Andre Wolf, Kommunikationsexperte, Pressesprecher sowie "Content- and Social Media Coordinator" bei Mimikama, einem Verein zur Aufklärung von Internetmissbrauch, legt ein profundes Fachbuch vor, das das "schleichende Gift" von Fake News und Verschwörungsmythen sowie die Tricks und Strategien von Rechtsextremisten, soziale Medien zu unterwandern und zu missbrauchen, analysiert. Der als externer Lehrbeauftragter und Vortragender an Schulen und Universitäten sowie als Diskussionsteilnehmer geschätzte Autor berichtet mit spürbarer Betroffenheit authentisch und eindrücklich von Erscheinungen und Manipulationen im Internet, die in ihren demokratiegefährdenden Auswirkungen weitgehend unterschätzt werden.
Sehr viele Internetnutzer haben bereits leidvolle Erfahrungen mit schleichenden Manipulationen gemacht, die nicht selten Familien spalten. Vor allem die Verbreitung von Verschwörungsmythen hat dazu geführt, dass Menschen sich von Fakten abwenden und radikalisieren. Social Media ist allgegenwärtig, dort verbreitete Lügen und Hassattacken verändern Menschen, verhärten sie, machen sie verschlossen und abweisend. Andre Wolf betreibt seit über sieben Jahren Faktenprüfung im Internet und stellt dabei fest, dass Manipulationen und Falschmeldungen laufend, zum Teil dramatisch, an Umfang und Intensität zunehmen, wobei vor allem rechtsextremistische Inhalte immer größere Bedeutung erlangen.
Die "Neue Rechte", als Sammelbegriff für zumeist radikalisierte männliche Konservative lehnt demokratische Werte ab und versucht mit strategischen Mitteln, das demokratische System zum Sturz zu bringen, Social-Media-Auftritte von Politikern rechtspopulistischer Parteien spielen dabei eine wichtige Rolle. Im Buch detailliert dargestellte Vorgänge und Beispiele beleuchten ein beängstigendes Comeback der extremen Rechten: "Ich habe das Gefühl, je weiter wir uns zeitlich vom Holocaust und dem Dritten Reich entfernen, desto lauter werden Rechtsextreme. Über Social Media dringen sie mit ihren Botschaften immer massiver in die Mitte der Gesellschaft ein."
Der Autor erläutert in mehreren Kapiteln, warum die sxozialen Medien einen fruchtbaren Boden für Manipulationen bieten und Rechtsextreme ihre Inhalte dort besonders effektiv verbreiten können. Er zeigt, wie Falschmeldungen zu Geschichten werden, die sich gut weitererzählen lassen und beschreibt mehrere Eskalationsstufen, die sich anhand anhaltender Angriffe auf die Demokratie ergeben. "Warum wird die Gegenwehr nicht massiver? Gibt es Ideen und Visionen, die die durch Falschmeldungen, Mythen und Hass geschaffene Schieflage in Angriff nehmen können? Das sind die Fragen, die uns bis zum Schluss beschäftigen sollen."
Mit Blick auf die Entwicklung der Kommunikationsformen streift Andre Wolf die Themen Buchdruck, Radio, Film, Fernsehen und Internet, bis hin zum Thema "ProdUser", das die heutige Situation auf Social Media charakterisiert: Alle Konsumenten wurden auch zu Produzenten! ProdUser werden mittels Text, Bild, Audio und Video via "Digital Storytelling" zu Geschichtenerzählern im Web, die Aufgabe der Prüfung der Inhalte des Veröffentlichten verlagert sich dabei vom Sender zum Empfänger der Botschaften. Aus dem Kreis der ProdUser entwickeln sich Multiplikatoren – einzelne sehr erfolgreich als "Influencer" –, die sehr leicht und einfach auch zu Manipulatoren werden können.
In der Beschreibung des historischen Ablaufs der Manipulationen von 2014 bis 2021 erläutert der Autor, wie gutgläubige ProdUser mittels gezielter Falschmeldungen und Verschwörungsmythen von der Flüchtlingsproblematik bis zur Coronakrise von politischen "Heilsbringern" – Donald Trump, HC Strache etc. – manipuliert wurden und werden; Facebook und Twitter mit gigantischen Followerzahlen spiel(t)en dabei eine überaus wichtige Rolle. Rechte Politiker versprechen vor allem Sicherheit durch hartes Durchgreifen, was Verunsicherte dazu verleitet, deren Botschaften weiterzuverbreiten. 2015 und 2016 bilden die Flüchtenden das bevorzugte Sujet für Feindbilder, ab 2017 tritt Islamophobie in den Vordergrund und 2019 taucht Greta Thunberg als zusätzliche Feindin auf, wobei auch bereits Mythen einer jüdischen Weltverschwörung (Greta sei die Enkelin von George Soros) eingebaut werden. Ab 2020 greifen Rechtsextreme die Corona-Pandemie auf, um massiv Ängste via Verschwörungsmythen zu schüren und gegen Corona-Maßnahmen zu agitieren, was Radikalisierungsprozesse allgemein beschleunigt.
Neben Verschwörungsmythen bilden Falschmeldungen und Hetze die Grundlagen der Manipulationen; die Urheber erfinden sie ganz bewusst und platzieren sie strategisch. Diffamierungen und Dämonisierungen besonders von Minderheiten ergänzen die Botschaften, die Grenzen des Sagbaren werden dabei immer weiter verschoben und sprachliche Tabus immer häufiger gebrochen – der Autor bringt dazu zahlreiche Beispiele. Last not least spielen Framing durch bedeutungsgeladene Schlagworte (z. B. "Flüchtlingswelle", "Merkelanten", "Messermänner", "Kopftuchmädchen") und Narrative (z. B. "Zigeuner" als Organ-Mafia, die Kinder entführt) als "sinnstiftende" Erzählungen wichtige Rollen.
"Können wir uns gegen diese Angriffe zur Wehr setzen?" Der Autor bejaht dies mit dem Hinweis auf Wissen und Selbstreflexion, meint dazu aber auch, dass "wer von sich behauptet, niemals auf Manipulationen und Falschmeldungen hereinzufallen, sich im Irrtum befindet und bereits eine Falschmeldung verbreitet". Wer sind die hauptsächlich Verführten? Es sind nicht Jugendliche, die primär auf Plattformen wie Instagram, TikTok, YouTube und Messengern wie WhatsApp unterwegs sind, sondern die 35+-Generation, die vor allem mit Facebook und Twitter verbunden ist. Wie Studien zeigen, sind es hauptsächlich Männer ab 45, die auf Falschmeldungen und Mythen hereinfallen.
"Der Hass macht Schule, weil er oft gewinnt. Meist ziehen sich die Angegriffenen nach kurzem Geplänkel zurück." Die Kommunikationsstrategie des "Mundtot-Machens" wird in einem "Handbuch für Medienguerillas" und "Reconquista Germanica", das in rechtsextremen Kreisen weite Verbreitung gefunden hat, ausführlich beschrieben. Es empfiehlt als erstes ein "Shitposting 1x1", danach ein "Open Source Memetic Warfare" zum Lächerlichmachen von Gesprächsgegnern, dann "Social Networking Raids" zur Planung und Organisation von Angriffen in Diskussionsspalten und, als Ultima Ratio, einen "Angriff auf die Filterblase" mit dem Ziel, normale, unpolitische Menschen in der Mitte der Gesellschaft schleichend zu infiltrieren.
Bewaffnete Gewalt als höchste Eskalationsstufe
Es würde den Umfang dieser Besprechung bei weitem sprengen, auf alle vom Autor sachkundig beschriebenen und mit zahlreichen Beispielen belegten Vorgänge im Zusammenhang mit rechtspopulistischen beziehungsweise rechtsextremen Aktionen und Manipulationen einzugehen. Die Vorkommnisse in den USA mit dem Sturm aufs Kapitol, die Strategien der AfD und FPÖ, die Rolle der Messengerdienste in der Coronakrise und die diversen Eskalationsstufen via Kettenbriefe, Verwirrspiele, "alternative" Meinungen (Science Wars), Verschwörungsmythen und Falschmeldungen kommen dabei zur Sprache, wie auch die Methoden einzelner Hetzer und Manipulatoren (wie Xavier Naidoo und Attila Hildmann) mit ihren negativen Auswirkungen. Als höchste Eskalationsstufe befürchtet Andre Wolf bewaffnete Gewalt, wie sie in den USA, aber auch in Europa in Ansätzen bereits stattfand: "Derzeit gehen wir sehenden Auges auf diese fünfte Eskalationsstufe zu … Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Zusammenspiel von rechtspopulistischen politischen Führern mit einem rechtsextremen bewaffneten Mob demokratisch gewählte Volksvertreter das Leben kostet und eventuell sogar zu einem Umsturz führt."
"Wohin gehen wir?" nennt sich das letzte Kapitel des Buches, das unter anderem die Rolle des "schwachen Staates", das Verhältnis von "Meinungsfreiheit, Lügen und Fakten", die "Rolle der Medien in der Informationsdarstellung", die Fragen von "Bildung und moralischem Minimum", die "Verantwortung der Plattformbetreiber" und das "Pro und Contra von Anonymität" beleuchtet. Um in den sozialen Netzwerken ein Gleichgewicht herzustellen, das eine sachliche, demokratische Debatte ermöglicht, sollten nach Meinung des Autors neue Instanzen für den Angriff auf den Angriff geschaffen werden. "Ein Schritt in diese Richtung könnte ein großes, unabhängiges und überparteiliches Social-Media-Informationszentrum sein. Es müsste eine finanziell abgesicherte Institution sein, die jederzeit erreichbar ist und aktiv, gleichsam aufsuchend, arbeitet."
"Angriff auf die Demokratie" ist ein Buch, das weite Verbreitung und intensive Beachtung verdient. Nach einer episodischen Einleitung entwickelt sich der Inhalt zu spannender, tiefgründiger Lektüre, die in ihren Bann zieht und Erkenntnisse vermittelt, die in Details, aber auch in der Zusammenschau zutiefst alarmierend und erschreckend sind. Jeder Internetnutzer, jede -nutzerin sollte diese Gefahren kennen und in eigene Beurteilungen und Verhaltensweisen implementieren. Der Schlusssatz des Autors lautet demgemäß: "Unsere Geschichte sollte uns als Warnung dienen. Wir wissen, wie Rechtsextreme an die Macht kommen. Wir wissen, dass es dann zu spät ist. Daher müssen wir jetzt handeln. Wir alle tragen die Verantwortung."
Andre Wolf: Angriff auf die Demokratie – Wie Rechtsextremisten die Sozialen Medien unterwandern, 2021, edition a, Wien, ISBN 978-3-99001-491-2, 200 Seiten, 22 Euro
4 Kommentare
Kommentare
Giordano Bruno am Permanenter Link
Unbedingt lesen, ein Schlüsselbuch über die gefährdete Demokratien weltweit.
Adam Sedgwick am Permanenter Link
Klar, ich stimme diesem Beitrag von Gerfried Pongratz zu, dass die Ausbreitung von rechtem und rechtsradikalem Gedankengut im Internet unterbunden werden muss, wie auch viele Fake-News.
Rechtsradikale lassen sich leicht an ihren Widersprüchen zu unserer Verfassung erkennen, am besten man ignoriert sie. Übrigens, gerade im Internet hat man doch auch eine Menge an seriösen Informationen, die sehr leicht zugänglich sind, und dem Stuss der Rechten begegnen kann. Gefährlich finde ich die Unterdrückung oder das Verschweigen wichtiger Informationen, wie zum Beispiel das AstraZeneca seinen Impfstoff ohne Profit verteilt. (Übrigens AstraZeneca schreibt sich in der Mitte mit einem großen Z, viele Medien ignorieren das, wie zum Beispiel das Hauptstadt-Medium Der Tagesspiegel, nicht wichtig, aber Korrektheit auch im Detail fördert das Vertrauen. Eigentlich sollten sich die Humanisten und Freunde der Verfassung permanent und stärker gegen die Erosionsversuche der Rechten vorgehen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Danke für deine schöne Rezension, lieber Gerfried; macht Lust auf Lesen!
Mit am schlimmsten empfinde ich in der Tat sogenannte Influencer mit ihren Followern - geradezu eine Pest.
Da hat dann der propagandistisch erfahrene Sumpf u.U. leichtes Spiel, ihm auf den Leim zu gehen.
Es ist manchmal zum Verzweifeln.
a.s. am Permanenter Link
Angriffe von Rechts auf die Demokratie sind ja nichts neues, die gabe es auch schon 1919 und in den Folgejahren. Was damals das Radio, sind heute die sozialen Medien.
Was aber auch genannt werden muss, ist der Angriff von linker Seite auf den Demokratie und von islamistischer Seite.
Freiheit ist vielen ein Dorn im Auge. Freiheit gewähren wollen all jene nicht, die nach Macht streben, denn ihre Macht ist die Unfreiheit der anderen. Machtgier, in welcher Spielart auch immer, ist der Feind von Demokratie und individueller Freiheit.
Machtgier treibt auch die Indentitätspolitiker, die Menschen in Kisten zwängen wollen statt die Menschen sich nach eigenem Gusto entwickeln zu lassen.