Assunta Tammelleo ist Vorsitzende des Bundes für Geistesfreiheit (bfg) München. Sie meint, dass „wohl alle bisherigen Präsidenten nach 1945 christlich gewesen sein werden, wenn auch wohl nicht alle bei ‚ProChrist’.“ Ihrer Meinung nach richtet Wulff als Bundespräsident „unter Umständen weniger Schaden an als als Landesvater. Das könnte ein Grund sein, ihn dafür zu nominieren“, fügt sie schmunzelnd an. Auch hätten andere Bundespräsidenten in diesem Kruzifix-Fall „sicherlich genauso reagiert“.
Das amüsanteste Statement zu den Kandidaten erreichte uns vom Geschäftsführer des Alibri Verlags, Gunnar Schedel: „Ich war mit Horst Köhler als Bundespräsident sehr zufrieden, er hat als permanent verwirrt erscheinender Winkewinke-Onkel dieses Amt perfekt ausgefüllt. Und die vielen schönen Bilder in Titanic hätte ich in den letzten Jahren nicht missen wollen. (...) Christian Wulff weiß ja in der Regel nicht so genau, wofür er steht, aber das verspricht bestenfalls ein bisschen Abwechslung bei den Weihnachtsansprachen. Joachim Gauck kann immerhin darauf zurückblicken, dass er, laut Bundeskanzlerin, damals in Rostock die Revolution ausgerufen hat. Könnte ein Fünkchen Hoffnung sein.“
Ist Pfarrer Joachim Gauck eine Alternative?
Womit wir bei Pfarrer Joachim Gauck wären, dem zweiten Kandidaten, der die Bürgerinnen und Bürger vertreten könnte (wenn auch die Wahrscheinlichkeit, dass er gewählt wird, als gering einzuschätzen ist). Dieser schneidet bei den BürgerInnen deutlich besser ab als Ministerpräsident Wulff, wie diverse Umfragen, etwa bei der Tagesschau oder Forsa im Auftrag des Stern sowie bei facebook, ergeben haben.
Hier lohnt es sich, einen Blick auf die Privatmeinung des Rudolf Ladwig zu werfen, wenn er ausführt: „Gauck hat im Gegensatz zu Wulff die christliche Religion nicht als gesellschaftlich dominant, sondern auch als marginalisiert erlebt. Dies geschah in einem Staat, der seinerseits auch weltanschaulichen Anspruch auf seine Bürger erhob. Kirche war in diesem Bezugssystem ein potentieller Hort politischer Opposition. Gauck hat entsprechend gewirkt. Er ist im Unterschied zum aalglatten Wulff lebensklug, redegewandt und hat Charisma.“ Allerdings, so argumentiert Ladwig, hat sich „Gaucks ursprünglich bürgerrechtlicher Freiheitsbegriff jedoch längst explizit mit neoliberalen Vorstellungen verknüpft. Von Egalité und Fraternité keine Spur! Wenn Gauck gegen "Besitzstandswahrung" agitiert, dann meint er - wie Wulff! - den Sozialstaat und nicht etwa die kostspieligen staatskirchenrechtlichen Privilegien.“ Ladwig schließt die Kandidatenkür mit dem Worten: „Gauck und Wulff sind auf unterschiedliche Weisen Männer von Vorgestern“.
Frieder Otto Wolf sieht den Kandidaten Joachim Gauck als jemanden, der sich „als ein korrekter Verwalter der Abwicklung der Stasi-Vergangenheit durchaus bewährt“ habe. Er müsse aber seine Vergangenheit als protestantischer Pfarrer hinter sich lassen, um nach Meinung des HVD-Präsidenten, als Bundespräsident akzeptabel zu sein.
„Natürlich ist auch Pfarrer Joachim Gauck aus konfessionsfreier Sicht kein optimaler Kandidat!“, sagte schließlich gbs-Sprecher Schmidt-Salomon. „Dass wir heute zwischen einem protestantischen Pfarrer und einem bibeltreuen Christdemokraten wählen müssen, zeigt nicht nur, dass die Interessen der am stärksten wachsenden Bevölkerungsgruppe, nämlich der Konfessionsfreien, ignoriert werden, sondern auch, wie erbärmlich das intellektuelle Niveau der deutschen Politik ist! Dass die Politikverdrossenheit von Jahr zu Jahr zunimmt, sollte da niemanden verwundern!“
Wer käme sonst in Frage?
Der Präsident des Humanistischen Verbands Deutschlands, Frieder Otto Wolf, plädiert für eine Frau, „eine Repräsentantin..., in der die Haltungen der Mehrheit der Deutschen Ausdruck findet“, da schließlich die Mehrheit der deutschen Bevölkerung aus Frauen bestehe, aber noch nie eine Frau das Amt der Bundespräsidentin innehatte. Rudolf Ladwig plädiert dagegen für die Abschaffung des Amtes des Bundespräsidenten, denn eine „moderne Demokratie braucht keinen kostspieligen Bundesgrüßaugust und auch keine leitende Lichtgestalt“, andernfalls würde er eine intellektuelle Persönlichkeit unterstützen, „welche der Komplexität politischer Probleme nicht mit platten vitalistischen Appellen zu begegnen gedenkt.“
Fazit
Ob Wulff es als Katholik im protestantischen Bundesland Niedersachsen als strategisch günstig erachtete, einer evangelikalen Vereinigung wie ‚ProChrist’ beizutreten, oder aus Überzeugung beitrat, kann nur gemutmaßt werden. Ob Gauck seine theologische Ausbildung abstreifen und dazu übergehen kann und wird, auch säkulare Menschen zu vertreten, sei dahingestellt. Beide Kandidaten zeigen jedenfalls zum Teil ausgeprägte religiöse Tendenzen und lassen befürchten, dass sie die mehr als 30.000.000 (dreißig Millionen) Menschen in Deutschland nicht vertreten werden, die sich gegen Kirche, Religion und Gott entschieden haben. Es sei denn, sie distanzieren sich öffentlich von ihrem Missionierungsauftrag.
Bei Facebook wurde mittlerweile eine Kampagne „Wulff im Schafspelz – nein danke!“ lanciert, wo man gerne seinen Unmut gegen Wulff als Kandidaten bekunden kann.
Fiona Lorenz
Die Fragen stellten Arik Platzek von wissenrockt.de und Fiona Lorenz