"Kristina und Descartes" am Rhein

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OBERWESEL. (hpd) Ob die beiden nun tatsächlich ein Liebespaar waren, weiß man nicht. Bekannt ist lediglich, dass der Philosoph und Mathematiker René Descartes 1650 in Stockholm am Hofe der Königin Kristina Wasa von Schweden starb, an dem er weilte, um sie in seiner Philosophie zu unterweisen; und dass die beiden schon vorher längeren Briefkontakt gepflegt hatten. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass sich zwischen den beiden mehr als nur das historisch Verbürgte abgespielt hat.

Und so bot die Thematik dem Autor Josh Goldberg einen charmanten Anlass, seiner Phantasie freien Lauf zu lassen und über ein intimes Kammerspiel mit großer Leidenschaft, Witz, Streit, Gewalt, Liebe und mehr als nur angedeuteter Erotik seinen Hauptinhalt zu transportieren: Philosophie - und nicht nur die von René Descartes.

Die Giordano-Bruno-Stiftung war kürzlich an zwei Tagen hintereinander Gastgeberin des idealistischen Ensembles. Am 14. Juni am Stiftungssitz in Oberwesel, inklusive stürmischer Fechtszene vor herrlicher Rheinkulisse, und am darauf folgenden Abend, eingeladen von der GBS Köln, im ausverkauften kölner "Horizont Theater".

Selten hat man erlebt, dass die sich seit jeher als unfehlbar erweisende Strategie "Sex sells" so gar keinen Vorwurf aufkommen lässt - denn kaum je ist sie berechtigter gewesen. Ihr Zweck ist diesmal hehr: die mitunter intellektuell anspruchsvolleren Dialoge zwischen dem von Thomas Lindhout und Kathrin Austermayer mit Verve und viel Spielfreude dargestellten Liebespaar würden ansonsten wohl eher Spezialisten anlocken, nicht aber diejenigen, für die die Erklärung großer philosophischer Denkansätze eher neu ist und Lust auf mehr machen soll…

Die zwei Liebenden haben sich des Nachts in einer Dachmansarde des Schlosses zurückgezogen und die nicht nur kluge sondern auch schöne Königin saugt eine philosophische Lektion ihres Geliebten nach der anderen begierig in sich auf.

Hierbei geht es gleich zu Beginn in medias res: Ihr wird erklärt, dass Gott lediglich eine Erfindung sei. Dass der Pharao Echnaton im 14. Jh. v.u.Z. die ungeteilte Macht wollte und so allen Göttern außer einem, dem Sonnengott Aton, "die Lizenz" nahm; daher beten Juden wie Christen und Muslime noch heute eigentlich Aton an.
Die Sonne anzubeten ist aber Blasphemie, und somit müsste die heilige Inquisition eigentlich sämtliche Anhänger der abrahamitischen Religionen umbringen - und vorher noch sich selbst.
Da er persönlich aber nicht sehr erpicht darauf sei, wie sein geschätzter Kollege Giordano Bruno zu sterben, der ja verbrannt wurde, weil er behauptet hatte, das Universum sei unendlich in Zeit und Raum, also auch nie geschaffen worden, gehe er mit dieser Erkenntnis allerdings nicht gerade hausieren.
Diese kühne These schluckt die Christin Kristina zwar kritisch, aber überraschend kooperativ, stellt ihm jedoch daraufhin viele Fragen diesbezüglich, wie denn die Funktionen der Religion im Leben der Menschen anderweitig ersetzt werden könnten.

Descartes rät ihr dann grundsätzlich, besser zu denken als zu glauben, denn denken könne sie selber, glauben nur anderen.

Und so handeln sie also eine existenzielle Frage nach der anderen ab wie: Was ist der Sinn des Lebens? Welche Maxime bietet die beste Ethik? Haben wir einen freien Willen? Was ist richtig, was falsch? Was ist Zeit? Existieren wir wirklich?

Erfreulicherweise sieht der Autor dabei weitgehend von der Behandlung des längst wissenschaftlich widerlegten descartes’schen Dualismus ab.
Der "Zweiteilung" von Geist und Körper wird allerdings zwischendurch insoweit Rechnung getragen, als dass der Intellekt auch einmal eine Pause braucht und der naturgemäße Anspruch des Körpers ebenfalls zu seinem Recht kommen soll: per eingeschobenem Schäferstündchen, welches dem Zuschauer jedoch per Zeitsprung stark verkürzt dargestellt wird.

Die Intention Goldbergs ist es, auf unterhaltsame Weise abendländische Denkmodelle zu vermitteln. Und so unternimmt er, ausgehend von Descartes als einer Art Kristallisationspunkt auf dem Weg von Parmenides, Platon und Aristoteles herkommend, einen Ritt durch viele Jahrhunderte der Metaphysik, samt den Descartes erst noch folgenden Denkern wie Wittgenstein, Sartre, Heidegger, Hegel, Schopenhauer und Kant.

Hier wäre es für diejenigen im Publikums, die nicht außerordentlich philosophisch bewandert sind, notwendig gewesen, ein Programmheftchen zur diesbezüglichen Aufklärung zur Hand zu haben, um nicht im Glauben nach Hause zu gehen, alle Denkansätze der später lebenden Philosophen hätten schon zur Zeit Descartes existiert. Auch mehr Souveränität der Darsteller bei der Aussprache mancher Fremdworte wäre schön gewesen.

Nach kurzweiligen knappen anderthalb Stunden des Philosophierens fühlt sich Kristina, als ihr eine intellektuelle Zumutung ihres Geliebten überhand nimmt, aber nicht nur überfordert, sondern auch schwer verletzt.
Weil er aufgrund seines "Ich denke, also bin ich" dabei bleibt, nur seine und nicht ihre Existenz beweisen zu können und ein 'Wir' dabei als "Kokolores" bezeichnet, verlässt sie urplötzlich die gemeinsame Augenhöhe, bezeichnet ihn als Domestiken, als Geschmeiß, weist ihm die Tür. Descartes kontert und verletzt sie gezielt, will nach Rom gehen, um wie Giordano Bruno zu brennen. Gewalt und Waffen kommen ins Spiel, die Situation eskaliert - und endet zwar mit Versöhnung, aber trotzdem tragisch.

In einem Epilog, der im "Hier und Jetzt" spielt, kommen die beiden Darsteller in moderner Kleidung noch einmal auf die Bühne, nun als die Personen "Phil" und "Sophie". Beider nicht sehr überzeugende These dabei: Sobald man mit jemandem über den Solipsismus, der ja im Stück Ursache für das Zerwürfnis zwischen Kristina und Descartes gewesen war, spreche, setze man jemanden voraus, der einen verstehe - was dann dessen Existenz beweise. Damit meinen sie, den Solipsismus "geknackt" zu haben.

Erfreulicherweise gelang es der GBS Köln mit diesem Gastspiel, zum ersten Mal in den über sechs Jahren ihres Bestehens, in der kirchentreuen Lokalpresse des "Heiligen Köln" Erwähnung zu finden - und das sogar nicht einmal in negativer Weise…