hpd: Nun ist die Auffassung, René Descartes sei vergiftet worden, ja nicht völlig neu. Vor rund 15 Jahren hat Eike Pies denselben Verdacht bereits in einem Buch vorgetragen. Damals haben sich zwar die Medien der Sache angenommen, in Fachkreisen scheint die Veröffentlichung aber keine große Wirkung hinterlassen zu haben. In den einschlägigen Biographien ist nach wie vor von einer Lungenentzündung als Todesursache zu lesen. Warum ist das so?
Theodor Ebert Theodor Ebert: Dass die akademische Descartes-Forschung sich mit der These von Pies nicht auseinandergesetzt hat, dürfte mehrere Gründe haben. In erster Linie den Umstand, dass Pies sich für den Entdecker des Briefes von van Wullen hält, obwohl dieser Brief unter anderem bereits in der großen Descartes-Ausgabe von Charles Adam und Paul Tannery publiziert war. Allerdings würde dieser archivalische Irrtum es noch nicht rechtfertigen, die davon ja unabhängige medizinische Interpretation dieses Textes durch Eike Pies zu ignorieren. Dafür könnte der Umstand mitverantwortlich sein, dass Pies bei der Transkription des Textes von van Wullen ebenfalls Fehler unterlaufen sind, und dass das Buch auch sonst eine Reihe von Ungenauigkeiten und unkorrekten Angaben aufweist. Schließlich der Umstand, dass Pies andere Zeugnisse praktisch nicht berücksichtigt. Allerdings ist die These, dass Descartes ermordet wurde, für die eher hagiographische und im Übrigen stark durch katholische Forscher bestimmte französische Descartes-Forschung auch ein ziemlich harter Brocken. ist allerdings auch, dass eine vergleichende Analyse der Dokumente zu Krankheit und Tod Descartes’ in der offiziellen Descartes-Forschung meines Wissens bisher nie vorgenommen worden ist.
hpd: Nehmen wir an, Sie haben Recht und Descartes wurde vergiftet: Welche Bedeutung hätte das für die Philosophiegeschichte?
Theodor Ebert: In negativer Hinsicht einfach die triviale Bedeutung, dass Descartes’ früher Tod mit 56 Jahren ihn an der Abfassung weiterer Werke gehindert hat. Die meisten der bekannten Philosophen seiner Zeit, die eine ähnlich robuste Gesundheit hatten, erreichen ein höheres Alter: Thomas Hobbes wurde 91, Galilei 77, Gassendi 63, Leibniz 70 Jahre. Spinoza und Pascal sind wegen ihrer kränklichen Konstitution nur scheinbare Ausnahmen. Allerdings würde sich an der Interpretation der zu Lebzeiten Descartes’ wie auch der postum erschienenen Werke selbst dadurch gar nichts ändern. Etwas anders sieht die Sache aus, wenn eine bloße, aber durch bestimmte Umstände nahegelegte Vermutung sich bestätigen ließe, die ich am Ende in einem Postskript vorbringe: Danach hätte der vermutliche Mörder des französischen Philosophen den Anstoß dazu gegeben, dass Descartes auf den „Index der verbotenen Bücher“ kam, also von Katholiken nicht mehr ohne weiteres gelesen werden durfte. Denn mit dieser Zensurmaßnahme war zumindest für die Länder Europas, die durch die katholische Gegenreformation geprägt waren, der Einfluss der cartesianischen Philosophie eingeschränkt, und das ist für die Philosophiegeschichte natürlich von Bedeutung. Aber diese Vermutung bedürfte noch einer genaueren Überprüfung an Archivmaterialien unter anderem in Italien.
Die Fragen stellte Martin Bauer.
Theodor Ebert: Der rätselhafte Tod des René Descartes. Aschaffenburg 2009. Alibri, 236 Seiten, Abbildungen, kartoniert, Euro 16.-, ISBN 978-3-86569-048-7
Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.