Ein Gespräch mit Max Kruse

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Max Kruse und das Urmel / Foto: Evelin Frerk

PENZBERG. (hpd) Der Schriftsteller und Künstler Max Kruse lebt zurückgezogen im Voralpenland südlich von München, seiner Arbeit verpflichtet. Vielen Menschen im deutschsprachigen Kulturraum ist er durch seine Bücher und die Fernsehfilme bekannt geworden, in denen seine literarischen Figuren Hauptrollen spielen. Eine Figur verbindet sich besonders mit seinem Schreiben, das Urmel. Eine Figur für Kinder? Wir fragten ihn.

 

 

hpd: Lieber Max Kruse, haben Sie selbst Kinder?

Max Kruse: Ich habe einen Sohn und eine Tochter. Der Sohn ist bereits 1968 – sechzehn Jahre alt – tödlich verunglückt. Mein größter Schmerz. Meine Tochter wuchs bei meiner ersten Frau im Ausland auf, die längste Zeit in Südafrika, wo sie auch heiratete und bis vor wenigen Jahren lebte. Sie wird in wenigen Tagen 55 Jahre alt, hat fünf Kinder und zwei Enkel, ich bin also fünffacher Groß- und zweifacher Urgroßvater. Leider verstehen die Enkel und Urenkel, bis auf meine Enkelin, kein Deutsch, was den Kontakt etwas erschwert, zumal sie auch meine Bücher, soweit sie deutschsprachig sind, nicht lesen können.

Was haben die beiden als Kinder zu Ihren Büchern gesagt?

Mein Sohn und meine Tochter haben meine Bücher geliebt und sich darüber amüsiert. Aber das liegt über vierzig Jahre zurück, ist also „Schnee von gestern“. Natürlich bekommt meine Tochter heute auch noch alle meine Bücher. Die kleine – große – Familie ist übrigens vor einigen Jahren aus Südafrika nach Irland übersiedelt. Sie besuchen mich von Zeit zu Zeit – in verschiedenen „Kombinationen“.

Was denken Sie, warum gerade das Urmel so bekannt geworden ist?

Gar kein Zweifel, dass die Verfilmungen durch die Augsburger Puppenkiste den Hauptanteil am Erfolg tragen. Von meinen anderen, von der Puppenkiste verfilmten Büchern hebt sich das Urmel aber vielleicht deshalb heraus, weil es im Grunde doch eine Art Familiengeschichte ist. Die Kinder können sich mit ihren Geschwistern, Freunden und Familienmitgliedern in den Personen wieder erkennen.

Wutz, das Hausschwein von Prof. Tibatong bei dem das Urmel mit seinen tierischen Kollegen lebt und von dem es, wie diese mit Hilfe von Sprechmedizin das Sprechen gelernt hat, verkörpert eine liebe aber typische putz- und ordnungssüchtige Hausfrau, die ganz in ihrer Aufgabe aufgeht. Haben sich Feministinnen schon über Wutz beklagt?

Nein, nicht ein einziges Mal, jedenfalls nicht in Deutschland. Bei einer früher einmal geplanten Verfilmung – die nicht realisiert wurde – gab es allerdings Schwierigkeiten, die Produzenten erwarteten Proteste der amerikanischen Frauenverbände.

Überhaupt, was bekommt man als ein so bekannter Kinderschriftsteller für Rückmeldungen, nur positive oder auch mal negative bzw. angriffige?

In der Regel schreiben nur die freundlichen Leser und begeisterten Kinder – diese manchmal über Jahre hinweg, bis sie heiraten, studieren oder zum Bund müssen. Kritik bekommt man eher in der Presse.

Mit zur Bekanntheit Ihrer Bücher hat, so sagen Sie, die Verfilmung Ihrer Geschichten durch die Augsburger Puppenkiste beigetragen. Sind Sie selbst an der Umsetzung Ihrer Geschichten hier beteiligt?

Nein, ich hatte das Glück, das der damalige Dramaturg und Regisseur der Augsburger Puppenkiste ganz auf meiner Linie lag. Er hat alles selbstständig gemacht und wir hatten ein herzliches, freundschaftliches Verhältnis.

Inzwischen gab es sogar zwei Kinofilme über das Urmel. Während der erste sich im Großen und Ganzen noch an die Ursprungsgeschichte hielt, löst sich der der Zweite im Grunde von Ihren Büchern und erzählt eine eigene Geschichte. Wie sieht es hier mit Ihrer Beteiligung aus?

Buch, Drehbuch und Regie waren alleinige Werke der Filmleute. Zu mehr „Action“ im zweiten Film musste man sich aus wirtschaftlichen Gründen entschließen, vor allem im Blick auf das ausländische Publikum, das sehr viel mehr Klamauk verlangt und gewöhnt ist. Schade. Aber diese Filme sind wahnsinnig teuer, da kann ich nicht hineinreden, denn ich übernehme ja keine finanzielle Verantwortung.

Sie haben die Filme gesehen?

Natürlich.

Haben Sie Ihnen gefallen?

Klar, dass mir der erste besser gefallen hat. Dennoch habe ich den Einfallsreichtum des Produzenten, mit dem ich mich befreundete, bewundert. Auch die Grafik gefiel mir. Das Urmel selbst und alle Tiere.

Manches Mal sinniere ich, was denn humanistisches Leben tatsächlich bedeutet. Klar - diesseitig - möge es hier gelingen. Es gibt kein zweites Leben… Entschuldige Sie bitte, was sage ich es Ihnen. ...Selbst bestimmt - Ja, was heißt das nun wirklich?

Zu diesen Fragen gibt es keine einfache und kurze Antwort. Ich habe versucht, mich in meinen beiden Büchern „Antworten aus der Zukunft – ein Weg zu neuer Humanität“ und „Gott oder Nichtgott, das ist hier die Frage“ ausführlich zu äußern.

Aktuell: Todesurteile, die an Menschen, an iranischen Bürgern und Bürgerinnen - Morgen am 14.Juli 2009 an zwei jungen Frauen, im Iran lebend, die von der muslimischen zur christlichen Religion konvertierten, vollstreckt werden. Hinrichtungen, über die wir unsere Eltern fragten, warum sie es nicht verhindern konnten … und wir Heute? Was ist zu tun?

Wer das ganze Unrecht der Welt verhindern will, geht selbst zu Grunde. Man kann nur mit den Mitteln, die man hat, und mit dem Kräften, die einem zur Verfügung stehen, versuchen, das äußerste zu tun, um zu bessern, was eben möglich ist. Das ist eine Frage, die durchzieht unser ganzes Leben. Würde jeder in seinem Kreis, und sei er auch noch so klein, human – das heißt liebevoll, menschlich, gütig und hilfreich zu leben, hätte er wohl seine Aufgabe erfüllt.

Danke für diese Orientierung. Wann und wodurch wussten Sie, das der religiöse katholische oder auch evangelische Glaube Sie nicht erreicht hat oder haben Sie sich von ihm verabschiedet? Wann und wie wurden Sie sich Ihrer weltanschaulichen Sonderstellung bewusst?

Keine Ahnung! Ich bin mir nie einer Sonderstellung bewusst gewesen. Religion war in meinem Elternhaus kein Thema – weder positiv noch negativ. Ich begann schon in sehr jungen Jahren am herkömmlichen Gedankengut zu zweifeln und kam mit vielen besonderen Persönlichkeiten in Kontakt, die mich im „Selberdenken“ bestärkten. Ich bin ja auch erst mit fast dreizehn Jahren in der Schweiz , also reformiert, getauft worden - 1934 - ich vermute, meine Mutter hatte die Idee, das könnte mir vielleicht einmal als Schutz gegen die Nazis helfen. Das einzige, etwas trotzige Glaubensbekenntnis meines Vaters lautete: „Ich glaube an den Sinn des Lebens“. Im übrigen huldigte man ziemlich freien, unbürgerlichen Auffassungen, zu denen ja auch die „freie Liebe“ gehörte. Meine Mutter war ein uneheliches Kind, meine ersten drei Geschwister, Mädchen, waren es auch. Als ein Bub geboren wurde, fand es mein Vater hinsichtlich des späteren unvermeidlichen Militärdienstes besser, er wäre „ehelich“. Also wurde nach mehrjährigem Zusammenleben – Ende des 19., Anfang des 20 Jahrhunderts! - geheiratet, was meine Mutter dann wegen der Begründung geärgert hat. Mein Vater war der einzige Bildhauer, dem Nietzsche persönlich, wenn auch krank, zu einer Büste Modell gesessen hatte. Er war von dieser Begegnung tief beeindruckt. „Gott ist tot“ war also für uns alle eine völlig selbstverständliche Aussage. Und in unserem Haus auf Hiddensee, zeitweise eine Pension, verkehrte so ziemlich alles, was Sie sich wünschen können, vom kommunistischen Atheisten und Anarchisten (Fürst Krapotkin) bis zum selbsternannten wiedergeborenen Heiland, der nachts nackt auf den Wiesen tanzte.

War es jemals schwierig für Sie, die nicht religiöse Weltanschauung zu artikulieren?

Nein, nie. Natürlich gibt es Diskussionen, aber das würde ich nicht als Schwierigkeit bezeichnen.

War also nicht einfacher, die gesellschaftlich scheinbar erfolgreichere Position des Kirchgängers zu den besonderen Festtagen wie Ostern‚ Pfingsten etc., Kindstaufen, weiße Hochzeiten, Ein- und Endsegnungen mit zu feiern und einzuhalten?

Ich weiß nicht, täte ich das, wäre ich wohl in meinem Freundes- und Bekanntenkreis ein eher sonderbarer Vogel. So streng nimmt das doch keiner mehr. Natürlich nimmt man aus Freundschaft auch mal an einer konventionellen Familienfeier teil, es hat aber noch niemals jemand von mir verlangt, mich gegen meine Überzeugung zu verbiegen.

So religionsfrei wie Ihre Kindheit und Jugend und ihr Leben verlaufen ist und so religionsfreundlich bzw. tolerant Sie anders denkenden Menschen gegenüber sind, wann kommt die religionskritische Seite in den Alltag des Künstlers und Schriftstellers Max Kruse hinein? Es scheint so, als hätten Sie dieses Thema erst in Ihrem reiferen Leben bearbeitet. Gibt es dafür einen Grund bzw. Anlass oder ist die Annahme einfach falsch?

In der Jugend – also während der Nazizeit – wollte ich mich nicht explizit gegen die Kirche stellen, dazu gab es ja auch wenig Grund. Ich schrieb zwar 1945 eine Komödie, deren Dialoge teilweise bereits recht antikirchlich waren, aber das hatte weiter keine Folgen. In meinen ersten Nachkriegjahren in Niedersachsen, spielte die Religion im öffentlichen Leben keine Rolle. Das änderte sich erst nach meiner Übersiedlung nach Bayern, Anfang 1949. Nun begann ich religiöse Intoleranz zu erleben, auch wenn sie mich nicht persönlich betraf. Damals bestimmte Kultusminister Alois Hundhammer die bayerische Szene, dieser fundmentalistische Katholik erregte nicht nur meinen Zorn. Ich erinnere mich z.B. noch an sein Verbot der Aufführung von Werner Egks Ballett „Abraxas“ wegen „Unzüchtigkeit“ in den Münchner Kammerspielen.

In der Folge trat ich aus der Kirche aus. Wie ich dazu kam, später auch noch ein Buch zu schreiben, erklärte ich in dessen Nachwort („Antworten aus der Zukunft): „...zöge jetzt nicht recht unerwartet eine gewaltige Gefahr herauf. Das griffige Stichwort dafür lautet: „Kampf der Kulturen“. Es ist jedoch eher ein Gegeneinander der Religionen. Und wir, die aufgeklärten europäischen Menschen, sind in Gefahr, nach jahrhundertelangen intellektuellen Auseinanderssetzungen die so mühsam wie blutig errungenen Freiheiten wieder zu verlieren. Fundamentalismus und Intoleranz, durch die Aufklärung zurückgedrängt, gewinnen wieder Boden. Die Aufklärung, der wir all unsere Freiheiten verdanken - die Freiheit der Forschung, die Freiheit des Denkens, und sogar die Freiheit, zu glauben, was wir glauben wollen -, ist in Gefahr. Dabei kommt der religiöse Fanatismus, noch überraschender, nicht nur aus dem Orient, sondern – kaum weniger intolerant - auch aus den USA. Gerade auch dieser ist deshalb so gefährlich, weil er im Kostüm eines aufgeklärten Christentums agiert, die vertrauten Verse spricht – und sich damit tarnt.“

Was würden Sie einem Kind sagen, wenn es Sie fragt: Gibt es einen Gott?

Wenn ein kleines Kind vom Elternhaus her gläubig ist, lasse ich ihm sein Urvertrauen. Kindern, die bereits selber denken, würde ich erklären, warum ich nicht an einen persönlichen Gott glaube. Ulkigerweise ist mir die Frage soweit ich mich erinnere, noch nie explizit gestellt worden.

Und wie sieht es mit den Weihnachtsmann und dem Osterhasen aus?

Ach, das ist gar kein Thema. Ich kenne einfach keine Kinder, die das noch ernst nähmen.

An vielen Orten dieser Welt haben Sie schon gelebt. Was führte Sie in das Voralpenland? Gab es auch Zeiten, in denen Sie städtisches Leben bevorzugt haben oder schlicht dort arbeiten mussten?

Ich habe durchaus gern in Städten gelebt und gearbeitet, jeweils länger in Berlin und in München, aber – wohl weil ich in einer Kleinstadt aufgewachsen bin, zog es mich dann doch aufs Land, wenn auch immer in die Nähe größerer Städte.


Im heutigen Alltag – was beschäftigt Sie?

Meine Bücher. Klar, dass auch ganz alltägliche Dinge eine große Rolle spielen, Befindlichkeiten, Gesundheit, und... und... und... Aber das ist eigentlich nicht erwähnenswert. Im Frühjahr schrieb ich „1000 Stiefel, eine Komödie mit Musik für die ganze Familie, um deren Vertrieb sich ein jetzt Theaterverlag kümmert, davor hatte ich eine „Vorgeschichte der Aufklärung“ mit dem Arbeitstitel „Der Zauberlehrling“ abgeschlossen, die noch einen Verlag sucht. Geschichten der Aufklärung gibt es ja genug, aber dass es bereits seit Beginn der Menschheitsgeschichte immer wieder „Aufklärer“ in den jeweiligen Religionen gegeben hat, ist bisher wenig beachtet geblieben. Ein Kunstmärchen „Das silberne Einhorn“ sucht ebenfalls einen Verleger für eine bibliophile Ausgabe. Ein Roman „Jantien oder die Poesie“ wird derzeit beim Hessischen Rundfunk als Lesung in mehreren Folgen produziert – das alles sind Dinge der Vergangenheit. Gegenwärtig beschäftige ich mich mit einer Art Lebensbilanz, einer Biografie, die aber nicht nur Erlebnisse schildert, sondern auch Gedanken und Zeitumstände, bzw. das eine zum anderen...


Welche Zukunftsorientierung haben Sie?

Die beschränkt sich im Wesentlichen auf die Projekte, an denen ich arbeite. In meinem Alter wird das Wort „Zukunft“ doch natürlicherweise klein geschrieben. Aber natürlich nehmen die zukünftigen und gegenwärtigen Probleme der Menschheit und ihr mögliches Verschwinden von dieser Erde dabei einen breiten Raum ein.

Herr Kruse, danke, dass wir mit Ihnen sprechen konnten.

Die Fragen stellten Anna Ignatius und Henriette Adler.

Fotografien und Kollagen © Evelin Frerk

 

Max Kruse wurde 1921 in Bad Kösen an der Saale geboren, machte in Weimar Abitur und begann in Jena sein Studium, das er jedoch wegen des Krieges nicht beenden konnte. Emigration in die Schweiz. Nach der Enteignung in der damaligen Ostzone baute er die Puppenwerkstätte seiner Mutter Käthe Kruse in Westdeutschland wieder auf. 1958 übergab er die Firma an seine Schwester und widmet sich seitdem seiner eigentlichen Berufung, dem Schreiben.
Bekannt wurde er vor allem durch seine Kinder- und Jugendbücher, besonders durch "Urmel aus dem Eis". Viele seiner Bücher wurden für das Fernsehen ("Augsburger Puppenkiste") verfilmt und in mehrere Sprachen übersetzt. Zuletzt trat er mit einer vierbändigen Evolutionsgeschichte der menschlichen Kultur hervor. Max Kruse ist Mitglied des P.E.N. und Träger des Bundesverdienstkreuzes. Seit Herbst 2004 ist er Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der Giordano Bruno Stiftung.

Die umfangreiche Liste seiner Publikationen findet sich auf seiner Internetseite