Mit einer simplen, kontextlosen Stichwortsuche meint Ted Cruz, Milliarden an Fördergeldern für "woke" Wissenschaftsprojekte entdeckt zu haben. Das Weiße Haus streicht wie im Fieberwahn die staatlichen Forschungsgelder zusammen. Diese Politik der Kettensäge wird die US-amerikanische Wissenschaftslandschaft nachhaltig zum Schlechteren verändern.
Anfang Januar bestätigte der US-Senat Ted Cruz als Vorsitzenden des Ausschusses für Wirtschaft, Wissenschaft und Verkehr. Der texanische Senator ist bekannt dafür, online zirkulierende Verschwörungsmythen und Hoaxes zu verbreiten, wie beispielsweise eine angebliche Bier-Rationierung. Besonders kritische Schlagzeilen produzierte der Republikaner im Jahr 2021, als er während eines verheerenden Schneesturms, der weite Teile des bundesstaatlichen Stromnetzes lahmlegte, einen Kurzurlaub im sonnigen Mexiko einlegte.
Cruz ist kein Unbekannter in diesem Komitee. Vergangenen Oktober veröffentlichte er einen Bericht zur Verwendung der Geldmittel der Nationalen Stiftung für Wissenschaft (National Science Foundation, NSF), in dem er einige fulminante Anschuldigungen gegen die Vorgänger-Regierung erhebt. Deren Direktive zur Inkludierung von Diversity, Equity & Inclusion (DEI, teils um "Access" zu DEIA ergänzt) solle katastrophale Auswirkungen auf die Integrität der Wissenschaften gehabt haben.
So heißt es in der Presseerklärung zum Report: "Die Analyse des Komitees identifizierte 3.483 Forschungsstipendien – mehr als zehn Prozent aller NSF-Förderverträge der Biden-Harris-Regierung – mit einem Volumen von mehr als 2,05 Milliarden US-Dollar, die an fragwürdige Projekte gingen, die DEI-Werte förderten oder neo-marxistische Perspektiven über anhaltende Klassenkämpfe vorantrieben. Das Komitee teilte diese Stipendien in fünf Kategorien ein: Status, soziale Gerechtigkeit, Gender, Race und Umweltgerechtigkeit."
Der wissenschaftsfeindliche Wolf im Schafspelz der Vernunft
Mitte Februar veröffentlichte der Ausschuss dann die dieser Behauptung zugrunde liegende Datenbank. Und was der Senator hier nicht alles als "neo-marxistisch", "woke" und "DEI" identifiziert, ist wirklich beeindruckend. Denn offensichtlich hat man nichts anderes getan, als einmal Strg+F über die Anträge an die NSF laufen zu lassen und nach Schlagworten wie "Trauma", "Klimawissenschaft" oder "Diversität" zu suchen.
ProPublica identifizierte unter anderem ein Forschungsstipendium für die Untersuchung der Evolution von Minzpflanzen, das anscheinend wegen der Begriffe "diversifizieren" und "weiblich" von Cruz als "woke" identifiziert wurde. Außerdem ein Gerät zur Diagnose und Behandlung von Gehirnerschütterungen, denn im Bewilligungsantrag tauchten die Begriffe "traumatisch" und "Status" auf – im Kontext von Hirnverletzungen und dem Gesundheitszustand der Betroffenen.
Auch NPR warf einen staunenden Blick auf Cruz' Datenbank. Einige der Stipendien, die als fragwürdig gelistet sind, betreffen die Entwicklung neuer Medikamente, die Erforschung selbstfahrender Fahrzeuge und die Frage, warum fehlerhaft arbeitende Proteine Krebserkrankungen verursachen.
Die Schlagwortliste ist so weitreichend, sie umfasst alles, was auch nur im Ansatz mit der Erwähnung von Ethnie, Race, Identität, sexueller Orientierung und sogar Frauen zu tun hat. Damit folgt Cruz der gleichen Definition von "woke" und "DEI", der auch Fox folgt, nämlich: alles, was nicht Weiß, männlich, hetero und christlich ist. Anthropologieprofessor Dominic Boyer, dessen Forschungsprojekt zur Reduktion von Flutrisiken ebenfalls in der Datenbank auftaucht, verleitet das zur Frage: "[W]ir reden über etwa 65 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung. Was bleibt an diesem Punkt denn noch? Mit welcher Autorität, unter Berufung auf welche Philosophie, kann eine Regierung Forschungsprojekte invalidieren oder diskreditieren, die sich auf zwei Drittel der Bevölkerung beziehen?"
"Apokalypse der US-amerikanischen Wissenschaften"
Die Nationale Gesundheitsbehörde (National Institutes of Health, NIH), die dem von Robert F. Kennedy geführten Gesundheitsministerium untersteht, ist der weltweit größte Finanzier biomedizinischer Forschung. In einer am 7. Februar veröffentlichten Direktive kündigte die NIH an, die Finanzierung sogenannter indirekter Kosten auf 15 Prozent zu deckeln. Indirekte Kosten sind Zahlungen, die nicht direkt in Forschungsequipment oder die Gehälter der Forschenden fließen, sondern in periphere Notwendigkeiten wie Mieten, Gebäudeunterhalt, Personalmanagement oder IT-Infrastruktur. "Ich nenne das die Apokalypse der US-amerikanischen Wissenschaften", so Prof. Dr. Richard Huganir, Vorsitzender der Abteilung für Neurowissenschaften an der medizinischen Fakultät der John Hopkins University.
Diese Frage der Kappungsgrenze liegt gerade vor einem Gericht in Boston. Der darüber hinausgehende sofortige Zahlungsstopp für alle gewährten Forschungsstipendien der NIH, den das Weiße Haus direkt nach Trumps Amtseinführung verkündete, wurde vergangenen Monat zwar durch ein Bundesgericht untersagt, doch werden weiterhin Gelder zurückgehalten.
Die NIH reagiert hier nur zögerlich und, wie sie selbst anerkennt, rechtswidrig. In einem kürzlich veröffentlichten Statement kündigte die Behörde an, die erste Phase des Vergabeprozesses für Forschungsstipendien wieder durchzuführen – [spätere Phasen allerdings sind immer noch auf Standby. So ist beispielsweise die Summe der zwischen dem 1. und dem 22. Februar vergebenen wiederkehrenden Stipendien des National Cancer Institute von 162 Millionen US-Dollar in 2024 auf nur 27 Millionen in 2025 gefallen.
Um einen Antrag auf ein Forschungsstipendium zu bearbeiten, muss die NIH einen Termin im sogenannten Federal Register eintragen. Das Weiße Haus hat die Möglichkeit, neue Terminanträge an dieses Register zu senden, schlicht technisch unterbunden. Die entgegen gerichtlicher Anordnung noch immer eingefrorenen Gelder sollen ebenfalls auf das Vorhandensein von "DEI" geprüft werden – und zwar mit einer ähnlich sorgfältigen Stichwortsuche wie die, mit der Ted Cruz die Forschungsstipendien der NSF geprüft hat.
Die staatliche Forschung ist eine der stärksten Säulen der Volkswirtschaft
Was nach einer Menge technokratischem Hokuspokus klingt, hat gravierende makroökonomische Konsequenzen. Es ist richtig, dass die US-Regierung deutlich, deutlich höhere Prozentsätze indirekter Kosten übernimmt als private Stiftungen und die freie Wirtschaft. Das sind die Infrastrukturkosten, mit denen die US-Regierung die private Forschung subventioniert. Das sind die Projekte mit einem gigantischen Risk-Reward-Faktor, die Unsummen benötigen, um in Gang zu kommen – Projekte wie Kernfusion, bioinformatische Implantate und Prothesen und mRNA-Forschung.
Einer Studie der Forschungsgruppe United for Medical Research zufolge haben die Vereinigten Staaten für die 37,81 Milliarden US-Dollar, die die NIH 2023 in Forschungsstipendien investierte, ganze 92,89 Milliarden US-Dollar in ökonomischer Aktivität zurückerhalten. Auch eine Studie der Federal Reserve (FED) Dallas betont den exorbitanten Ertrag der Forschung und Entwicklung. Nichtmilitärische Forschungsausgaben seien der FED Dallas zufolge ursächlich für sage und schreibe 25 Prozent des gesamten US-Wirtschaftswachstums seit dem Zweiten Weltkrieg gewesen.
"Die neue Regierung scheint überzeugt davon, alle Präzedenz über den Haufen zu werfen, indem sie einerseits vom Kongress ratifizierte Budgets kürzt (was eindeutig die Verfassung und das Beschlagnahmungsgesetz verletzt) und andererseits auf eine Weise, die wir noch nie zuvor gesehen haben, eine politische Agenda in die Arbeit der Behörden zu injizieren versucht, nämlich durch ideologisches Mobbing und Massenentlassungen im Stil von Großkonzernen. Wenn alles, was diese Regierung vorantreibt, auch umgesetzt wird, werden wir wahrscheinlich eine ganze Generation US-amerikanischer Wissenschaftler*innen oder mehr verlieren, je nachdem, wie lange das hier anhält", konstatiert Prof. Adam Sobel für das Bulletin of the Atomic Scientists.
Die Chronik des Staatsabbaus in den USA lesen Sie hier:
3 Kommentare
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Kommentare
A.S. am Permanenter Link
Rigoros alle staatlichen Ausgaben zusammenstreichen ist sicher kein langfristiges Konzept. Bisweilen ist es aber notwendig. Jede Behörde tendiert zu unbegrenztem Wachstum, wird fett und träge.
Solch eine Sichtung und Lichtung würde auch deutschen und europäischen Behörden gut tun. Es wäre guter europäischer Stil, das Sichten und Lichten der staatlichen Verwaltung mit weniger Tamtam vorzunehmen als Trump und Milei es tun.
Sabine M. am Permanenter Link
"Rigoros" scheint mir doch bei dem, was in den US seit Monaten passiert, eine rigorose Verharmlosung zu sein. Nichts gegen notwendiges u. durchdachtes Sichten u.
Sascha Larch am Permanenter Link
In der Nazizeit und nach dem Krieg hatten wie in Deutschland einen massiven "Brain Drain" von Wissenschaftlern in Richtung USA.
M.E. ist es jetzt wichtig daß Europa schnell die Voraussetzungen schafft daß sich amerikanische Forscher hier wieder ansiedeln können anstatt nach Ostasien zu gehen.