Das von Noam Chomsky und Edward S. Herman entwickelte "Propagandamodell" gehört zu den "Klassikern" der Medienkritik, ihr einschlägiges Buch dazu erschien aber erst jetzt in deutscher Übersetzung. Berechtigt wird auf ökonomische und politische Interessen bei der Medienberichterstattung verwiesen, aber doch allzu eindimensional und monokausal eine Linie von den "Herrschenden" zu den Medien gezogen.
Gegenwärtig kursieren grobschlächtige Diffamierungen der Medien von "rechts", was etwa bei einschlägigen Demonstrationen an den "Lügenpresse"-Rufen wahrnehmbar ist. Es gibt aber auch eine Medienkritik von "links", die in der inhaltlichen Anlage weitaus seriöser, aber auch nicht unproblematisch ist. Auch dort macht man sich die Angelegenheit doch recht einfach, wenn etwa von "den Herrschenden" gerade Linien zu den Medien gezogen werden. Ein Beispiel dafür ist die deutsche Erstveröffentlichung eines entsprechenden "Klassikers", vorgelegt von Noam Chomsky und Edward S. Herman, erstmals aber bereits 1988 erschienen. Ersterer ist als vehementer Kritiker der US-Außenpolitik und innovativer Linguist weltberühmt, Herman lehrte Finanzwissenschaft als Professor. Von beiden liegt nun ein voluminöses Buch vor: "Die Konsens-Fabrik. Die politische Ökonomie der Massenmedien". Darin kritisieren sie nicht nur politische Einseitigkeiten in der Medienberichterstattung der USA, sie führen diese auch auf die Eliteinteressen aus Politik und Wirtschaft zurück. Dabei entwickeln Chomsky und Herman ihr zentrales "Propagandamodell".
Eine einführende Erläuterung dazu findet man als Einleitung, die von Mitarbeitern des herausgegebenen "Netzwerk Kritische Kommunikationswissenschaft" erstellt wurde. Darin werden die Grundzüge des Modells vorgestellt: Die beiden Autoren "beschreiben das strukturelle Bedingungsgefüge von Medienproduktion in kapitalistischen Gesellschaften und die dadurch ermöglichte, direkte oder indirekte Einflussnahme bestimmter gesellschaftlicher Akteure auf die Berichterstattung. Staatliche Zensur gebe es nicht, wohl aber Selbstzensur und eine häufig unbewusste Anpassung an Machtverhältnisse, etablierte Normen und finanzielle Zwänge" (S. 9). In der Einleitung wird dann auch auf die Kritik an dem Modell eingegangen, etwa bezogen auf den Verschwörungstheorie-Vorwurf. Außerdem geht es um die Anwendung des Modells und seine Weiterentwicklung. Die Bedeutung des Internets und neuer Medien kommt dabei aber viel zu kurz. Dafür betont man die Differenz zu populärer Kritik wie etwa von Richard David Precht und Harald Welzer, lieferten diese doch nur eine sozialpsychologische Erklärung, ohne ökonomische Faktoren zu berücksichtigen.
Im dann folgenden Hauptteil wird darauf abgestellt, dass in der Berichterstattung zu sehr die Interessen von Privatwirtschaft und Staat dominierten. Pauschal und simplifizierend ist dabei immer von den "Mächtigen" die Rede, wobei mit einem doch sehr abstrakten Eliteverständnis gearbeitet wird. Es heißt: "Ein Propagandamodell konzentriert sich auf diese Ungleichheit von Reichtum und Macht und die vielfältigen Auswirkungen, die sie auf die Interessen und Entscheidungen derer hat, die über die Massenmedien bestimmen" (S. 130). Nach den Autoren würden für die Berichterstattung fünf Filter bestehen: Eigentumskonzentration im Medienbereich, Notwendigkeit von Werbeeinnahmen, Abhängigkeit von Informationsquellen, Furcht vor juristischen Folgen und "Antikommunismus" als Kontrollmechanismus. Nach der Erläuterung des gemeinten Modells, wobei insbesondere die Ausführungen zur Medienkonzentration beachtenswert sind, geht es um ausführliche Fallstudien zur Veranschaulichung: die Berichterstattung über Kriege, Opfer und Wahlen. Große Bedeutung kommt dabei der Erinnerung an den Vietnam-Krieg zu.
Die erwähnten Fallstudien veranschaulichen an Quellen und Statistiken durchaus, wie einseitig einer bestimmten politischen Interessenlage folgend die seinerzeitige Medienberichterstattung war. Dies mag am Beispiel von Wahlen in Zentralamerika veranschaulicht werden: Trotz manipulativen Agierens kamen autoritäre US-freundliche Regime gut dabei weg, während der relativ faire Ablauf in als US-unfreundlich geltenden Ländern nicht thematisiert wurde. Bedeutsam sind darüber hinaus die Ausführungen zu den Medien als ökonomischer Sektor, womit eben in der Berichterstattung politische und wirtschaftliche Interessen verbunden waren. So berechtigt damit einhergehende Einwände sind, so monokausal wirkt die Interpretation. Es wird allzu einfach eine Instrumentalisierung unterstellt, was bestimmte Sachverhalte eher ausblendet. Dazu gehört etwa die Beendigung des Vietnamkriegs, hing diese doch sehr wohl mit der kritischen Berichterstattung über Kriegsverbrechen zusammen. Ansonsten müssen sich heutige Leser darüber klar sein: Man liest ein Buch von 1988. Die Medienlandschaft hat sich bis 2023 aber stark verändert.
Edward S. Herman/Noam Chomsky: Die Konsens-Fabrik. Die politische Ökonomie der Massenmedien, Frankfurt am Main 2023, Westend-Verlag, 702 Seiten, 44 Euro