Notizen aus Russland

1. Russischer Humanisten-Kongress 2007.

In Vorbereitung auf den

1. Russischen Humanisten-Kongress im Sommer kommenden Jahres wandte sich Waleri Kuwakin, Präsident der Russischen Humanistischen Gesellschaft, am 18.12.2006 mit einem offenen Brief an alle Regionalverbände und die Redaktion der Zeitschrift „Sdrawyi Smysl" (Gesunder Menschenverstand).
Er schreibt unter anderem: „Wir alle, Bürger Russlands, können die tiefen sozialen, kulturellen und moralisch-psychologischen Missstände in unserem Land nicht übersehen. Besonders alarmierend entwickelt sich die Situation auf weltanschaulichem und ideologischem Gebiet. Unübersehbar machen sich Fremdenfeindlichkeit, faschistische und ultranationalistischer Stimmungen breit. Die Bereitschaft zu offenem Rassismus, Gewalt, Zynismus und Nihilismus erfasst immer breitere Schichten der Jugend. In unserem Land sind die Ideale der Demokratie und die Normen der Anständigkeit in Verruf geraten. Werte der Wissenschaft und Vernunft werden durch eine Woge der Scharlatanerie, Korruption und eines vulgären Pragmatismus hinweggefegt. Der Markt der Informationen wird von konservativen und reaktionären Ideen sowie von Aufrufen zur Restauration bis hin zu einer Rückkehr zu Monarchie und Theokratie überflutet. Der Prozess des Auffüllens des ideologischen Vakuums, das nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Ideologie entstanden war, geht seinem Ende entgegen. Und nur die „Droge Erdöl" verhindert noch den Ausbruch des sozialen Chaos.
Wir alle denken in der einen oder anderen Form an den morgigen Tag und an das Schicksal unseres Landes, in dem unsere Eltern, wir selbst und unsere Kinder geboren wurden, und in dem unsere Nachfahren geboren werden und leben sollen. Dabei erfasst mich genau so wie Sie und die Mehrheit der russischen Bevölkerung ein Gefühl der Sorge und großer Ungewissheit.
Wenn wir die existierenden Entwicklungstendenzen akzeptieren und uns mit ihnen abfinden, wird unsere Zukunft unausweichlich zu einen Konservatismus führen, (...) der nur mit einer neuen Form des Totalitarismus endet."
Der ganze Text im <Originalartikel> (Russisch)

Miss Muslimin 2006

Am 17. Dezember 2006 fand in Kasan, der Hauptstadt der russischen autonomen <Republik Tatarstan>, ein Schönheitswettbewerb zur Wahl der „Muslima Tutasch 2006" (Schönste Muslimin 2006) statt. Als Siegerin von 50 Bewerberinnen ging die 22-jährige Elmira Garifullina, Journalistik-Studentin der Universität Kasan, hervor.
Die auf Miss-Wahlen typischen äußerlichen Attribute wie Bikinis u. ä. fehlten hier gänzlich. Dafür gingen die Teilnehmerinnen in selbst genähten Nationaltrachten und Kopftüchern an den Start. Zu den Disziplinen, in denen sich die Damen zu messen hatten, gehörten das Zubereiten und Servieren tatarischer Gerichte, das Wickeln von Babywindeln, die Gewährung Erster Hilfe und das Binden des Kopftuches zu unterschiedlichen Anlässen wie Alltag oder Hochzeit.
Männliche Zuschauer, Jury-Mitglieder oder Moderatoren waren vom Veranstalter der Wahl, der Union der Musliminnen Tatarstans, nicht zugelassen worden. Gleichzeitig betonte deren Vorsitzende Nailja Siganschina: „Der erste Wettbewerb dieser Art in Tatarstan ist ein Beleg für den ideellen Reichtum und die Talente seiner Teilnehmerinnen, ihrer Weiblichkeit und Herzlichkeit." Es sei auch die gängige Meinung widerlegt worden, wonach alle Musliminnen verschlossen seien - „im direkten wie auch indirekten Sinne", so Frau Siganschina.
Für die Zukunft planen die Organisatoren einen islamischen Schönheitswettbewerb auf gesamtrussischer Ebene. Weiterlesen in der <Tatar-Information> (Russisch) und in <Kleo> (Russisch).

Heiliger Bimbam in Sankt Petersburg

Seit dem 12. Juli 2006 wird in der Newa-Metropole der erste Prozess Russlands gegen die Verbreitung der Darwinschen Evolutionstheorie geführt. Er sorgt für ein landesweites Interesse und hat selbst vor US-Präsident Bush nicht halt gemacht.
In dem Verfahren fordert die 16-jährige Gymnasiastin Maria Schreiber, die vor Gericht durch ihren Vater vertreten wird, die Entstehungsgeschichte der Arten nach Darwin als dominierend vermittelte Abstammungslehre an Russlands Schulen zu verbieten. Darwins Lehre, so die Klägerin, sei nur eine Hypothese und kein wissenschaftliches Faktum. Darüber hinaus sei die atheistisch orientierte Interpretation und Vermittlung der Evolution in der Schule „ein humanitäres Verbrechen", das „eine grobe Verletzung des Menschenrechts auf freie Auswahl darstelle", erklärte der Vater Kirill Schreiber. Mittlerweile fordert der Rechtsanwalt der Klägerin zusätzlich „eine schriftliche Entschuldigung für die Verletzung der religiösen Gefühle" seiner Mandantin ein.
Die Vertreter des angeklagten Petersburger Bildungskomitees als zuständiger staatlicher Instanz erkennen die Klage nicht an. Der als ihr Fürsprecher geladene Sergej Mamontow, einer der Autoren des Biologie-Lehrbuchs 10. Klasse, das das seelische Leiden der Klägerin ausgelöst haben soll, sagte aus, die Anklageschrift sei nicht nur haltlos, „sondern auch äußerst schlampig und platt verfasst" worden. Darwins Evolutionstheorie müsse man heute als Wissenschaftsgeschichte betrachten. Inzwischen existiere eine komplexe Evolutionstheorie auf der Grundlage der Darwinschen Lehre, die um die Erkenntnisse der modernen Genetik, Embryonenforschung, Paläontologie und anderer Wissenschaften bereichert worden sei.

Der renommierte 90-jährige Physiker <Witali Ginsburg>, Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften und Nobelpreisträger, kommentierte den Prozess in der Zeitung „Gaseta" folgendermaßen: „Was diese Schülerin aus Leningrad betreibt, ist übelster Obskurantismus und Unsinn. Nur Feinde der Aufklärung und des Fortschritts leugnen die Evolution der Natur, die nicht irgendein Gott vor 7000 Jahren geschaffen hat! Ein einigermaßen gebildeter Mensch, der solche Ansichten im 21. Jahrhundert vertritt, ist schlicht und ergreifend ein Reaktionär und Ignorant. Darwin wirkte vor 100 Jahren und selbstverständlich hat sich die Wissenschaft seitdem gewaltig fortentwickelt."
Weiter erklärte Ginsburg: „Die Anhänger der göttlichen Entstehung des Menschen sind der Auffassung, dass in der Bibel hierzu alles richtig darstellt wird. Im Übrigen bin ich kein Gegner der Bibel, einem Kunstwerk, das vor 5000 Jahre gut geklungen hatte. Doch die Zeiten ändern sich. (...)" Er habe den Verdacht, dass die Schülerin letztlich nur als Werkzeug für die Machenschaften von Dunkelmännern wie ihrem Vater diene.

Mit der Klägerin solidarisch erklärten sich Vertreter verschiedener Konfessionen Russlands. Und US-Präsident George Bush erfuhr von dem Verfahren am Vorabend des G8-Gipfels der führenden Wirtschaftsmächte in Sankt Petersburg. Sein Kommentar hierzu drang nicht nur in die Ohren des britischen Premiers Tony Blairs, mit dem er sich zu diesem Thema austauschte. Während einer Konferenzpause, in der man vergessen hatte, das Mikrofon des Politikers abzuschalten, sagte Bush wörtlich: „Ich weiß nicht, wer dieser Darwin ist, doch seine Theorie scheint mir zweifelhaft zu sein."
Die Fortsetzung des Prozesses wurde auf den 21. Februar 2007 vertagt.
Originalartikel: <GZT> (Russisch) und <Nowosti> (Russisch)

Leonid Breschnew - Witzfigur und Volkstitan der späten Sowjetunion wird 100

Leonid Iljitsch Breschnew, dessen 100. Geburtstag am 19. Dezember begangen wurde, ist heute immer noch eine der populärsten Witzfiguren. Gleichzeitig verkörpert er aber auch eine große Epoche, an die sich heutzutage sehr viele Menschen mit nostalgischen Gefühlen zurückerinnern. Viele meinen auch, dass die UdSSR gerade unter Breschnew den Höhepunkt ihrer Macht erreicht hatte.
Diese Zeit war von Enthaltsamkeit geprägt und deshalb besonders hart - absurd und dennoch voller Sinn, unbeschreiblich fad und endlos spannend zugleich. Es war die „Sowjetzeit" schlechthin, wie sie viele in Erinnerung behalten haben - eine besondere Zivilisation und eine spezielle Subkultur. <Originalartikel> (Deutsch)

Schmunzeln zwischen Himmel und Hölle

Das russische Atheismus-Portal „ateism.ru" enthält eine beeindruckende Sammlung von Witzen rund um Religionen & Co.:

Hinweisschild:
„Aufgrund von Straßenbauarbeiten führt der Weg in den Himmel zurzeit über die Hölle. Wir bitten die zeitweiligen Unannehmlichkeiten zu entschuldigen."

Mutter und Sohn:
„Mutti, Mutti! Ist Gott ein Mann oder eine Frau? - „Gott ist sowohl männlich als auch weiblich, er vereint beide." - „Mutti, und ist Gott ein Weißer oder ein Schwarzer?" - „Söhnchen, Gott ist gleichzeitig schwarz und weiß." - „Und, Mutti, ist Gott homo- oder heterosexuell?" - „Also, weißt du, Söhnchen, du stellst Fragen! Gott liebt sowohl die Frauen als auch die Männer und die Kinder." - „Ah, Mutti, dann weiß ich, wer Gott ist - Michael Jackson!"

Zwei Freundinnen:
„Weißt du was, gestern wurde ich nicht in die Kirche rein gelassen! Angeblich war ich nicht vorschriftsmäßig gekleidet. Dabei hatte ich mich doch angezogen, wie es sich geziemt: Kopftuch, langer Rock, Bluse mit langen Ärmeln, und alles in dunklen Farben ... Und dann haben die mich doch zur Polizei geschleppt, weil sie dachten, ich sei eine Attentäterin."

Pastor auf der Kanzel:
„Liebe Kinder, wer von euch weiß, was man tun muss, bevor man Gott um die Vergebung seiner Sünden bittet?" Eine Mädchenstimme von hinten: „Sündigen!"

Bibel:
Um den Widerspruch zwischen der Evolutionstheorie und der Heiligen Schrift zu lösen, wurde beschlossen, folgende Änderung in die Bibel aufzunehmen. So lautet die Entstehungsgeschichte des Menschen jetzt folgendermaßen: „Der Mensch stammt vom Affen ab, den Gott nach seinem Vor- und Ebenbild erschuf."

Mehr auf der <Intersetseite> (Russisch)

 

Tibor Vogelsang