Ein freidenkerischer Rebell

ZWICKAU. (hpd) Das 1929 im Berliner Malik-Verlag erschienene Erinnerungsbuch von Max Hoelz "Vom 'Weißen Kreuz' zur Roten Fahne. Jugend-, Kampf- und Zuchthauserlebnisse" (Reprint 1969 im Verlag Neue Kritik, Frankfurt am Main) gehörte noch bis in die 1970er Jahre zum Grundbestand freidenkerischer Literatur, schon weil sich die dissidentische Bewegung zu dieser Zeit noch (bis zur Herstellung der deutschen Einheit 1990) weitgehend sozialistisch verstand.

Fünf Gründe sprachen für eine Rezeption dieses Hoelz-Buches in der Freidenkerbewegung: die Abkehr des Autors von christlichen Überzeugungen und kirchlichen Einrichtungen; seine – obwohl selbst tapferer Soldat mit "Eisernem Kreuz" und schweren Verwundungen – letztendlichen Kriegsgegnerschaft; die offene Agitation gegen religiös motivierte sexuelle Verklemmtheit und Frauenunterdrückung; schließlich seine detaillierten Verhaltensregeln für Gefangene der "Klassenjustiz"; seine unbedingte Alkoholabstinenz. Sein wichtigster Lehrer wurde der politisch ganz links außen angesiedelte Sachse Otto Rühle. Seine Sexualvorstellungen übernahm Hoelz von Magnus Hirschfeld, dessen Schriften er ebenfalls verschlang. Überhaupt war und blieb Hoelz ein Autodidakt, eingeschlossen eine gewisse Gläubigkeit hinsichtlich der angeeigneten Standpunkte.

Ein besonderer Wert des vorliegenden biographischen Werkes des Autors Norbert Marohn liegt darin, dass er diese und weitere Ansichten von Max Hoelz in ihrer Entstehung untersucht, mit dem Werdegang und Verhalten seines Protagonisten vergleicht und sie dadurch nicht nur verständlich macht und historisch einordnet, sondern gehörig relativiert. Hoelz war ein hypernervöser "Tatmensch", der seinen Körper mehrfach bis zu Zusammenbrüchen traktierte. Marohn gelingt eine kulturelle Studie am Beispiel einer historischen Person. Das vorliegende Werk hat über 600 Fußnoten, einen informativen Literatur- und Quellenbericht, ein Abbildungs- und Personenverzeichnis sowie ein Glossar.

Auf die biographisch-dokumentarische Erzählung über Max Hoelz (1889–1933) bin ich zufällig gestoßen. Sie fand sich unter "vogtländischer Heimatliteratur". Das lag vielleicht daran, dass Hoelz dort sein frühes Wirken entfaltete und er, wie er meinte, einen Volksaufstand anzetteln könnte, was gründlich fehlschlug, er aber fünf Villen niederbrannte. Da Sachsen aber insgesamt nicht an zu großer Nähe zu linken Personen leidet, auch wenn diese schon lange tot sind, ergab sich mein mehrfaches Interesse an dem Buch: Wie wird der Autor mit diesem spröden Erbe umgehen, wo der untersuchte Held doch schlecht beleumundet ist?

War Hoelz eine Art Robin Hood oder – wie in Sachsen eher bekannt – Karl Stülpner (1762–1841), der eigenen Legende nach ein Wildschütz fürs Volk? War Hoelz ein schnöder Terrorist, schlimmer als fünfzig Jahre später die RAF? Kann man heute in den Augen braver Bürgersmänner und Bauersfrauen noch tiefer sinken? Ja …, Hoelz war Kommunist. In der Sowjetunion hießen Werke, Straßen, Schiffe, Bataillone nach ihm. Die DDR hat ihn wesentlich nach der Ulbricht-Zeit geehrt und sogar erst 1989 eine kleine Büste aufgestellt, wenn auch begleitet von politischem Tamtam, als es im Volk schon brodelte. Flugs schickten die örtlichen "Wende"-Führer die Büste ins Archiv, wo sie seitdem lagert. Der aktuelle Umgang mit der Berühmtheit Hoelz besonders in Falkenstein zeigt insgesamt, zu welchen Dummheiten dortige Tourismusverhinderer und Geschichtsbereiniger fähig sind.

Wenn jemand in den 1920ern bis in die frühen 1930er als Kommunistenführer in Deutschland und der Welt bekannt war, dann war dies, neben Ernst Thälmann, das ehemalige Landarbeiterkind Max Hoelz, der sich förmlich vom Tellerwäscher zum Millionen bekannten und berühmt-berüchtigten militärischen Führer der "Vogtland-Rebellion" im Sommer 1919 und der "Roten Armee" im Mansfeldischen zu Ostern 1921 hocharbeitete und gern ob dieser Leistungen Mitglied des ZK der KPD geworden wäre.

Wir erfahren in dem Buch, wie ein lernbegieriger und schöner Mann, Prügel gewöhnt, später selbst mehrfach von der SA fast totgeschlagen wird und selbst zuschlägt, besonders, wenn er seinen "Koller" bekommt. Als Filmerklärer im Stummfilmkino eignet sich Hoelz eine Redeweise an, die aus einer Begabung einen "Berufsrevolutionär" werden lässt, der als abenteuerlicher Untergrundkämpfer durch Fenster in Säle springt, begeisternde und entgeisternde Agitation vorführt und wieder durchs Fenster verschwindet, bis er schließlich gefasst und von der "Klassenjustiz" mit gefälschten Aussagen zu Lebenslang verurteilt wird. Die internationale Kampagne zu seiner Freilassung steht der für die Amnestie von Sacco und Vanzetti in den USA in nichts nach. Das machte ihn berühmt … und wohl auch überheblich.

Der Autor des Buches, Norbert Marohn, Jahrgang 1952, Sozialisation Ost, freier Schriftsteller von Hörspielen, Dokumentationen und Prosa, hat eine Neigung zu schwierigen Charakteren und ein nicht selbstverständliches, die Lektüre nicht immer leicht machendes Gespür, die extremen Typen, denen er sich widmet, von ihrem Weltbild und ihren Realbiographien her zu erfassen und bei seiner Berichterstattung deren kulturelles Umfeld ernst zu nehmen. Das war schon bei dem Henker Heydrich und dem SA-Führer Röhm ein Kunststück.

Mit dem Ultralinken Hoelz gelang Marohn ein – ehrlich, manchmal schwer verdauliches – Meisterstück. Er schildert den widersprüchlichen, vielleicht sogar psychisch kranken Menschen Hoelz, legt die originalen Quellen dar, bietet eine Art "wahren Lebensroman", eingebettet in die subjektiven Sichten von Hoelz, einiger Zeitzeugen und seine eigenen.

Das ist für Historiker ein ungewöhnliches Herangehen (auch in der Typographie), weil der Autor – und vielleicht muss man hier sagen, glücklicherweise – die Bibliotheken mit Streitbüchern zur Kommunismusgeschichte, auch die objektivierender Provenienz, vernachlässigt zugunsten seines kämpfenden und leidenden Menschen Max Hoelz. Der Vorteil dieses Herangehens ist, dass Marohn weder die Hausgeschichtsschreibung der SED, noch die Legion des konservativ-parteiischen, unseriösen Antikommunismus der Sieger des Kalten Krieges zitieren muss.

Warum der Titel "Biografie einer Zukunft" heißt, erschließt sich nicht so richtig, es sei denn, der Autor meint, man solle sich die Querköpfigkeit von Hoelz zum Vorbild nehmen. Man kann darin aber ein Lehrstück sehen, wie es nicht geht. Wenn man von den Eigenwilligkeiten in Stil und Bezügen absieht (etwa der Einschub über Stinnes), ist Marohns Buch sowohl ein wichtiger Beitrag zur Weltgeschichte des organisierten Kommunismus zwischen 1917 und der Stalinisierung der Komintern als auch zur Regionalhistorie der Unterschichten sowohl des Vogtlandes als auch der preußischen "Provinz Sachsen", heute Sachsen-Anhalt. Es ist vor allem eine Suche nach der Wahrheit zur Person Max Hoelz, seinen Taten und den Legenden, seinen Veröffentlichungen und seinen inneren Qualen.

Der Kommunist Hoelz ist nicht nur unfähig zu jeder sozialen Analyse und Einsicht in die Verfahrensweisen jeder Organisation und Verwaltung. Kein Apparat, ob Betrieb, Partei oder militärische Einheit kann mit einem solchen rastlosen und rechthaberischen Menschen umgehen, wenn es dann auch noch ans Leben gehen kann. Das hat in der Tragik, wie Revolutionäre miteinander umgehen, auch eine besondere Komik. Wilhelm Pieck schreibt ihm: "Man weiss nicht, was Du im nächsten Augenblick tun wirst." (S. 228)

Hoelz ist auch hilflos gegenüber jedem familiären "Normalleben". Das nun wiederum teilt er mit der Konzeption seiner Partei, die sich immer wundert, dass sie ruft und das Volk bleibt weg. Otto Rühle, mit dem er in der KAPD war, wird daraus "Verbürgerlichung der Arbeiterklasse" folgern und damit – unfreiwillig – jede sozialistische Revolution für unmöglich erklären.

Diese teils verklärende, teils ignorante Sicht auf das Arbeiterleben und die Bedürfnisse der Angehörigen dieser Klasse belegt Marohn auch durch die Haltung von Hoelz zu den "Gastarbeitern" in Sowjetrussland wie den Umgang mit jenen Einheimischen, die die Grundsteine der Industrialisierung legen, selbst aber elend gehalten werden. Hoelz verklärt dies, zugleich meint er, durch mehr Druck und Aufklärung ließe sich hier einiges ändern. Deutsche Erfahrungen und russische Wirklichkeit geraten aneinander und lassen den asketischen Klassenkämpfer Hoelz verzweifeln. Es steckt in ihm eine gehörige Portion fast religiösen Eifers.

Was seinen Tod durch Ertrinken im sowjetischen Exil betrifft, so lässt Marohn das Ergebnis so offen, wie es die Aktenlage vorgibt. Er schließt sowohl einen Mord durch die Geheimpolizei als auch ein tragisches Unglück oder einen Suizid nicht aus.

Der Verlag wie der Autor gehören – dies hat das Buch ermöglicht – nicht zum etablierten Wissenschaftsbetrieb. Der Verleger Dr. Sven Lychatz leitet nebenbei das private “Institut für systemisch-integrative Lerntherapie in Leipzig”, das sich Hilfen bei Legasthenie, Rechenschwäche und Frühförderung widmet und wohl auch deshalb entsprechende Kinderbücher herausgibt. Auf der Homepage finden sich die ersten Rezensionen zum Hoelz-Buch.

 


Norbert Marohn: Hoelz. Biografie einer Zukunft. Leipzig: Lychatz Verlag 2014, 331 S., zahlreiche Abb. ISBN 978–3–942929–86–8, 19,95 Euro