Dienstanweisung des Klinikums Lippstadt gegen einen Gynäkologen:

Keine Abtreibung – weil es die "katholischen Partner" so wollen

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Klinikum Lippstadt
Klinikum Lippstadt

Eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts ist unter der Ampelkoalition bekanntlich gescheitert. Doch nicht einmal die deshalb weiterhin geltenden strengen Regeln sind manchen in der Praxis strikt genug. Das zeigt ein Fall aus dem nordrhein-westfälischen Lippstadt. Dort fusionierten zwei Krankenhäuser – eines in evangelischer, das andere in katholischere Trägerschaft. Die "katholischen Partner" setzten dabei durch, dass die bisher schon nur in seltenen Fällen vorgenommenen Abbrüche weiter reduziert werden. Ein Arzt wehrt sich vor dem Arbeitsgericht gegen eine entsprechende Dienstanweisung des Klinikums.

Im Zuge der Krankenhausreform fusionierten in Lippstadt das evangelische Krankenhaus und das katholische Dreifaltigkeitskrankenhaus. Seither gilt eine Dienstanweisung, dass Schwangerschaftsabbrüche aus medizinischer Indikation grundsätzlich nicht durchgeführt werden dürfen – außer bei Lebensgefahr für die Mutter. Schwangerschaftsabbrüche aus sozialen Gründen bis zur 12. Schwangerschaftswoche waren schon bisher nicht möglich an den Lippstädter Krankenhäusern. Nun aber wurde auch noch die medizinische Indikation stark eingeschränkt. Bislang hatte es nach Mitteilung des Klinikums am evangelischen Krankenhaus jährlich circa 15 Abbrüche aus medizinischen Gründen gegeben. Diese sollen nun nur noch dann möglich sein, wenn der Schwangeren Lebensgefahr droht. In Fällen jedoch, in denen die Schwangerschaft das Resultat sexueller Gewalt ist oder bei bekannten schwersten Behinderungen des Kindes wird ein Schwangerschaftsabbruch abgelehnt.

Der Ärztliche Direktor am Evangelischen Krankenhaus Lippstadt, Dr. Joachim Volz, betreibt mit seiner Frau und einem Ärzteteam auch eine gynäkologische Praxis in Bielefeld. Auf der Internetseite dieser Praxis wird der Fall so geschildert:

"Aus den Medien ist vielen bekannt geworden, dass im Rahmen der – aus wirtschaftlichen Gründen wichtigen – Fusion des evangelischen Krankenhaus Lippstadt mit dem katholischen Dreifaltigkeit Hospital Lippstadt in Zukunft vorzeitige Beendigungen von Schwangerschaften aus medizinischer Indikation am evangelischen Krankenhaus verboten werden sollen. Eine medizinische Indikation liegt vor, wenn für die Schwangere die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes besteht. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn bei Untersuchungen festgestellt wird, dass das Ungeborene an schwersten, oft nicht lebensfähigen Fehlbildungen oder Beeinträchtigungen leiden wird. Bei Lebensgefahr soll ein Abbruch weiterhin auch am Krankenhaus möglich sein. Die Geschäftsführung führt dazu aus, dass dieses Verbot die Grundvoraussetzung für die katholische Seite war, überhaupt in die Fusionsverhandlungen einzutreten. Daher habe man diesen Punkt akzeptieren müssen, im Gegenzug dafür Vorteile bei den Vertragsverhandlungen erhalten. Sollte dieses Verbot nicht konsequent durchgeführt werden, wird die Fusion rückgängig gemacht. Eine Diskussion mit den Betroffenen wurde nie geführt."

Professor Volz erhielt am 15. Januar 2025 ein Schreiben der Krankenhaus-Geschäftsführung, ab 1. Februar 2025 keinerlei Schwangerschaftsabbrüche, egal aus welcher Indikation, außer bei Lebensgefahr der Mutter, mehr durchführen zu dürfen. Sollte er dieser Weisung widersprechen, werde ihm gekündigt. Gegen diese Dienstanweisung klagt Volz vor dem Arbeitsgericht Hamm. Vor den Arbeitsgerichten findet vor der Entscheidung zunächst ein sogenannter Gütetermin statt. Bei diesem gab es am 22. April aber keine Einigung, so dass es am 22. Juli 2025 zum erneuten Gerichtstermin kommt.

Volz wird getragen von einer Welle der Solidarität medizinischer Kolleginnen und Kollegen. In einem Offenen Brief von rund 60 Ärztinnen und Ärzten aus Lippstadt und Umgebung wird die Klinikleitung zum Überdenken ihres Standpunktes aufgefordert. In dem Brief heißt es:

"Die Fusion der Lippstädter Krankenhäuser begrüßen wir sehr: Sie ist sinnvoll und sie soll die weitere medizinisch hochwertige Versorgung der Bevölkerung sicherstellen und Synergien freisetzen. Allerdings ist es aus unserer ärztlichen Sicht inakzeptabel, dass Schwangerschaftsabbrüche bei medizinischen Indikationen (schwere Missbildungen, Nichtlebensfähigkeit außerhalb des Mutterleibes) aufgrund religiös motivierter Vorgaben der katholischen Kirche nur noch bei akuter Lebensgefahr der Mutter vorgenommen werden dürfen. Diese Ausschließlichkeit und Härte des katholischen Standpunktes empfinden wir als unbarmherzig. Das gilt im übrigen auch für Schwangerschaftsabbrüche bei kriminologischer Indikation, zum Beispiel nach einer Vergewaltigung."

In dem Offenen Brief wird appelliert, dass jede Frau Anspruch auf eine fachgerechte Behandlung bei einer medizinischen Indikation habe. Dieser Anspruch dürfe bei Trennung von Staat und Kirche nicht durch die katholische Kirche ausgehebelt werden; er unterliege den gesetzlich vorgegebenen Kriterien, zumal die Krankenhausfinanzierung zum allergrößten Teil aus öffentlichen Geldern komme, betonen die Mediziner und schließen: "Wir Ärztinnen und Ärzte mit einem Versorgungsauftrag für Lippstadt und Umgebung bekunden mit unserer Stellungnahme den betroffenen Frauen und Paaren sowie den in der Lippstädter Frauenklinik Tätigen unsere Solidarität. Die Verantwortlichen der beiden Krankenhäuser rufen wir zum Dialog und zum Überdenken des Standpunktes auf."

Christiane von Rauch, Vorsitzende des Vereins Pro Choice Deutschland betont in einem bereits im hpd veröffentlichten Statement: "Das Klinikum hat den staatlichen Versorgungsauftrag für gynäkologische Behandlungen. Das Verbot ist eine Missachtung dieses Auftrags. Es bedeutet eine Missachtung von Frauen und Familien, die in Notlage geraten und sich entscheiden, eine Schwangerschaft abzubrechen."

Auf Nachfrage des hpd betonte eine Sprecherin des Lippstädter Klinikums: "Prof. Dr. Volz hat in seiner langjährigen Tätigkeit maßgeblich dazu beigetragen, unsere Frauenklinik und das Perinatalzentrum auszubauen und über die Grenzen Lippstadts hinaus zu etablieren. Sein großer Einsatz für seine Patientinnen und Patienten verdient höchste Anerkennung. Vor diesem Hintergrund ist es unser Interesse, das erfolgreiche Arbeitsverhältnis mit Prof. Dr. Volz im Klinikum Lippstadt auf Grundlage der im Gesellschaftsvertrag gemeinsam vereinbarten ethischen Kriterien vertrauensvoll fortzuführen."

Das klingt ganz so, als wolle man im Arbeitsrechtsstreit mit Professor Volz auf der strikten Regelung bestehen. Und die war schon in einer früheren Pressemitteilung des Klinikums im Februar so erörtert worden:

"Für den Wunsch vieler unserer Mitarbeiter des Zentrums für Frauenheilkunde, betroffenen Eltern bei einem medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch – von der Indikation über den Entscheidungsweg bis zum Eingriff – verantwortungsvoll beizustehen, haben wir als Geschäftsführung absolutes Verständnis. Das entbindet uns jedoch nicht davon, den Versorgungsauftrag und das medizinische Leistungsspektrum unseres neuen Hauses als Ganzes in Betracht zu ziehen. Denn nur durch die Fusion zum Klinikum Lippstadt werden wir den Gesundheitsstandort Lippstadt langfristig sichern. Die – auch in diesem Sinne – im Zuge der Fusionsverhandlungen zwischen EVK und DFH getroffene Vereinbarung hinsichtlich der zukünftig sehr eingeschränkten Möglichkeit von Schwangerschaftsabbrüchen im Klinikum Lippstadt war eine Voraussetzung unserer katholischen Partner, um Fusionsgespräche aufzunehmen."

Zusammenfassend lässt sich also sagen: Die "katholischen Partner" haben dafür gesorgt, dass die ohnehin schon strenge deutsche Abtreibungsregelung in Lippstadt noch einmal verschärft wird. Nicht nur bleibt es nach dem gescheiterten Versuch einer liberalen Regelung des Abtreibungsrechts bei der grundsätzlichen Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs. Auch die geltenden Regeln werden durch Anordnungen in dem kirchlich getragenen Krankenhaus nicht angewendet. Dabei werden auch die kirchlich getragenen Krankenhäuser nicht etwa aus Kirchensteuermitteln finanziert, sondern aus öffentlichen Mitteln (Landes- und Bundeszuschüsse, Krankenkassenleistungen).

Professor Volz will indes standhaft bleiben. Im Gespräch mit der Online-Plattform DocCheck sagte er, man habe ihm am Gericht erklärt, das Verbot gelte für seine Person – auch außerhalb des christlichen Klinikums. Das würde zum Beispiel auch für Behandlungen oder Beratungen gelten, die er an dem von ihm mit seiner Frau geleiteten Kinderwunschzentrum FROG mit kassenärztlicher Zulassung in Bielefeld durchführt. Volz betonte: "Ich liebe meinen Job und ich werde nicht aufgeben und weiter für die Frauen kämpfen. Weglaufen kommt nicht infrage. Ich möchte etwas ändern und werde versuchen, das auch hinzubekommen. Hoffentlich mit einer großen Gruppe von Menschen."

Er selbst kenne niemanden persönlich, auch von denen, gegen die er jetzt vor Gericht zieht, die das Verbot gut fänden. "Alle sehen sich als Opfer einer Doktrin, inklusive des Richters und meines Geschäftsführers. Denn wenn man ein bisschen Respekt vor dem Leben einer Frau hat, dann kann man nicht dagegen sein. Aber man muss kein Opfer sein, man kann sich auch dagegen stemmen und auf seine eigene Menschlichkeit hören. Und vielleicht schafft es die katholische Kirche ja doch noch, zumindest die medizinische Indikation anzuerkennen."„"

Rechtslage beim Schwangerschaftsabbruch

Ein zum Ende der vergangenen Legislaturperiode gescheiterter Plan hatte vorgesehen, dass Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche nach der Empfängnis außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden sollten. Sie sollten also nicht mehr mit Strafe bedroht sein. So aber gilt weiterhin die Rechtslage, dass eine Abtreibung in Deutschland nach Paragraph 218 Strafgesetzbuch grundsätzlich rechtswidrig ist. Abtreibungen in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen bleiben aber straffrei, wenn die Frau sich zuvor beraten lässt (Beratungsregelung) Ebenso straffrei bleibt der Eingriff aus medizinischen Gründen. Ein medizinischer Grund für einen Schwangerschaftsabbruch liegt vor, wenn für die Schwangere Lebensgefahr oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes besteht. Insbesondere, wenn die Untersuchungen ergeben, dass das ungeborene Kind an schwersten Fehlbildungen leiden wird (medizinische Indikation). Und dann gibt es noch die kriminologische Indikation, wenn die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung ist. Grundsätzliches zur medizinischen Indikation findet man hier.

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