Evangelikale und die Medien

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Christoph Lammers / Fotos © Mary Devery

KÖLN. (hpd) Innerhalb des Christentums sind die Evangelikalen die Strömung mit den größten Zuwachsraten. Die Gründe dafür liegen nicht zuletzt in ihrem „modernen“ Umgang mit Medien.

Dies verdeutlichte Christoph Lammers in einem Vortrag am Rande der Mitgliederversammlung des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA).

An den Anfang seines Referates stellte der MIZ-Chefredakteur den Hinweis, dass die Amtskirchen seit 30 Jahren unaufhörlich an Mitgliedern und gesellschaftlichem Einfluss verlieren. Mit dieser Entwicklung einher geht eine „Pluralisierung“ von Religion, die dazu führt, dass verschiedene Anbieter um die Gläubigen konkurrieren. Damit wächst auch der Zwang zur religiösen Repräsentation. In einer solchen Situation ist eine Religion, die sich entsprechend den Gesetzen des Marktes verhält, im Vorteil.

Evangelikale als wachsende Bewegung

Lammers sieht in den Evangelikalen die Gewinner der aktuellen Veränderungen. Bereits heute machen sie 20 % der Christen weltweit aus, das sind etwa 550 Millionen Menschen – Tendenz steigend. Eine der Ursachen dafür dürfte darin liegen, dass sich die Evangelikalen als Bewegung verstehen und öffentliche Präsenz in einer Weise herstellen, die den beiden behäbigen Großkirchen fremd ist. Für Lammers sind es vor allem drei Aspekte, die diese öffentliche Präsenz ausmachen. Zum einen bemühen sich die Evangelikalen um Zusammenarbeit, wenn sich dadurch Türen öffnen. So führt zum Beispiel eine Kooperationsvereinbarung der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) mit der EKD dazu, dass heute auch evangelikale Gottesdienste im öffentlich-rechtlichen Rundfunk übertragen werden (erstmals im Mai 2008 im ZDF). Daneben setzen sie ganz bewusst auf Provokation; um in den Medien Erwähnung zu finden, fordern sie ganz gezielt die Kritik ihrer politischen oder weltanschaulichen Gegner heraus. Wenn es erfolgversprechend erscheint, scheuen sie dabei nicht vor Tabubrüchen zurück. Schließlich übernehmen sie Symbole, Sprechweisen oder Slogans aus anderen politischen Szenen („Volx-Bibel“) oder von erfolgreichen Kampagnen („Yes he can“). Damit eröffnen sie sich Anschlussmöglichkeiten an Schichten, zu denen traditionell ausgerichete Evangelikale kaum Zugang hatten.

Etwa seit kurz nach der Jahrtausendwende, so Lammers, sei eine verstärkte evangelikale Medienoffensive festzustellen. Neben einer Vielzahl von Büchern werden zahlreiche Magazine für diverse Zielgruppen angeboten. Ein Schwerpunkt liegt darauf, Jugendliche anzusprechen. Im Gegensatz zu den Angeboten der kirchlichen Presse geben sich die evangelikalen Zeitschriften bewusst modern im Schreibstil und bedienen sich der Sprache der Jugendlichen. Auch im Internet ist eine starke Präsenz zu verzeichnen, insbesondere das „Web 2.0“ wird als Rekrutierungsfeld genutzt.

Durch die Gründung diverser Institutionen wie dem Christlichen Medienverbund KEP haben sich die evangelikalen Medien besser vernetzt. Seit 2001 verfügen sie mit Bibel-TV über einen eigenen Fernsehsender.

Finanziell gut ausgestattet

Über finanzielle Probleme muss sich die evangelikale Szene offenbar keine Sorgen machen; die Spendenbereitschaft der Mitglieder ist sehr hoch. So deckt Bibel-TV seinen Etat zu 70% aus Spenden. Eine finanzielle Abhängigkeit von staatlichen Zuwendungen besteht nicht.
In einem anderen Punkt hingegen verhalten sich die Evangelikalen traditionell: ihre Propagandabemühungen ergänzen sie durch ein zielgerichtetes und aggressives Vorgehen gegen jede Form kritischer oder auch nur unabhängiger Berichterstattung. Mittlerweile werden Workshops fürs Leserbriefschreiben angeboten, über Internetforen werden Protestwellen initiiert.

Lammers schilderte den Fall der Schülerzeitung Q-Rage, die heftig angegriffen wurde, weil in einem Beitrag über das Christival auch eine kritische Stimme zu Wort kam. Die jugendlichen Redakteure sahen sich nicht nur verbalen Attacken ausgesetzt, sondern mussten auch hinnehmen, dass ihre Privatanschrift im Internet veröffentlicht wurde. Diese Kampagne war übrigens erfolgreich: die Bundeszentrale für politische Bildung, die das Projekt Q-Rage unterstützt, knickte ein und gab gewissermaßen als „Entschädigung“ zwei affirmative Publikationen zur evangelikalen Szene heraus. Auch das Politmagazin Frontal21, das über evangelikale Missionare in islamischen Ländern berichtet hatte, geriet ins Visier; ebenso die NDR-Journalisten Oda Lambrecht und Christian Baars aufgrund ihres im Frühjahr erschienenen kritischen Buches.

Anstehende Auseinandersetzungen

Eine Gefahr sieht der MIZ-Chefredakteur darin, dass gerade Menschen in prekären Situationen angesprochen werden. Indem sie in deren soziale Lebenswelten eindringen, eröffnen sich die Evangelikalen ein großes Rekrutierungsfeld, „denn bei der aktuellen Situation wird es immer mehr Menschen in einer sozial verzweifelten Situation geben“. Da diesen Menschen einfache Antworten auf nicht so einfache Fragen geboten werden, die sie kaum in die Lage setzen, ihre soziale Situation zu ändern, kann aus der anhaltenden Frustration ein Gewaltpotential erwachsen, das sich dann gegen jene entladen könnte, die als die „Bösen“ identifiziert werden.

Lammers führte als Beispiel die Diskussion in einem Chatroom an: Nach einem Vortrag wurde dort diskutiert, wie auf die ungeheuerlichen Behauptungen des Referenten reagiert werden könne. Einige der Teilnehmer meinten, das Jüngste Gericht werde das schon regeln; (Das „Verbrechen“ des Vortragenden bestand übrigens darin, dass er die Auffassung vertreten hatte, das Leben auf der Erde sei in einem Prozess der Evolution entstanden.)

In der anschließenden Diskussion stand im Vordergrund, wie der IBKA die Auseinandersetzung mit den Evangelikalen führen sollte. Insbesondere die Frage nach der Definition von Weltanschauungsfreiheit wurde angesprochen. Deutlich wurde auch, dass dem Phänomen mit den im Kampf für eine Trennung von Staat und Kirche bewährten Instrumenten nicht beizukommen ist, sondern dass hier ein gesellschaftspolitischer Ansatz erfolgversprechender erscheint.

Martin Bauer