Bedingungsloses Grundeinkommen und Gender

hpd: Ich wäre mir nicht so sicher, dass sie keinen Hinderungsgrund mehr darstellen würden. Denkbar wäre es auch, dass von zwei Leuten, die sich um eine Position bewerben, trotzdem die Person ohne oder mit möglichst geringer Ausfallzeit genommen wird. Es wäre aber auch möglich, dass mit dem BGE staatlicherseits die Bereiche Pflege, Kinderbetreuung usw. weiter abgebaut würden bzw. gar nicht erst im nötigen Ausmaß aufgebaut werden. Auch wenn das BGE kein Lohn für die Sorgetätigkeit sein sollte, birgt es doch ein hohes Missbrauchspotential, um Frauen unter dem Vorwand der Entlohnung in genau diese Tätigkeiten abzudrängen.

K.H.: Ja, das ist denkbar und das kann ich nicht wegdiskutieren und möchte es auch nicht wegdiskutieren. Dies gehört zu den begründeten Einwänden, wenn es darum geht, was das BGE kann. Dazu ist zu sagen: Man muss wachsam bleiben im Falle einer Einführung des BGE und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Aber ich würde auch sagen, dass wir die Sache des BGE, wenn wir sie an und für sich richtig finden, nicht durch solche Einwände behindern dürfen, sondern eher durch Maßnahmen flankieren müssen, die wir dann gegebenenfalls auch erst erfinden müssen. Denn wir können bei einer umfassenden Neuerung, wie sie das BGE darstellen würde, noch gar nicht sagen, was dann die richtigen Maßnahmen wären. Erstmal müssen wir uns aber generell auf den Weg begeben. Manche Menschen haben auch den Verdacht, dass Frauen, wenn sie erstmal das BGE hätten, damit nichts „Sinnvolles“ machen würden.

hpd: Wirklich? Den Verdacht gibt es?

K.H.: Ja. Damit ist der Verdacht gemeint, Frauen würde sich dann von sich aus mehr auf ihre traditionelle Rolle beziehen. Darin steckt ein Vorwurf, der davon ausgeht, dass das, was das traditionelle weibliche Feld umfasst, in der Leistungsgesellschaft weniger wert ist. Da ist es aber nur, wenn man hinterher den Rentenbescheid sieht, der dabei rauskommt. An und für sich sind diese Tätigkeiten nicht weniger wert. Ganz und gar nicht. Es gibt außerdem auch Belege dafür, dass Frauen ihr kleines Geld, wenn sie es bekommen, zur finanziellen Unabhängigkeit nutzen, dass sie als Kleinunternehmerinnen tätig werden. Dass sie mit dem Geld, das sie bekommen, nicht nur den Kühlschrank ihrer Familie füllen, sondern auch an ihrer eigenen Unabhängigkeit arbeiten. Das hat man z.B. gesehen an dem Pilotprojekt, das in Namibia in Gang gebracht wurde. Es handelte sich um ein befristetes Projekt, wo in einem Dorf der armen Bevölkerung - in dem Dorf sind alle arm - ein Grundeinkommen ausgezahlt wurde. Es waren natürlich weniger als 1000€, es war das, was man dort braucht. Und da haben sich sehr viele Frauen Kleinstunternehmen aufgebaut, sich unabhängig gemacht von ihren Männern. Und das finde ich beispielhaft. Wir sehen das auch an den Mikrokrediten in den Entwicklungsländern. Sie werden von einigen Instituten überhaupt nur an Frauen ausgezahlt, weil sie verlässlicher sind als die Männer. Das spricht für die Sichtweise, dass Frauen bei Einführung des BGE ökonomisch aktiv würden.

hpd: Nun könnten wir sagen, dass die Kultur in Namibia schon aus der ökonomischen Ausgangssituation heraus anders ist und hier erstmal der Backlash einsetzen würde. Aber ich denke auch, dass wenn es überhaupt dazu kommt, die progressiven Bewegungen schnell wachsen würden.

K.H.: Die Freiheit dazu besteht, ja. Die Freiheit dazu muss man voraussetzen, das geht gar nicht anders. Auch wenn sich jemand für die traditionelle Rolle entscheidet, muss ich davon ausgehen, dass es eine freiwillige Entscheidung ist. Ich muss aber gleichzeitig sehen, dass es Geschlechternormen gibt, und solange wie es diese Normen gibt, ist auch immer der Zweifel berechtigt, ob eine jeweilige Entscheidung frei ist. Es wird immer beides geben. Oder vielleicht wird man es nie genau sagen können, wo die Norm eine Person schon so durchdrungen hat, sie sie so sehr internalisiert hat, dass sie sich gar nicht mehr davon lösen kann. Jede Person ist anders. Freiheit ist ein problematischer Begriff, aber wir brauchen ihn, um emanzipatorische Forderungen überhaupt zu rechtfertigen.

hpd: Du hast gerade Namibia erwähnt. Gibt es ausgleichend auch Befürchtungen, dass sich die Männer auf die faule Haut legen würden?

K.H.: Es gibt die Befürchtung und es wird auch diese Männer geben. Es gibt mit BGE bestimmt Männer, die mit der Bierflasche vor dem Fernseher sitzen, und Frauen, die weiter Hemden bügeln. Das kann das BGE nicht verhindern, das ist auch zu viel vom BGE erwartet. Da muss man eher die langfristige Veränderung, die das BGE vielleicht bewirken oder mitbefördern kann, im Auge haben und sollte sich nicht eine plötzliche Revolution vorstellen allein durch eine ökonomische Maßnahme ausgelöst. Soziale Umwälzungen sind sowieso nicht allein durch ökonomische Maßnahmen herzustellen. Das ist ohnehin eine übertriebene Hoffnung. Das BGE kann in der Hinsicht erstmal nicht mehr als eine finanzielle Basis für mehr Spielraum schaffen. Was die Einzelnen aus diesem Spielraum machen, das werden wir sehen und das hängt auch davon ab, wo die Gesellschaft gerade ist, in der so etwas eingeführt wird. Dazu ist noch zu sagen, das BGE käme nicht schlagartig für alle und von morgen an, sondern würde allmählich eingeführt werden, z.B. zuerst für Kinder ab einem bestimmten Jahrgang. D.h. die Akzeptanz für das BGE würde sich allmählich entwickeln und auch die Kulturimpulse würden sich langsam auswirken. Das ist alles nicht als Revolution gedacht, sondern als Reförmchen an Reförmchen.

hpd: Bekanntermaßen tritt Gewalt gegen Frauen bis hin zur Ermordung bei Trennungen und Scheidungen auf. Ich habe auch von Fällen gelesen, bei denen die Männer ihre Frauen töteten, weil diese mehr verdienten als sie selbst. Könnte das BGE – was kein grundsätzlicher Einwand ist – zum Anwachsen von Gewalt führen?

K.H.: Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Aber mit BGE wird niemand reich und es wird an alle in derselben Höhe ausgezahlt. Die Unabhängigkeit, die sich daraus ergibt, ist eine auf niedrigem Niveau. Mit 1000€ bin ich weder reich noch unabhängig im Sinne der Wohlstandsgesellschaft, sondern damit bin ich erstmal auf dem existenziellen Level unabhängig. Viel ist das wirklich nicht. Allerdings werden Menschen auch wegen weniger umgebracht. Ich würde sagen, die Probleme zwischen den Geschlechtern entstehen dann – von den traditionellen Normen ausgegangen – wenn jemand aus diesen Normen ausbricht. Das kann auch Männer, die sich der Erziehung widmen, betreffen, wenn sie dadurch Außenseiter in ihren Männerzirkeln werden. Es gibt unendlich viele Lebensrealitäten parallel. Fälle von Gewalt gibt es als „Bestrafung“ für Unabhängigkeit so wie es eine Vielzahl von Frauen geben wird, die von derselben Maßnahme, die hier Gewalt auslöst, da sehr profitieren werden. Das ist, glaube ich, bei jeder emanzipatorischen Maßnahme so, dass ihr eine Dialektik innewohnt. Nicht alle profitieren davon in gleichem Maße. Das ist auch gar nicht möglich. Nehmen wir die sogenannte Homo-Ehe als Beispiel: Eine Gruppe, die sich emanzipieren will, erhebt einen Rechtsanspruch, der wird auch gewährt. Dann gibt es aber auch sofort diejenigen innerhalb der Zielgruppe der Maßnahme, die sagen, dass sie die Homo-Ehe gar nicht wollen. D.h. einer emanzipatorischen Forderung wird nachgegeben und sofort oder schon auf der Strecke sagen Einzelne und vielleicht gar nicht wenige: Diese Homosexuellen, von denen die Rede ist, damit bin ich gar nicht gemeint. Zu dieser Gruppe oder zu dieser Identität möchte ich mich gar nicht rechnen.

Ich glaube, diese Vielzahl von Lebensrealitäten zu berücksichtigen und zu denken ist sehr, sehr wichtig. Von Judith Butler lässt sich in dem Punkt viel lernen.
Übrigens ist die Gesellschaft ja verpflichtet, Personen, deren Aufbegehren und Unabhängigwerden sich gefährlich für sie selber auswirkt, zu schützen, um auf deine Frage zurückzukommen. Daran könnte man arbeiten. Sollen die Frauen, deren Männer sich durch ein BGE zum Mord veranlasst fühlen, doch bitte Polizeischutz bekommen!