Eine gotteslästerliche Floßfahrt

(hpd) Der als Illustrator und Zeichner bekannte Helge Nyncke hat nun auch als Autor ein Sachbuch verfasst, in dem er den religionskritischen Diskurs vom allzu engen Fokus auf religionsspezifische Details auf eine breit angelegte Spurensuche nach den Ursprüngen des „Homo Religiosus“ ausweitet.

Hpd: Den meisten Leuten bist du bekannt als Zeichner und Illustrator. Nun liegt dein erstes Sachbuch vor. Was hat dich dazu bewogen es nun mit dem Schreiben zu versuchen?

Helge Nyncke: Im Bereich Kindermedien habe ich schon vor vielen Jahren neben dem Illustrieren auch mit dem Schreiben angefangen, damals vor allem ausgelöst durch meine Unzufriedenheit mit vielen langweiligen und schlecht gemachten Texten, die mir auf den Schreibtisch kamen. Aber auch für erwachsene Augen und Ohren schreibe ich schon länger, vor allem in kabarettistischer Form oder als Kurzgeschichten. Speziell zum Thema dieses Buches wurde ich 2006 durch einen Essaywettbewerb unter dem Thema „Religion und Spiritualität in unserer Gesellschaft“ angeregt. Mein relativ kurzer Beitrag wurde derzeit zur Veröffentlichung ausgewählt und ließ mir inhaltlich einfach keine Ruhe mehr – es gab noch so viel dazu zu sagen, das keinen Platz in der Form des Essays fand, dass ich beschloss, daraus ein ganzes Buch zu machen.

Bereits der Titel des Buches provoziert ja mit dem Terminus „gotteslästerlich“. Ist das Buch eine erneute Provokation gegenüber Gläubigen, wie es ja auch das von dir illustrierte Ferkelbuch war?

Ich würde es eher als eine Art Angebot betrachten, was eine gewisse Empfindlichkeit in der Reaktion gläubiger Menschen natürlich nicht ausschließt. Wie auch im Ferkelbuch geht es ja hierbei nicht nur um die Aufdeckung von Widersprüchen und problematischen Seiten des religiösen Glaubens und dessen alltagsrelevanter Praxis, sondern mindestens ebenso engagiert um die Stärkung des gesunden Menschenverstandes, des eigenständigen, bekenntnisfreien Denkens und der Würde des individuellen Urteils und Empfindens. Wer das als Provokation versteht, offenbart damit eben jene Toleranzgrenzen religiösen Denkens, um die es unter Anderem in diesem Buch geht. Der Begriff „gotteslästerlich“ beschreibt dabei schlicht das Grundproblem, dass jede Form von Infragestellung religiöser Dogmen per se einen Tabubruch darstellt und somit von entsprechender Seite wie eine Gotteslästerung gewertet werden könnte, wobei ich im Inneren klarstelle, dass nach meiner Auffassung etwas, dessen Existenz nicht nachweisbar ist, auch nicht gelästert werden kann.

Das Buch richtet sich, anders als viele andere Bücher zum Thema Religionskritik, ja ganz bewusst nicht an ein akademisches Publikum. Warum hast du diesen populären Ansatz gewählt.

Sicher werden dieses Buch auch Akademiker mit Genuss und Gewinn lesen können, denn mein Ansatz der kreativen Variation von Perspektiven ist eine anregende Übungsmethode für jedes wache Bewusstsein und kein Schonprogramm nur für Denkfaule. Mir ist beim Lesen vieler einschlägiger Sachbücher immer wieder klar geworden, dass deren streng wissenschaftlicher Ansatz trotz populärwissenschaftlichem Anstrich oft ein hohes Maß an thematischen Vorkenntnissen und komplexem Sprachverständnis voraussetzt, das bei der breiten Bevölkerung schlicht so nicht erwartet werden kann. Aber gerade hier finden sich ja viele derjenigen, denen bisher die weit verbreitete religiöse Dauerwerbesendung in der Erziehung und auf allen Medienkanälen eine wirklich eigenständige Positionsbestimmung nicht gerade nahe gelegt hat. Außerdem liegt mir als Künstler eine solche lustvoll und kreativ weit gefächerte Sichtweise eindeutig mehr als ein allzu enges akademisch-sachliches Schreibkonzept. Und dieser Ansatz ist auch ein Ausdruck meiner Überzeugung, dass die Grundproblematik der religiösen Suche und Beeinflussung über einen möglichst ganzheitlichen, breit angesetzten und nicht nur akademisch vorbestimmten Blickwinkel vielleicht besser und klarer dargestellt und verstanden werden kann, als ausschließlich auf der bewährten Schiene der wissenschaftlichen oder philosophischen Fachdiskussion.

Neben den essayistischen Haupttexten enthält das Buch ja auch eine ganze Reihe von Satiren und Karikaturen. Wie kam es zu der Idee den Sachtext mit diesen Elementen zu verbinden.

Diese Kombination ergab sich fast von selbst eben aus dem Ansatz, die Themen dieses Buches aus verschiedenen Blickwinkeln und mit unterschiedlichen stilistischen Mitteln zu behandeln, um sie sozusagen dreidimensionaler darstellen zu können, also von verschiedenen Seiten aus zu beleuchten. Da ich ja schon von Berufs wegen zusätzlich zum Schreiben auch die Bildebene mit einbringen kann, lag es nahe, einige besonders pikante Punkte in Form von Karikaturen zusätzlich zu betonen, und da ich mich auch beim Formulieren neben Sachtexten immer schon gerne in anderen Stilbereichen wie Gedichten, Redetexten, Kurzgeschichten oder Satiren bewegt habe, konnte ich auch diese Variationsmöglichkeiten in dem Buch nutzbringend anwenden. Zum Einen steigert das natürlich den Unterhaltungswert, und die Satiren lassen sich auf Lesungen wunderbar publikumsgerecht kommunizieren. Zum Anderen aber unterstreicht es meinen Ansatz einer möglichst breit gefächerten Herangehensweise an das Thema.


Was würdest du sagen ist die zentrale Aussage deines Buches?

Mein zentrales Anliegen ist der Versuch, den religionskritischen Diskurs vom allzu engen Fokus auf religionsspezifische Details auszuweiten auf eine breit angelegte Spurensuche nach den Ursprüngen des „Homo Religiosus“ sowohl in kulturhistorischer wie in bewusstseinsstruktureller Hinsicht. Meine Thesen dazu sind sehr verkürzt gesagt, dass religiöse Weltbilder einerseits aus einer dramatischen Übergangsperiode frühsteinzeitlicher Bewusstseinsbildung entstammen und sich noch heute wie ein unbewältigtes Kindheitstrauma der Menschheit in Form von Verhaltensstörungen manifestieren. Andererseits aber finden sie auch eine strukturelle Entsprechung im Zusammenspiel unserer verschiedenen Bewusstseinsebenen und sind darum aus unserem Denken und Fühlen trotz aller Aufgeklärtheit so schwer wegzubekommen. Was dagegen hilft, ist einerseits eine klare Analyse der uns evolutionär mitgegebenen Grundgegebenheiten unserer Weltwahrnehmung und daraus abgeleitet ein selbstbewusstes und erfahrungsorientiertes Ausbalancieren zwischen tradierten und eigenständigen Werten und Orientierungsebenen auf der Grundlage moderner Erkenntnisse wie der Evolutionslehre und den universellen Menschenrechten.

Das Buch enthält die provokante Spekulation, dass Religion eine Erfindung alter sexuell frustrierte Männer sein könnte. Wie bist du auf diesen Gedanken gekommen.

Diese These beschreibt ganz speziell einen Aspekt der doch sehr auffälligen und fragwürdigen Abwertung der Sexualität innerhalb der drei großen Weltreligionen, bei dem ich mich gefragt habe, wo seine Ursprünge und damit vor allem sein Nutzwert gelegen haben mag, denn jede noch so neurotische Verhaltensweise war ja mal für irgend etwas gut, sonst wäre sie nicht entstanden. Bei dieser Spurensuche entdeckte ich einen besonders interessanten und hochproblematischen Entwicklungsabschnitt im Zuge der Sesshaftwerdung des frühen Homo Sapiens, aus dem ich diese zugegebenermaßen hochspekulative, aber auch faszinierend einleuchtende These entwickelt habe, die sozusagen psychologische Problempunkte menschlicher Paarbeziehungen in Bezug setzt zu problematischen Umbruchssituationen in der sozialen Beziehungsgeschichte der Frühmenschen und daraus konsequent ein paar atemberaubende Schlussfolgerungen zu einem denkbaren Zusammenhang von individueller, sozial nachvollziehbarer Frustration und daraus geborener moralischer Unterdrückung und Tabuisierung der frustrierenden Umstände ableitet.