Susanne Leonhard - Eine Dokumentation zu Leben und Werk

WEIMAR. (hpd) Vor 120 Jahren, am 14. Juni 1895, wurde Susanne Leonhard geboren. Wer war diese Frau, die sich bereits als junge Studentin – zur Zeit des 1. Weltkrieges – der radikalen Friedensbewegung und der sozialistischen Linken anschloss? Ihr Leben und Werk stellt Herausgeber Heiner Jestrabek in seiner neuen Publikation mit dem etwas umständlichen Titel “Susanne Leonhard: Unterirdische Literatur im revolutionären Deutschland, Gestohlenes Leben, Freies Denken – Dokumentation zu Leben und Werk” vor.

Jestrabek fasst zur Persönlichkeit der von ihm mit großer Sympathie vorgestellten Frau zusammen: “Susanne Leonhard war konsequente Gegnerin des imperialistischen Kriegs (…) Sie blieb konsequent bei ihren internationalischen Überzeugungen, auch nach bittersten Enttäuschungen in der stalinistischen Sowjetunion. Susanne Leonhard war eine antistalinistische Sozialistin in der Tradition Rosa Luxemburgs [und auch in der Tradition von Karl Marx und Friedrich Engels; SRK], eine humanistische Geisteswissenschaftlerin und Publizistin, Kriegsgegnerin und Freidenkerin – all dies waren konsequente untrennbare Bestandteile ihres Weltbildes.” (S. 7)

Gerade diese “untrennbaren Bestandteile ihres Weltbildes” machen Susanne Leonhard auch heute noch – mehr als 30 Jahre nach ihrem Tode am 3. April 1984 – für Atheisten, Freidenker und Humanisten interessant. Und aus diesem Grunde halten besonders die Humanistischen Freidenker Ostwürttembergs die Erinnerung an diese ungewöhnliche Frau wach, nicht nur in und mit der jetzt vorgelegten Publikation.

Zunächst stellt Herausgeber Heiner Jestrabek das bewegte Leben der als Susanne Köhler in Oschatz/Sachsen geborenen Juristentochter und Enkelin eines Bankiers vor. Über ihre Sozialisation schrieb sie selbst: “Ich bin in einer streng konservativen, christlichen Familie aufgewachsen. Hineingeboren in ein solches Milieu mit dogmatischer Glaubensüberlieferung und starren gesellschaftlichen Vorurteilen hatte ich nur eine geringe Chance zu eigener Entscheidung und Sinngebung meines Lebens…” (S. 8)

Jestrabek zeichnet auf, wie und wodurch es kam, dass die von 1915 bis 1918 in Göttingen und Berlin Mathematik und Philosophie studierende Frau erste Zweifel bekam, warum und wie sich dem von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg geführten Spartakusbund anschloss und damals folgerichtig auch Mitbegründerin der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) wurde. Beide kannte sie persönlich und mit Liebknechts Witwe Sophie verband sie eine jahrzehntelange Freundschaft. Er geht auf ihre beiden Ehepartner ein, vor allem auf Mieczyslaw Bronski – seinerzeit sowjetrussischer Botschafter in Wien und Vater ihres berühmten Sohnes Wolfgang Leonhard (1921 – 2014).

1920 erschien Susanne Leonhards erstes und besonders bemerkenswertes Buch “Unterirdische Literatur im revolutionären Deutschland während des I. Weltkrieges”, die erste dokumentengestützte Chronik der damaligen Antikriegsbewegung überhaupt. 1925 trat sie wegen zunehmender Stalinisierung der KPD aus dieser Partei aus, blieb aber bis an ihr Lebensende parteilose marxistische Sozialistin. Auch als Parteilose unterstützte sie den Widerstandskampf der KPD gegen das Nazi-Regime und musste daher 1935 in die Sowjetunion fliehen. Dort wurde sie jedoch bereits 1936 aufgrund einer Denunziation vom Geheimdienst NKWD verhaftet. Es folgten zwölf Jahre Haft und Verbannung und Ableistung von Zwangsarbeit. Eine Schilderung dieser dramatischen Jahre gab sie in ihrem Buch “Gestohlenes Leben. Schicksal einer politischen Emigrantin in der Sowjetunion”, erstmals erschienen 1956 in Frankfurt/Main. Aufgrund einer Intervention ihres Sohnes kam sie 1948 frei und zunächst nach Ost-Berlin, aber bereits 1949 folgte sie ihrem Sohn in die Westzonen. Hier angekommen, wollte der US-Geheimdienst sie für eine Spionagetätigkeit gewinnen, was sie aber ablehnte. 1950 übersiedelte sie nach Stuttgart, lebte dort in bitterer Not und als Sozialistin gesellschaftlich ausgegrenzt, ganz wie es für die Adenauer-Zeit üblich war. Das änderte sich nur langsam. Doch es entstanden hier viele neue Freundschaften, sie konnte auch wieder publizistisch und wissenschaftlich arbeiten. In den 1960er Jahren dann reorganisierte und leitete Susanne Leonhard in Stuttgart den dortigen Ortsverein des Deutschen Freidenker-Verbandes (DFV).

Nach Jestrabek kommen in dieser Publikation auch Hermann Weber, Reinhold Settele und Peter Grohmann zu Wort, die sich in vier Beiträgen aus den Jahren 1984, 2006, 2007 und 2013 über ihre Begegnungen und ihre Zusammenarbeit mit Susanne Leonhard erinnern. Gerade in Grohmanns Erinnerungen findet sich eine bemerkenswerte Passage: “…1949 vom US-Geheimdienst CIC festgenommen und bis 1950 inhaftiert. In der neuen westdeutschen Haft versuchten die Amis sie mit Versprechungen, Drogen und Drohungen als Agentin für die gerechte Sache der Gleichheit zu gewinnen (…) Wie es denn wäre, in der Bundesrepublik eine radikale und neue kommunistische Partei aufzubauen? Es würde an nichts fehlen… Sie wollte nicht.” (S. 41/42)

Und das zu einer Zeit, als die Adenauer-Regierung intensiv auf ein Verbot der KPD hinarbeitete. Vor allem aber: Diese Passage sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man sich näher mit den diversen Gründungen von sogenannten K-Gruppen (egal ob vorgebliche Maoisten, Trotzkisten o.a) in den 1950er bis 1970er Jahren in Europa und anderswo befasst.

Den Erinnerungen an Susanne Leonhard folgen Ausschnitte aus ihren eigenen, oben genannten Publikationen. Es beginnt mit dem Text “Die Kirche und das fünfte Gebot”. Dieser Aufsatz sollte als Sonderdruck erscheinen und jedem Freidenker, Humanisten Kirchen- und Religionskritiker und Laizisten in die Hand gedrückt werden. Er ist eine fundierte und stilistisch ansprechende wundervolle Argumentationshilfe, wenn es gegen verlogene, heuchlerische Phraseologien von Theologen geht und er zeigt auch auf, welche geistigen Pirouetten jene anstellen, wenn es konkret wird und sie da immer neue Auslegungen erfinden, um die absoluten Wahrheiten biblischer und anderer Texte zu “begründen”. Dem folgt ein Text über Ethik “Weltanschauungen”.

Ausführlicher und umfangreicher sind Abschnitte aus dem Band “Unterirdische Literatur”, in denen es auch um die Editionsgeschichte dieses Bandes geht – welche allerdings der KPD der 1920er Jahre nicht zur Ehre gereicht.

Heute nicht minder wie damals lesenswert und bedeutsam ist Susanne Leonhards Arbeit “Ärger mit Zitaten”. Heute vielleicht sogar notwendiger als vor Jahrzehnten, denn mit falsch rezipierten oder gar bewusst verdrehten, verfälschten Zitaten (und Quellenangaben) tobt sich ja immer noch jedweder Antikommunismus aus, wie auch der Kampf gegen jedwedes freigeistige Denken. In diesem – hier abgedruckten – Abschnitt geht es um die Slogans bzw. Zitate “Sozialismus oder Untergang in die Barbarei!”; “Befreiung der Arbeiterklasse” und ganz besonders “Religion als Opium des Volkes”. Zu letzterem zitiert sie umfangreich aus den Originalquellen, so dass sich der Sinn der Aussagen von Marx, aber auch der von Lenin, jedem Leser richtig und vollständig in seinen Zusammenhängen erschließt. Auch dieser Text sollte als Sonderdruck gerade in linken (und LINKEN!) Kreisen weiteste Verbreitung finden.

Schließlich gibt Susanne Leonhard noch Auskünfte über Karl Liebknechts Nachlass und dessen Schicksal und welchen Teil davon sie gemeinsam mit Sophie Liebknecht vor den Nazis und der Vernichtung retten konnte.

Mit Freude nimmt der Rezensent hier die letzte Passage zur Kenntnis: "Übrigens ist unter Zugrundelegung des geretteten Nachlasses, insbesondere der Familienfotos, [in der DDR; SRK] ein DEFA-Film über Karl Liebknecht gedreht worden. Sein Titel: Solange Leben in mir ist". (S. 138) Dieser Film erlebte 1965 seine Uraufführung und wurde seinerzeit einer der erfolgreichsten DEFA-Filme überhaupt.

Zwei Vorworte Susanne Leonhards zu verschiedenen Auflagen von “Gestohlenes Leben” beschließen die Werkvorstellung Diese und ein weiterführendes Literaturverzeichnis runden die neueste und sehr empfehlenswerte Publikation des verdienstvollen humanistischen Freidenkers Heiner Jestrabek ab.

 


Heiner Jestrabek (Hrsg.): Susanne Leonhard – Unterirdische Literatur – Dokumentation zu Leben und Werk. 146 S.m.Abb. Klappenbroschur. Edition Spinoza im Verlag Freiheitsbaum. Reutlingen und Heidenheim 2014. 14 Euro. ISBN 978–3–922589–58–7