Für seinen Film "Die Saat des heiligen Feigenbaums" riskierte Mohammad Rasoulof viel. Die Dreharbeiten verliefen heimlich. Immer bestand die Gefahr, dass das iranische Regime ihn beim Dreh erwischen und inhaftieren würde. Dennoch ist ihm ein düsterer, überaus sehenswerter Film gelungen, der einen tiefen Einblick in das Leben iranischer Frauen gibt. Er war letzte Nacht für einen Oscar in der Kategorie "Bester internationaler Film" 2025 nominiert, erhielt den Preis jedoch am Ende nicht.
Der Iran bezeichnet sich selbst als Islamische Republik. Das politische System ist von den Lehren des Islams durchdrungen. Als Staatsoberhaupt agiert ein "Oberster Führer". Aktuell kommt Ali Chamenei diese Rolle zu. Mit dem Ziel, allen Bürgerinnen und Bürgern eine islamische Lebensweise aufzuzwingen, sind Menschenrechtsverletzungen und Freiheitsbeschränkungen im Iran allgegenwärtig.
Wer einen Film im Iran drehen will, hat sich einem umfassenden Zensursystem zu beugen. Vor, während und nach der Produktion müssen Genehmigungen beim Ershad (iranisches Ministerium für Kultur und Islamische Führung) eingeholt werden. Alles, was als kritischer Inhalt gilt, wird sofort zensiert, zum Beispiel abweichende Meinungen zur Politik oder Religion, Kritik an Korruption, die Thematisierung der Rechte der Frauen oder von Sexualität. Frauen müssen religiös vertretbaren Kleidungs- und Make-up-Vorschriften entsprechen und haben in allen Filmszenen den Hijab zu tragen. Um diese Restriktionen zu umgehen, werden Filme oft mit einfachen Handkameras an abgelegenen Orten ohne Genehmigung gedreht.
Heimlich arbeitete auch Mohammad Rasoulof, als er seinen Film "Die Saat des heiligen Feigenbaums" drehte. Obwohl er aufgrund seiner regimekritischen Werke bereits mehrfach inhaftiert worden war und ein Arbeitsverbot erhalten hatte, entstand innerhalb von nur 70 Tagen sein neuer Film. Beständig war die Gefahr gegeben, erwischt zu werden. Es kam zu mehreren Drehunterbrechungen. Während der 70 Tage wurde Rasoulof erneut zu einer langen Haftstrafe verurteilt. So entschied er sich zur Flucht und ließ das Filmmaterial aus dem Iran schmuggeln. Mit Hilfe von Andrew Bird wurde es in Hamburg geschnitten.
Für die Beförderung wird Konformität eingefordert
Der Film spielt in der Hauptstadt des Iran, Teheran. Dort wird Iman (gespielt von Missagh Zareh) zum Ermittler befördert. Ein nächster Schritt auf dem Weg zum Richteramt. Für seine Familie – Frau Najmeh (Soheila Golestani) sowie seine Töchter Rezvan (Mahsa Rostami) und Sana (Setareh Maleki) – ergibt sich die Möglichkeit einer größeren Wohnung. Die Beförderung hat jedoch schnell negative Auswirkungen auf die Familie. Die Frauen müssen sich nun maximal einschränken und gemäß den iranischen religiösen Gesetzen leben. Sie dürfen sich nicht mit anstößigen Personen zeigen, müssen überall den Hijab tragen und es ist speziell den Töchtern untersagt, Soziale Medien für aufsehenerregende Postings zu nutzen.
Die Beförderung von Iman geht gleichzeitig einher mit dem Erstarken von Protesten gegen das iranische Regime. Daher wird er gezwungen, täglich für mehrere hundert Menschen, die als Staatsfeinde gelten, ein Todesurteil auszustellen. Zwar belastet ihn das mental, aber er verbleibt als treuer Staatsdiener in seiner Rolle und unterzeichnet die Urteile. Seine Töchter erhalten über die Sozialen Medien zahlreiche unmittelbare Informationen über die Proteste. Sie sind von der Gewalt, die gegenüber den Protestierenden angewendet wird, angewidert und sympathisieren mit denen, die sich gegen das iranische Regime wehren.
Die Mutter nimmt eine Position zwischen ihrem Mann und ihren Kindern ein: Zwar ist sie ihrem Mann und den islamischen Lehren treu, sie ist sich aber auch dessen bewusst, dass längst eine Zeitenwende eingetreten ist, in der jüngere Generationen gegen den Staat aufbegehren. Dennoch mahnt sie mehrfach ihre Töchter, sich nicht an den Protesten zu beteiligen, um sie so zu schützen.
Als Imans Dienstwaffe eines Tages verschwindet, werden innerfamiliär beispielhaft die allgegenwärtigen Konflikte im Iran ausgetragen. Der Dienstwaffenverlust bedeutet einen Karriereschaden für Iman. Diesen will er nicht hinnehmen. Er beginnt, seiner eigenen Familie zu misstrauen, lässt sie verhören und entwickelt sich zusehends zum Tyrannen. Die spätere Auflösung des Rätsels, wer die Waffe nun gestohlen hat, wirkt zwar ziemlich oberflächlich, hat aber zumindest für das Ende des Films eine nötige konstruktive Funktion. In Anbetracht der überwiegenden inhaltlichen und szenischen Stärken des Films sowie unter Berücksichtigung seiner Entstehungsgeschichte, ist das ein vernachlässigbarer Kritikpunkt.
Die Erzählung ist alles in allem gut durchdacht und gibt tiefe Einblicke in die iranische Kultur, besonders im Hinblick auf das Leben iranischer Frauen. Sie befinden sich in einem Konflikt aus religiöser und politischer Konformität und dem Drang, ihrem Leben mehr Bedeutung, mehr Rechte und mehr Freiheiten zu gewähren. Wer jedoch aufbegehrt, wird gewaltsam niedergeschlagen. Der Film vermittelt diesen Umstand sowohl durch fiktive Szenen und als auch durch originale Smartphone-Videos. Erstere Verleihen dem Film inhaltliche und emotionale Tiefe. Letztere fügen ihm dokumentarische Elemente hinzu.
Vom Anfang bis zum Schluss des gesamten Films fühlt man einen großen, festsitzenden Kloß im Hals. Man möchte oft gar nicht die originalen Smartphone-Aufnahmen sehen, weil sie mehr als abstoßend sind. Der gesamte Film ist durch ausgesprochen gekonnten Einsatz von Szenenkomposition, von der atmosphärischen Nutzung von Licht und Schatten, von Farben und Farbfiltern, von szenischer Metaphorik, von starker Bildsprache und von einer mehr als gelungenen Leistung aller Schauspielerinnen und Schauspieler geprägt. Zwar erkennt man in vielen Momenten auch, dass der Iran an sich ein Staat mit modernen Annehmlichkeiten ist, aber es wird immer klar, dass sie im Kontext einer religiösen Diktatur kein erfüllendes Leben nach sich ziehen.
Klare Empfehlung
Unter beständigem Unbehagen kämpft man sich, genau wie die Frauen, über mehr als zwei Stunden durch den düsteren Film. Am Ende des Films wird man mit unzähligen offenen Fragen zurückgelassen. Mohammad Rasoulof ist ein starkes und sehenswertes filmisches Werk gelungen. Es gibt nicht nur Einblicke in einen viel zu unbekannten Kulturkreis, sondern es zeigt auch, welche Kämpfe um grundlegende Menschenrechte immer noch auf dieser Welt vorherrschen. Besondere Bedeutung erhält der Film, weil er daran erinnert, dass die Kämpfe und Konflikte im Iran längst nicht vorbei sind. Er macht auf sie aufmerksam, er klärt auf und fordert dazu auf, sich mit dem Iran und insbesondere mit der Lage seiner Bürgerinnen auseinanderzusetzen. Für "Die Saat des heiligen Feigenbaums" gibt es daher eine klare Empfehlung!
Mohammad Rasoulof: Die Saat des heiligen Feigenbaums, Deutschland/Frankreich/Iran 2024, Drama, 167 min, FSK 12