Iran mit den Augen einer Frau

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Filmplakat / www.womenwithoutmen-derfilm.de

(hpd) "Women without men" heißt der erste Kinofilm der iranischen Künstlerin Shirin Neshat. Ein berührender, verstörender und bewegender Film, der allegorisch Geschichten in grandiosen digitalen Bildern erzählt.

Wenn ich aus dem Kino komme, brauche ich – bei guten Filmen – immer eine geraume Zeit, um das Gesehene zu verarbeiten. Da kann es eine Weile brauchen, bevor ich ein erstes Wort dazu sage. Gestern, nach der Preview, war mein erster Satz: "Das ist ein weiblicher Film."

Man sieht ihm an, dass Shirin Neshat Video-Künstlerin ist. Einige der Aufnahmen erinnerten mich an Installationen von ihr, die ich vor zwei, drei Jahren sah. Es sind Bilder, auf denen Männer und Frauen strikt voneinander getrennt sich gegenüberstehen. Bilder, in denen Frauen "Leben" sind und Männer "Macht". Auch in diesem abendfüllendem Stück gibt es solche Szenen. Als die junge, verstörte Zarin plötzlich knieenden, betenden Männern gegenübersteht; allein und aufrecht. Und, als diese sich aufrichten und sie mit den Blicken treffen, flieht.

Kann man sagen, dass das Licht eine Hauptrolle in einem Film spielt? Wenn innerhalb von zwei, drei Minuten die Sonne aufgeht, eine Nacht vergeht, wird mit diesen Bildern eine ganze Geschichte von Zeit erzählt.

Die Regisseurin schafft es, mit einigen wenigen, kaum wahrnehmbaren Pinselstrichen eine Figur zu charakterisieren, dass sie modellhaft für eine Reihe Menschen stehen kann.

Die vier Frauen des Filmes geraten in den Strudel der Ereignisse des Jahres 1953. Des Jahres, das noch heute auf den Menschen in Iran wie ein Alp lastet. Als der erste Versuch dieses Landes, sich zu demokratisieren, mit einem Putsch blutig unterdrückt wurde. Und wie ähneln sich die Bilder!

Als Shirin Neshat den Film fertig hatte, begannen die Proteste aufgrund der Wahlfälschung. Es ist wie ein Déjà-vu, wenn man die Bilder der Menschen auf den Straßen sieht, die nach Freiheit rufen. Damals war es das iranische Volk, das sich von der Herrschaft des Schahs befreit hatte und den demokratisch gewählten Präsidenten Mossadegh unterstützte. Der dann mit amerikanischer und englischer Hilfe aus der Regierung geputscht wurde. Dieser Putsch, in dem es einzig um die Vorherrschaft über die reichlichen Ölfelder des Landes ging ist der Grund für die noch heute bestehenden Ressentiments eines Teils der iranischen Bevölkerung gegen "den Westen". Und heute steht das Volk wieder auf der Straße. Dieses mal gegen das eigene, klerikale, unterdrückende Regime.

Es gibt eine berührende Szene, als sich in einer Straße die demonstrierenden Männer, in einer anderen die Frauen sammeln. "Mossadegh-Rufe" erschallen und dann stehen die beiden Gruppen gemeinsam auf einem Platz. Sie sind viele. Und sie schauen sich an.

Shirin Neshat sagt von sich selbst, keine politische Kunst zu machen. Aber all ihre Fotos, ihre Installationen und nun dieser Film sind politisch. Denn die Unterdrückung der Frauen ist politisch.

Es sind immer die Frauen, die leiden, die zurückbleiben

Erschütternd die Einstellung, als ein niedergestochener Soldat – also eigentlich ein Feind der Demokratie – sterbend in den Armen von Munis zurückbleibt. Es sind immer die Frauen, die die Toten beklagen.

Die vier Hauptakteurinnen des Filmes könnten verschiedener nicht sein. Da ist die kämpferische und politische Munis, die den Freitod wählt, um sich nicht unter die Herrschaft eines ihr fremden Ehemannes zwingen zu lassen. Neben ihr – verstört, missbraucht und verloren – die junge und magerkranke Prostituierte Zarin, in deren Gesicht sich die Hoffnungen des 53iger Jahres spiegeln und die im Fieber stirbt.
Eine zentrale Rolle hat Fakhiri inne; eine lebenslustige, warme Frau, die unter der Knute ihres machthungrigen Mannes in immer tiefere Trauer fällt. Und dann aber die Kraft zeigt – für kurze Zeit – sich davon zu befreien. Um am Ende dann doch wieder allein gelassen und traurig zu sein. Zwar frei, aber eben auch einsam und fern der Hoffnung.

Die einzige Frau, die die Hoffnung weiter und in die Zukunft trägt, ist Faezeh. Eine junge Frau, die sich selbst davon befreit, in einem selbstsüchtigen, tiefreligiösen Mann Liebe zu erkennen. Im Laufe des Filmes geht ihr, wie den anderen Frauen, der schwarze Schleier verloren. Doch anders als die traurigen, verstorbenen und verlassenen Frauen geht sie im auffallend geblümten Kleid zurück nach Teheran. Diese kurze Szene gibt dem gesamten Film – und damit auch der aktuellen Situation in Iran – einen Hauch von Optimismus.

Der Film erzählt nicht nur eine Geschichte. Er berichtet über eine bis heute wirkende Epoche. Es ist nicht die Handlung und es sind nicht die Dialoge, die den Film so ungeheuer intensiv machen. Es ist das Licht, sind die Farben und es ist insbesondere das Minenspiel der vier Hauptdarstellerinnen. Es gehört viel dazu, unter einer nur das Gesicht frei lassenden Verschleierung das ganze Spektrum der Gefühle darzustellen.

Der Kameramann Martin Gschlacht hat wirklich unbeschreiblich schöne Bilder gefunden. Und durch die teilweise sehr harte und auffällige digitale Farbverfremdung so surreal gemacht, dass es ist, als wäre der Zuschauer in Alices Wunderland gefallen. Zumal gerade auch der Zugang zur verwunschenen Villa, in der die vier Frauen aufeinander treffen, für eine von ihnen durch einen kleinen, winzigen Torbogen führt, der an ein Kaninchenloch erinnert.

Der Film kommt morgen – am 01. Juli – in die deutschen Kinos. Er ist jenen gewidmet, "die ihr Leben für Freiheit und Demokratie im Iran verloren - von der Konstitutionellen Monarchie 1906 bis zur Grünen Bewegung von 2009".

Prädikat: Unbedingt sehenswert!

Frank Navissi

Webseite zum Film