakete". Aus den jeweils mehreren hundert Seiten starken Anhängen, die im Laufe des Verfahrens produziert wurden, geht hervor, dass niemand bei Fox tatsächlich glaubte, die Demokratische Partei hätte betrogen, weder via Dominion noch anderweitig.

Rupert Murdoch, der Vorsitzende der Fox Corporation, gestand während seiner Zeugenaussage ein, dass dem schlicht finanzielle Interessen zugrunde lagen. Es wäre unklug gewesen, Trump vor den Kopf zu stoßen, da "er eine große Zahl an Anhänger*innen hat, von denen wahrscheinlich die meisten Fox-Publikum sind". Und auf die Frage, warum Fox noch immer Mike Lindell, einen Verschwörungserzähler vom Kaliber Powell, einlädt, antwortete Murdoch: "Es geht nicht um rot oder blau, es geht um grün." (Rot und blau sind die Farben der republikanischen und der demokratischen Partei, Anm. d. A.) Lindell kaufte bei Fox zwischen Januar 2021 und Oktober 2022 Anzeigen für 80 Millionen US-Dollar, was ihn zeitweise zum größten einzelnen Werbekunden des Senders machte.

Ein Wort taucht in den E-Mails und Textnachrichten der Führungskräfte und beliebtesten Kommentator*innen immer wieder auf: "Quoten". Egal ob Sean Hannity, Tucker Carlson oder Suzanne Scott, CEO von Fox News Media, ihrer aller Loyalität galt den Einschaltquoten mehr als ihrer journalistischen oder unternehmerischen Integrität. Die Angst vor einem Massenexodus des eigenen Publikums war so groß, dass Scott interne Faktenchecks als "schlecht fürs Geschäft" bezeichnete und anmerkte: "Es gibt hier einen Mangel an Verständnis dafür, was in diesen Shows eigentlich passiert" – nämlich, dass Fox keine Nachrichten verbreitet, sondern schlicht das, was das eigene Publikum hören will, unbekümmert, ob Fakt oder Fiktion.

Das Öl des 21. Jahrhunderts

Es geht, im größeren Kontext dieses Gerichtsverfahrens, nicht nur um journalistische oder unternehmerische Ethik, sondern auch um die von Algorithmen und Daten. Selbst gesetzt den Fall, Fox würde verlieren und zu einer Strafzahlung in Milliardenhöhe verurteilt werden, ist nicht damit zu rechnen, dass der Sender eine ideologische Grundüberholung erfährt. Man könnte argumentieren, dass ein solches Urteil Fox sogar dazu zwingt, noch radikaler zu werden. Zu groß ist die Abhängigkeit von einem Publikum, das es gewohnt ist und darauf besteht, stets das eigene Weltbild bestätigt zu bekommen – so groß, dass Fox vergangene Woche sogar den intern verhassten Ex-Präsidenten Donald Trump zu einem – wenn auch überaus konfusen – Interview einlud.

"Es gibt hier auch eine Geschichte darüber, wie Soziale Medien und Analysen selbst mächtige Medieninstitutionen dazu zwingen können, eine starke Nachfrage nach Unwahrheiten zu befriedigen. Die Führungskräfte von Fox News wussten, dass die Wahlbetrugsvorwürfe Unsinn waren, und sie wussten auch, dass ihr Publikum sie hören wollte. Falschinformationen und Propaganda sind keine neuen Probleme, doch moderne Technologie sorgt dafür, dass die Anreize, ein Publikum zu belügen, besonders deutlich zu sehen und die Mittel, um dieses Publikum zu erreichen, besonders leicht zugänglich sind. (…) Die Fähigkeit Einzelner, ein Publikum von Heuchler*innen zu gewinnen, indem sie sie mit Verschwörungen füttern, übt Druck auf die Mainstream-Medien aus, sich dem verschwörerischen Denken zumindest zu beugen, wenn nicht sogar vor ihm zu kapitulieren", fasst es Adam Serwer im Atlantic zusammen. Das Öl des 21. Jahrhunderts ist menschliche Aufmerksamkeit. Und der Anreiz, diese Aufmerksamkeit durch Lügen zu gewinnen und zu halten, war noch nie größer als heute, da Kabelsender wie Fox in Konkurrenz zu Sozialen Netzwerken stehen, deren Algorithmen präzise darauf getrimmt sind, Menschen eben die Informationen zukommen zu lassen, die sie hören wollen.


Ergänzung der Redaktion (19.04.2023, 17:15 Uhr): Entgegen aller ursprünglichen Bekundungen Dominions, keinen Vergleich eingehen zu wollen, haben sich die Streitparteien nur wenige Stunden vor Verhandlungsbeginn doch noch geeinigt. Fox zahlt Dominion eine Vergleichssumme von 787,5 Millionen US-Dollar, was knapp dem Zehnfachen des jährlichen Umsatzes des Wahlmaschinenanbieters entspricht. Fox lässt sich diesen Vergleich etwa 28 Prozent des eigenen Jahresgewinns kosten. Bemerkenswert ist die Einigung in letzter Minute gerade deshalb, weil Vergleiche für gewöhnlich vor der Beweisaufnahme angestrengt werden, um diesen zeit- und kostenintensiven Prozess zu vermeiden.

Unterstützen Sie uns bei Steady!