Symposium zum 100-jährigen Bestehen der internationalen Liga für Menschenrechte

100 Jahre im Dienste des Friedens und der Menschenrechte

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Vortragender Dr. Reinhold Lütgemeier-Davin, im Hintergrund ein Bild der Teilnehmer der deutsch-polnischen Verständigungskundgebung der Liga von 1929
Vortragender Dr. Reinhold Lütgemeier-Davin, im Hintergrund ein Bild der Teilnehmer der deutsch-polnischen Verständigungskundgebung der Liga von 1929

BERLIN. (hpd) Nicht nur der Beginn des 1. Weltkriegs jährt sich dieses Jahr zum 100sten Mal, sondern auch eine der wichtigsten Organisationen der deutschen Friedens- und Menschenrechtsbewegung blickt im November 2014 zurück auf eine 100-jährige Geschichte. Der Bund Neues Vaterland wurde am 16. November 1914 in Reaktion auf den Beginn des 1. Weltkrieges gegründet. Aus diesem Anlass hat die Internationale Liga für Menschenrechte, der Nachfolger des Bundes, am 29.11.2014 ein Jubiläumssymposium durchgeführt.

Da eine Geschichte der Liga bis heute nicht geschrieben worden ist, sollte dieses Symposium auch dazu dienen, auf die eigene Geschichte zurückzuschauen. Reinhold Lütgemeier-Davin – einer der zwei Autoren des Standardwerkes “Frieden und Friedensbewegungen in Deutschland 1892–1992” – referierte über die Geschichte des Bundes Neues Vaterland.

Der Bund war zunächst eine Gründung der bürgerlichen Friedensbewegung, seine zwei Vorsitzenden Kurt von Tepper-Laski und Georg Graf von Arco hatten beste Kontakte in hohe adelige Kreise, zum gehobenen Bürgertum und zum diplomatischen Korps, die der Bund zu nutzen suchte. Die Gründer des Bundes – heute wohl noch am ehesten bekannt sind Albert Einstein und Ernst Reuter – waren großteils auch in der bürgerlichen Freidenkerbewegung aktiv. Wie Lütgemeier-Davin betonte, gab es eine hohe Konvergenz zwischen Freidenkern und Friedensbewegung. Diese bestand auch noch in der Weimarer Republik fort – so war z.B. Carl von Ossietzky, in den dreißiger Jahren Vorsitzender der deutschen Liga für Menschenrechte, in die sich der Bund 1922 im Zuge von Internationalisierungstendenzen umbenannt hatte, Mitglied im deutschen Monistenbund und vor seiner Zeit bei der Weltbühne auch als Redakteur freidenkerischer Zeitschriften tätig. Heute gibt es eine solche Konvergenz leider nicht mehr.

Im Verlaufe des 1. Weltkrieges kam es zu einer schrittweisen Radikalisierung der im Bund zusammengeschlossenen bürgerlichen Pazifisten, die dazu führte, dass nunmehr auch vermehrt Kontakte zu den pazifistisch eingestellten Sozialdemokraten und Anarchisten hergestellt wurden. Über die anarchistischen Einflüsse auf den Bund referierte Johan Bauer. Der Bund wurde dadurch neben dem Bund der Kriegsdienstverweigerer zur wichtigsten Partei und klassenübergreifenden Plattform des Pazifismus im ersten Weltkrieg. 1916 wurden dem Bund alle Aktivitäten untersagt.

1918 nahm der Bund seine Tätigkeit erneut auf und setzte sich für eine demokratische Gesellschaft, eine sozialistische Republik ein, wobei ein bürgerliches Sozialismuskonzept vertreten wurde, das nicht ökonomisch, sondern politisch-kulturell orientiert war. Über diesen Abschnitt seiner Geschichte berichtete Werner Boldt. 1922 erfolgte die schon erwähnte Umbenennung in Deutsche Liga für Menschenrechte. Die Liga suchte insbesondere die Verständigung mit Frankreich und Polen zu fördern und propagierte den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund. Neben die Friedenspolitik trat zunehmend die Bürgerrechtspolitik. Diese Initiativen der Liga, z.B. zur Republikanisierung von Justiz und Armee, blieben jedoch weitgehend ohne Erfolg.

Die Mitglieder der Liga wurden von Anfang an durch die Justiz verfolgt und häufig inhaftiert. Die Verfahren beruhten in der Regel auf dem Vorwurf des Hochverrates, der damals die analoge politische Straftat zu den heutigen Geheimnisverratsprozessen war, mit denen die Whistleblower verfolgt und kriminalisiert werden. Am bekanntesten ist der Weltbühne-Prozess, in dem Ossietzky wegen eines Artikels über die Zusammenarbeit der deutschen Reichswehr mit der sowjetischen Armee im Bereich der Luftwaffe – Windiges aus der deutschen Luftfahrt – zu anderthalb Jahren Haft verurteilt wurde – im Vergleich mit dem, was Whistleblowern in den USA heute droht eine milde Strafe! Über diesen Prozess referierte Ingo Müller, der 1987 die erste umfassende Studie über die Justiz im NS vorgelegt hat – Furchtbare Juristen.

1933 wurde die Liga verboten, ihre führenden Mitglieder flohen ins Exil oder kamen – wie Ossietzky – im Konzentrationslager zu Tode. 
Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete sich die Deutsche Liga für Menschenrechte in Westdeutschland neu. Da die Gründung eines Westberliner Landesverbandes von der Deutschen Liga nicht akzeptiert wurde, gründete sich in Westberlin dann 1959 die Internationale Liga für Menschenrechte. Über deren Tätigkeit referierte das Gründungsmitglied Peter v. Feldmann. Die Liga entfaltete im wesentlichen rechtspolitische Aktivitäten, war bei der Aufarbeitung des Nationalsozialismus aktiv – worüber Christoph Schneider gesondert berichtete – und kämpfte als Teil der 68er-Bewegung für die Durchsetzung demokratischer Bürgerrechte. Seit den 80er Jahren – als Einschnitt kann hier der Fall Kemal Altun gelten – verschob sich der Schwerpunkt der Liga- Tätigkeit auf die Asyl- und Flüchtlingsarbeit.

Heute versteht sich die Liga als nicht parteipolitische Organisation, die orientiert an den Menschenrechten und am Grundgesetz den Staat in der Absicht kritisiert, ihn zu reformieren.

Die Gründer der Liga haben sicher gehofft, einhundert Jahre nach deren Gründung in einer Welt des Friedens und der Respektierung der Menschenwürde zu leben. Statt dessen nehmen die kriegerischen Konflikte und die innerstaatliche Unterdrückung wieder zu. In Europa gibt es seit dem Ende des klassischen Ost-West-Konfliktes zum zweiten Mal wieder Krieg. Die arabische Welt befindet sich am Beginn einer kriegerischen Neuordnung ihrer politischen Machtverhältnisse, die sich noch Jahrzehnte hinziehen wird. In dieser Zeit muss ein Rückblick in die eigene Geschichte mehr sein als eine nostalgische Selbstversicherung.

Auf dem Symposium wurde daher nicht nur ein Blick auf die Ligageschichte geworfen, sondern auch ein Blick auf den Ersten Weltkrieg. Die Debatten um die Kriegsschuldfrage, die die neuen Publikationen zum ersten Weltkrieg von Herfried Münkler und Christoph Clark – wohl in eindeutig politischer Absicht – neu aufgeworfen haben, spielten aus friedenspolitischer Perspektive auch auf der Tagung eine Rolle. Die These einer eindeutigen Hauptschuld Deutschlands am Beginn des 1. Weltkrieges, die, wie der Referent Helmut Donat darlegte, von dem Mitglied der Liga Hellmut von Gerlach schon in den zwanziger Jahren überzeugend vertreten worden war, war unter den Referenten unstreitig.

Ebenso war unstreitig, dass Kriege nicht das Ergebnis ökonomischer Systeme sind, auch wenn diese internationale Konkurrenzsituationen produzieren, sondern auf der Entscheidung einzelner Personen beruhen. Dies ist in dieser Allgemeinheit sicher richtig. Es ist immer eine bestimmte Person die auf den Knopf drückt. Und durch andere Überlegungen darf auch die Schuldfrage nicht relativiert werden. Dennoch ist es so, dass bestimmte gesellschaftliche Strukturen militärische Konfliktsituationen produzieren. Und in solchen Situationen wird sich fast immer jemand finden, der auf den Knopf drückt. Wenn man also Kriege verhindern will, so reicht eine moralische Erziehung dazu nicht aus. Es bedarf der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse.

Ziel der Tagung war es auch, das Vergessen unbequemer Personen zu verhindern, die auch heute noch positive Beispiele für Zivilcourage, für den Kampf gegen die in einer Gesellschaft dominierende Meinung und für Frieden und Bürgerrechte geben können. Wer kennt noch Hellmut von Gerlach? Sicher ebenso wenige wie Minna Cauer, Lilli Jannasch oder Helene Stöcker, über die Christl Wickert kenntnisreich referierte. Nur Ossip K. Flechtheim, über den Wolfram Beyer sprach, dürfte neben Ossietzky noch allgemein bekannt sein, auch bei den Humanisten. Der Humanistische Verband vergibt bekanntermaßen einen Ossip-K.- Flechtheim-Preis, auch wenn sich der Verband eher auf den Bürgerrechtler Flechtheim als auf den Friedenspolitiker bezieht.

Man hätte der Tagung mehr Teilnehmer und vor allem mehr jüngere Teilnehmer gewünscht. Von einem Festsymposium zum 100-jährigen Bestehen auf die Mitgliedschaft der Liga zurückzuschließen dürfte sicher nicht falsch sein. Danach ist diese erheblich überaltert.

Neben der Liga gibt es inzwischen viele andere Organisationen mit ähnlichem Profil. Am bekanntesten dürfte heute Amnesty International sein. Vielleicht ist auch im bürgerlichen Millieu, aus dem die Liga auch heute noch ihre Mitglieder gewinnt, Friedens- und Bürgerrechtsarbeit derzeit nicht en vogue. Im Ausblick auf die der Liga zu wünschenden nächsten 100 Jahre wird diese sich der Frage ihrer organisatorischen Neuaufstellung und personellen Erneuerung stellen müssen. Es ist ihr dabei viel Erfolg zu wünschen.