(hpd) Inzwischen gibt es eine ganze Reihe wissenschaftlicher Studien über Religion als natürliches Phänomen. Leider widersprechen Interpretationen einzelner Ergebnisse oft den Interpretationen anderer Ergebnisse. Im Folgenden der Versuch einer Synthese. Außerdem: Sind Nichtreligiöse intelligenter als Gläubige? Und: Was müssen wir tun, um alle Probleme der modernen Zivilisation zu lösen?
Bevor ich mich an die großen Welträtsel mache, möchte ich zunächst auf eine Kritik am ersten Teil der Reihe eingehen. Sie läuft darauf hinaus, dass die ethischen Unterschiede zwischen Gläubigen und Atheisten womöglich, wie die scheinbar höhere Wohltätigkeit von Gläubigen, auf die Altersunterschiede von regelmäßigen Kirchgängern und der jüngeren Generation zurückzuführen wären. Dies klingt in der Tat naheliegend, so haben ältere Menschen tendenziell konservativere Ansichten. Aber es stimmt trotzdem nicht.
Sieht man sich nämlich die Haltungen von amerikanischen Gläubigen und Nichtgläubigen zur Todesstrafe und zur Abtreibung an, lässt sich deutlich folgender Trend ausmachen: Nichtgläubige haben in allen Bereichen die liberalste Einstellung (gegen Todesstrafe, für ein Recht auf Abtreibung), wobei Juden ebenfalls sehr liberal sind, gefolgt von Protestanten und schließlich von Katholiken. Bereinigt man die Zahlen nach politischer Zugehörigkeit (liberal / konservativ), bleibt das Ergebnis gleich. Die Religionszugehörigkeit hat also einen reellen Einfluss auf unsere Ethik. Dies lässt sich bei anderen Problemfeldern, etwa Toleranz gegenüber Homosexuellen, Befürwortung der Sterbehilfe, etc. ebenso aufzeigen.
Sind Nichtreligiöse intelligenter?
Konfrontiert mit der Erkenntnis, dass Religiosität und Intelligenz negativ korrelieren, argumentieren Gläubige und ihre Behüter, dass die Ergebnisse unklar wären, dass wir nicht über genügend Daten verfügten, dass man Intelligenz sowieso nicht messen könne, oder dass der jeweils verantwortliche Intelligenzforscher ein böser Rassist / Religionsfeind sei und von daher sowieso nicht glaubwürdig.
Tatsächlich werden seit 1928 von den verschiedensten Wissenschaftlern international Studien angefertigt, welche diese Frage untersuchen, uns liegen repräsentative Daten von 95% der Weltbevölkerung aus 137 Staaten vor und das Ergebnis ist so eindeutig wie selten eines in der Wissenschaft. Es gibt keine einzige Studie, die zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
Nichtreligiöse sind intelligenter als Gläubige und zwar im Durchschnitt um sechs IQ-Punkte des g-Faktors, des Generalfaktors der Intelligenz. Dieser ist, seit er 1923 zum ersten Mal vorgeschlagen wurde, mehrmals überprüft und bestätigt worden. Intelligenztests zur Ermittlung von g wurden über die Jahre stets verbessert und sind inzwischen kulturübergreifend mit hoher Verlässlichkeit ausführbar.
Elementary Cognitive Tasks (ECTs) korrelieren zum Beispiel stark mit dem g-Faktor und sind vom Aufbau her äußerst einfach. Beispielsweise muss man bestimmen, ob ein Licht rot oder blau ist, oder ob vier oder fünf Quadrate auf dem Computerbildschirm sichtbar sind. Um diese Tests zu lösen, muss man einfach nur schnell auf einen von zwei Knöpfen drücken. Es gibt einen dritten Knopf, um den jeweiligen Test zu starten. Die Reaktionszeit korreliert dabei stark mit der allgemeinen Intelligenz, also mit dem g-Faktor. Es ist kein kulturabhängiges Wissen wie bei aufwändigeren Intelligenztests (die man überall im Internet oder in Assessment Centers vorfindet) notwendig.
Allerdings sind sechs IQ-Punkte nicht überwältigend viel. Der Durchschnitts-IQ beträgt schließlich 100. Durchschnittliche Begabung setzt man bei einem IQ zwischen 90 und 110 an. Auch bedeutet dies natürlich nicht, dass alle Atheisten intelligenter wären als alle Gläubige, sondern dass Atheisten im Durchschnitt, also im statistischen Mittel, intelligenter sind als Gläubige insgesamt. Hinzufügen sollte man, dass Intelligenz überwiegend angeboren ist und vor allem durch Ernährung und Gesundheit beeinflussbar. Durch Bildung lässt sich die Intelligenz nicht steigern. Aber durch Bildung kann man sich vom Glauben befreien.
Im Ergebnis fragt man sich, ob die geringere Intelligenz von Gläubigen der Grund ist, warum Religion noch existiert. Ich denke nicht. Erstens ist der Unterschied zwischen Atheisten und Gläubigen in Punkto Intelligenz gering (Anglikaner und Juden schneiden zudem ganz ähnlich ab wie Atheisten) und zweitens muss man sich auch die Merkmale von Gläubigen innerhalb einer Nation ansehen. Und hier können wir feststellen, dass soziale Sicherheit eindeutiger die Religiosität reduziert als eine hohe Intelligenz, auch wenn das eine häufig mit dem anderen zusammenhängt.
Sind Fundamentalisten dümmer?
Intuitiv neigen viele Menschen zu der Annahme, dass fundamentalistische Gläubige weniger intelligent sind als diejenigen, die ihre Bibel eher metaphorisch auslegen (Sam Harris findet allerdings den liberalen Glauben unvernünftiger). Diese Frage wurde in einer amerikanischen Studie überprüft.
Das Ergebnis: Moderate und Fundamentalisten unterscheiden sich nicht in ihrer Intelligenz. Der Psychologe Prof. Poythress fasst sein Ergebnis wie folgt zusammen: „Wortgläubige unterscheiden sich nicht signifikant von mythologisch-orientierten Gläubigen in ihrer Intelligenz, in ihrem Autoritarismus, oder in ihren rassistischen Vorurteilen. Es wurde aufgezeigt, dass religiös Gläubige als Gruppe signifikant weniger intelligent sind und autoritärer als jene, die der Religion skeptisch gegenüberstehen.“
Eine andere Studie hat gezeigt, dass Sektiererei (der Glaube, dass die eigene Religion die einzige auf dem Weg zu Gott ist) negativ mit der Intelligenz korreliert. Je sektiererischer jemand ist, desto geringer ist seine Intelligenz. Derweil korreliert eine skeptische Haltung gegenüber dem eigenen Glauben positiv mit der Intelligenz. Wer seinen Glauben also in Frage stellt, ist schlauer.
Je religiöser, desto besser?
Im Jahre 2005 veröffentlichte der unabhängige Forscher Gregory S. Paul eine sehr einflussreiche Studie über die Frage, wie die gesellschaftliche Gesundheit religiöser Länder im Vergleich zu der von nichtreligiösen Ländern (jeweils im Falle wohlhabender Demokratien) ausfällt. Ergebnis: „Im Allgemeinen korreliert eine große Häufigkeit des Glaubens an einen Schöpfer und dessen Verehrung mit einer großen Häufigkeit von Mord, Jugendsterblichkeit, Sterblichkeit junger Erwachsener, Infektion mit Geschlechtskrankheiten, Teenagerschwangerschaft und Abtreibung in den wohlhabenden Demokratien.“ Die Akzeptanz der Evolutionstheorie scheint ferner ein geeigneter Maßstab zu sein, um gesellschaftliche Gesundheit zu messen.
Atheistische Länder sind friedlicher
Der Global Peace Index 2009 enthüllt weitere interessante Fakten. Kurz gesagt werden Länder immer friedlicher, je weniger religiös sie sind.
Der Biotechnologe und Wissenschaftsjournalist Tom Rees PhD hat sich den Global Peace Index einmal näher angesehen. Dieser berücksichtigt 23 Kriterien für Friedlichkeit, darunter Kriege mit anderen Ländern, interne Konflikte, Respekt für Menschenrechte, die Anzahl von Morden, die Anzahl von Menschen im Gefängnis, Waffenhandel, der Grad an Demokratie (vgl. Guardian).
Die friedlichsten Länder gibt es hier in einer Karte von Vision of Humanity zu bestaunen. Ganz oben im Ranking machen es sich die allergottlosesten Nationen der Welt bequem: Neuseeland, Dänemark, Norwegen, Island, Schweden, Japan, Kanada, Finnland und Slowenien.
Nimmt man die Daten des World Values Survey hinzu, kommt man zu dem Ergebnis, dass der Zusammenhang zwischen Atheismus und Friedlichkeit hoch statistisch signifikant, also real ist.
Die große Synthese
Tom Rees hat in seiner Folgestudie auf die von Gregory S. Paul vor ein paar Wochen herausgefunden, dass religiöse Länder in weiteren Kategorien schlechter abschneiden. Vor allem kann man feststellen, dass das Einkommen in nichtreligiösen Ländern gerechter verteilt ist und die gerechte Einkommensverteilung ist der wichtigste Maßstab für die gesellschaftliche Gesundheit allgemein (dazu später mehr). Doch Rees trägt in seiner Synthese der Ergebnisse etwas noch Wichtigeres zur Forschung bei: Er führt all diese Faktoren auf ihre zentrale Wirkung auf den Menschen zurück: Die persönliche Unsicherheit.
Religiöse Menschen sind signifikant unsicherer als Atheisten. Sie glauben eher, dass sie ihr eigenes Leben nicht unter Kontrolle haben. Wie bereits in Gott und der Tod dargelegt, begünstigt das Gefühl, man habe das eigene Leben nicht unter Kontrolle, den Glauben an einen allguten, kontrollierenden Gott oder an eine allgute, kontrollierende Regierung. Religiöse hängen stark an ihrem Glauben, um ihren bevorzugten Level an Kontrolle zu stabilisieren. Zugleich ist „Gläubiger“ (Christ, Moslem, etc.) eine positive moralische Identität, also etwas, das gesellschaftlich erwünscht ist und gefördert wird. Die Annahme einer positiven moralischen Identität begünstigt unethisches Verhalten.
Opium des Volks?
In gewisser Hinsicht wirkt Religion wie eine Droge. Anstatt die Ursachen ihres Elends zu bekämpfen, suchen Gläubige nach einer Ersatzbefriedigung ihres Sicherheitsbedürfnisses.
Empirische Psychologie und Soziologie haben also eine berühmte Aussage von Karl Marx bestätigt:
„Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.
Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks: Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.“
Man sollte allerdings erwähnen, dass die Lösung dieses Problemes und damit verbundener Probleme keineswegs auf den Marxismus hinausläuft. Karl Marx hatte nicht mit allem recht, nur weil er mit dieser einen Sache recht hatte, wobei die Opium-Theorie auch nicht das gesamte Phänomen der Religion erklärt.
Die Wurzel allen Übels
Gläubige verbeißen sich in den Gotteswahn, in diese letzte Zuflucht und absolute Wahrheit, werden von der Gesellschaft darin bestärkt und dafür geschätzt. Der Glaube beruhigt seine Anhänger und verleiht ihnen künstliche Zuversicht, die nicht in äußeren Umständen begründet liegt, sondern in der „Droge Gott“. Religion ist eine Art Motivationstraining und Selbst-Aufbaukurs für Abergläubige.
Aus dem Verlangen nach Selbstbestätigung und moralischer Überlegenheit, die sich Gläubige immer wieder selbst einreden und gegenseitig versichern müssen (die Gottes-Pille nimmt man mindestens einmal in der Woche zu sich) resultiert, dass sich Gläubige selbst für ethischer halten als Nichtreligiöse, dass sie intoleranter gegenüber Minderheiten sind, dass sie stärker zu betrügerischem Verhalten neigen und dass sie generell an moralischen Vorgaben, wie dem Abtreibungsverbot, dogmatischer festhalten (vgl. Teil 1). Und daher stammt auch ihre Furcht vor Religionskritik: Ihre religiöse Identität hängt eng mit ihrem persönlichen Sicherheitsgefühl zusammen. Aus gläubiger Perspektive ist das Blasphemieverbot ein Mittel der Selbstverteidigung. Es geht um nicht weniger als ihre körperliche Unversehrtheit. (Das hat mit der Realität natürlich überhaupt nichts zu tun, andererseits sind auch im Gehirn erzeugte Illusionen für die Betroffenen real).
Der Glaube an einen kontrollierenden Gott und das Verlangen nach einem autoritären Staat entspringen also der selben Quelle: Persönliche Unsicherheit.
Gleichzeitig ist es allerdings so: Die Reduktion des Glauben an die Regierung oder an Gott erhöht die Selbstbestimmung. Darum ist es für viele Menschen ein befreiendes Gefühl, die Fesseln des Glaubens abzuwerfen. Besonders gut funktioniert dies unter der Bedingung hoher gesellschaftlicher Gesundheit. Religionskritik alleine genügt nicht.
Den Teufelskreis durchbrechen
Wie verringert man also den Glauben an Gott und Regierung? Die effektivste Methode besteht darin, die gesellschaftlichen Bedingungen zu schaffen, die persönliche Sicherheit garantieren. Nebenbei garantieren die selben Maßnahmen auch gesellschaftliche Stabilität, Frieden und das Glück der Menschen allgemein. Leider stehen uns in mehreren Bereichen gerade die Religionen und ihre Dogmen bei diesem Projekt im Weg.
Im nächsten Teil befasse ich mich mit der Frage, wie die Maßnahmen konkret lauten, die wir ergreifen müssten, um die gesellschaftliche Gesundheit zu verbessern und um die persönliche Sicherheit der Menschen zu erhöhen. Ferner soll die Frage geklärt werden, ob Religiosität in der menschlichen Natur liegt, also ob sie eine Adaption ist, welche die Fitness steigert und zum Überleben des Menschen beiträgt oder beigetragen hat.
Index
Religion: Die neuesten Erkenntnisse (1)
Religion: Die neuesten Erkenntnisse (2)
Religion: Die neuesten Erkenntnisse (3)
Religion: Die neuesten Erkenntnisse (4)
Andreas Müller