Der Autor hat erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht Berlin das Bundesinnenministerium auf Herausgabe der Unterlagen verklagt, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Bund-Länder-Kirchen-Arbeitsgruppe zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen entstanden sind.
Die zunächst geheim gehaltene Arbeitsgruppe "Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgemeinschaften" aus Vertretern der Bundesregierung, der Landesregierungen und der Kirchen hatte von August 2022 bis Januar 2023 getagt. Nachdem im September 2022 bekannt geworden war, dass eine solche Arbeitsgruppe existierte, habe ich vom federführenden Bundesinnenministerium (BMI) im Dezember Auskunft nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes verlangt, wie die Arbeitsgruppe zusammengesetzt sei, welchen Arbeitsauftrag sie habe und welches ihre Ergebnisse seien; auf die namentliche Nennung der dort vertretenen Personen habe ich ausdrücklich verzichtet. Das Ministerium bestätigte die Existenz der Arbeitsgruppe, lehnte aber die Erteilung von Auskunft über den Inhalt der Erörterungen in der Arbeitsgruppe ebenso ab wie die Herausgabe von Unterlagen über die Tätigkeit. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob ich im Mai 2023 Klage beim Berliner Verwaltungsgericht, der in vollem Umfang stattgegeben wurde. Während des Gerichtsverfahrens reichte das Innenministerium auf richterliche Anforderung ein achtseitiges "Inhaltsverzeichnis der Unterlagen zur Arbeitsgruppe" ein sowie vier von fünf Ergebnisprotokollen, die, was den sachlichen Inhalt der "Besprechungsergebnisse" angeht, durchweg vollständig geschwärzt waren; das Protokoll der letzten Sitzung wurde nicht vorgelegt.
Die Klage bezog sich auf den Anspruch eines Jeden auf Zugang zu amtlichen Informationen der Bundesbehörden nach Paragraf 1 Absatz 1 des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) von 2006. Ein Fall der gesetzlichen Beschränkungen des Anspruchs liege nicht vor. In Betracht komme allenfalls Paragraf 3 Nummer 3 b) IFG, wonach ein Anspruch auf Informationszugang dann nicht besteht "wenn und solange … die Beratungen von Behörden beeinträchtigt werden". Das sei hier schon deswegen nicht der Fall, weil die Beratungen in der Arbeitsgruppe beendet seien. Anhaltspunkte für eine Fortführung der Arbeitsgruppentätigkeit seien nicht ersichtlich, zumal sich die Ministerpräsidenten der Länder im Frühjahr und im Herbst 2023 übereinstimmend gegen die angekündigte Grundsatzregelung zur Ablösung der Staatsleistungen ausgesprochen hatten. Das Ministerium habe nicht dargelegt, worin die Beeinträchtigung der Behördenberatungen liege, wenn die erbetene Auskunft erteilt werde. Dem widersprach das beklagte Ministerium: da der Koalitionsvertrag die Ablösungsgesetzgebung vorsehe und im Übrigen die Verfassung das auch vorschreibe, könne die Arbeitsgruppe jederzeit wieder in Aktion treten. Die Veröffentlichung von Unterlagen könne die beteiligten Vertreter der Kirchen und der Behörden in ihrer freien Meinungsäußerung beeinträchtigen, interne Entscheidungsprozesse offenlegen und eine unausgewogene Berichterstattung zu dem sensiblen Thema fördern. Dem Heiligen Stuhl (ein Vertreter der Nuntiatur hat teilgenommen) sei Vertraulichkeit versprochen worden.
Die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin hat den Rechtsanspruch auf uneingeschränkten Zugang zu den begehrten Informationen bestätigt. Es ließ keines der vom beklagten Ministerium vorgebrachten Argumente gelten. Das Gesetz schütze den internen Willensbildungsprozess von Behörden, hier des BMI, nicht aber vorgelagerte Sachinformationen und Erörterungen in Arbeitsgruppen. Geschützt nach Paragraf 3 IFG wären deren Beratungen allenfalls dann, wenn "bei dem Zusammentreffen in der Arbeitsgruppe die behördliche Willensbildung stattgefunden haben sollte". Dafür habe das Ministerium jedoch nichts vorgetragen. Das beklagte Ministerium habe nicht nachvollziehbar dargelegt, welche nachteiligen Auswirkungen auf den zukünftigen behördlichen Beratungsprozess es bei Offenlegung der Dokumente befürchte. Nach Angaben des Ministeriums habe die "letzte Sitzung" der Arbeitsgruppe im Januar 2023 stattgefunden. Für einen danach fortdauernden "Gesamtberatungsprozess" sah das Gericht keinen Anhaltspunkt.
Das Ministerium hat sich in der mündlichen Verhandlung noch auf Paragraf 3 Nummer 1 a) IFG bezogen. Danach besteht der Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn das Bekanntwerden der Information nachteilige Auswirkungen haben kann auf internationale Beziehungen. Auch daraus ergibt sich nach Auffassung des Gerichts nicht die Befugnis, die besagten Informationen zurückzuhalten. Das Ministerium habe auch nicht dargelegt, welche Inhalte der Dokumente ursächlich für welche Beeinträchtigungen der internationalen Beziehungen zum Heiligen Stuhl sein könnten.
Rechtspolitischer Hintergrund: Die Rolle des Bundesinnenministeriums
Dem Auftrag der deutschen Verfassung, die Staatsleistungen an die Religionsgemeinschaften abzulösen, sind der Bund und die Länder bekanntlich seit über 100 Jahren nicht nachgekommen. Die Ampelkoalition hatte sich im Jahr 2021 für die 20. Legislaturperiode endlich vorgenommen, das erforderliche Grundsätzegesetz zu beschließen. Verfassungsrechtlich hat zunächst der Bund, also die Bundesregierung, die Aufgabe, den Auftrag aus Artikel 138 Absatz 1 Weimarer Reichsverfassung zu erfüllen und ein Gesetz über die Grundsätze der Ablösung der Staatsleistungen auf den Weg zu bringen. Obwohl die Diskussion zu dem Thema auf politischer wie juristischer Ebene nicht wirklich neu ist und obwohl die Erfüllung des Ablösungsauftrags ein bindender Befehl der Verfassung ist, sah die Bundesregierung bis vor wenigen Jahren erklärtermaßen keine Notwendigkeit, die Ablösung der Staatsleistungen voranzubringen oder sich überhaupt auch nur sachkundig zu machen. Noch im Jahr 2010 schrieb das BMI auf eine entsprechende Anfrage der Humanistischen Union wie folgt:
"Der Umfang der Staatsleistungen der Länder von 1949 an bis zur Gegenwart ist dem Bund im Einzelnen nicht bekannt … . Eine Zusammenstellung dieser Leistungen ist aufgrund des weit zurückgehenden Zeitraums nicht möglich und würde im Übrigen einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand für Bund und Länder bedeuten." (Schreiben vom 18. Juni 2010) – Anmerkung: Das haben drei am Thema interessierte Bürger danach in kurzer Zeit erledigt.
In der 19. Legislaturperiode wurde ein von der damaligen Opposition eingebrachter Entwurf eines Ablösungsgrundsätzegesetzes (BT-Drs.19/19273) von der Regierungsmehrheit am 6. Mai 2021 abgelehnt. Das hat offenbar im zuständigen Ministerium nicht zu einer näheren Befassung mit dem Thema geführt. Denn auf eine Anfrage der Humanistischen Union zu den Planungen der Bundesregierung antwortete das BMI am 14. Februar 2022 erneut ganz unbefangen:
"Im BMI finden zurzeit erste Vorüberlegungen zu dem im Koalitionsvertrag formulierten Vorhaben der Schaffung eines Grundsätzegesetzes zur Ablösung der Staatsleistungen an die katholische und evangelische Kirche statt. Angesichts des noch frühen Stadiums der Vorüberlegungen sind noch keine konkreten Gespräche mit den Landesregierungen und/oder Kirchen geplant oder in Vorbereitung. Im Aktenbestand des BMI ist daher dazu auch noch nichts dokumentiert."
Die Ankündigung im Koalitionsvertrag hat das BMI offenbar völlig unvorbereitet getroffen, die Einsetzung einer beratenden Arbeitsgruppe war daher verständlich.
Die Funktion der Arbeitsgruppe
In der Ablösungsfrage geht es nach den Äußerungen aus dem kirchlichen und aus dem politischen Bereich um viel Geld. Diesen Äußerungen liegen die – zweifelhaften – Behauptungen zugrunde, den Kirchen müsse erstens mit einer zu zahlenden Ablösungsentschädigung volle Kompensation für "Enteignung" ihres Grundvermögens in früheren Jahrhunderten, vor allem durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803, gewährt werden; für die Berechnung müssten zweitens die derzeitigen Staatsleistungsbeträge nach den heute geltenden Staatskirchenverträgen nebst den dazu vereinbarten jährlichen Steigerungen nach Maßgabe der Beamtenbesoldung zugrunde gelegt werden. Des weiteren garantiere die Verfassung eine zeitlich unbeschränkte Weiterzahlung der Staatsleistungen – und zwar ohne Anrechnung der bisherigen Zahlungen.
Ausgerufen wurden in der neueren politischen Diskussion Ablösungsbeträge zwischen 10 und 40 Milliarden Euro.
Angesichts dieser Beträge ist die Einsetzung der Arbeitsgruppe, die ausschließlich mit Vertretern von ergebnisinteressierten Institutionen besetzt ist, alarmierend. Der vollständige Ausschluss der Öffentlichkeit ist schon aus der Diskussion über die zahlreichen Staatskirchenverträge ein vertrautes Muster: Erst am Ende der vertraulichen, geheimen Gespräche erfährt die Öffentlichkeit, was von Regierung und Kirchen hinter verschlossenen Türen ausgehandelt und unterschrieben worden ist und was dann – leider – nicht mehr geändert werden kann. Bei der Ablösung geht es – wie erläutert – nicht um Peanuts, sondern um möglicherweise in Zukunft von den Ländern aus allgemeinen Steuermitteln als Ablösungsentschädigung aufzubringende Milliardenbeträge, wohlgemerkt zusätzlich zu den bisher bereits geleisteten Milliardenbeträgen (21 Milliarden Euro seit 1949) und zusätzlich zu den bis zum Abschluss der Ablösung weiter zu zahlenden Staatsleistungen (2024 rund 620 Millionen jährlich – Zahlen nach einem Artikel aus vorgänge).
Die Bedeutung der Entscheidung
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin ist nicht nur von Bedeutung für die informationsrechtliche Frage, inwiefern Bürger zumindest nachträglich Einblick erhalten können in die Tätigkeit von Arbeitsgruppen, die aus Behörden- und Interessenvertretern bestehen. Auch aus kirchenpolitischer Sicht kann die Auswertung der jetzt veröffentlichten Unterlagen aus dem Bundesinnenministerium beginnen. Der bindende Verfassungsauftrag aus Artikel 138 Weimarer Reichsverfassung in Verbindung mit Artikel 140 Grundgesetz gilt weiter. Immerhin handelt es sich – soweit bekannt – um das erste Mal seit 1919, dass Vertreter von Staat (Bundes- und Landesebene) und Kirchen (evangelisch, katholisch und alt-katholisch) offiziell gemeinsame Beratungen zu dem Thema aufgenommen haben. Es wird für die Öffentlichkeit erkennbar werden, mit welchen Ansätzen, Argumenten und Zielen die Akteure das Thema behandeln. Auch wenn mit der künftigen Bundesregierung der Ablösungselan weiter schrumpfen dürfte, bleibt der zwingende Verfassungsauftrag auf der politischen Agenda.

6 Kommentare
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Kommentare
Gerhard Lein am Permanenter Link
Wie titelt Helmut Ortner zu treffend und schrecklich: "Das klerikale Kartell". Dank an Hannes Haupt und die Mitstreiter*innen im IfW und anderwo (z.B. Basta-Bündnis) für ihre Hartnäckigkeit.
Ingrid Matthäus... am Permanenter Link
Ich könnte Hannes umarmen. Danke an ihn und das IfW mit Jessica Hamed. Die Hartnäckigkeit hat sich ausgezahlt.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Weshalb ein Grundgesetzartikel über mehr als hundert Jahre nicht realisiert wurde und vermutlich auch in absehbarer Zeit nicht realisiert wird, ist mir ein Rätsel, auch der vorliegende Artikel hat mich da nicht weiter
(...)
Heinz König am Permanenter Link
Wenn man dann noch sich betrachtet, dass alle Religionen lügen, wird es kriminell.
Abzocke auf höchster Ebene mit staatlicher Billigung.
Der8teZwerg am Permanenter Link
So sehr ich mir die Ablösung auch wünschen würde: Bei den aktuellen Politikern kann das nur auf eine goldene Nase für die Kirchen hinauslaufen. Das sieht man ja schon an dieser Geheimniskrämerei.
Wobei ich nicht verstehe, was die aktuellen Politiker von den Kirchen wollen bzw wovor sie Angst haben. Die Kirchen haben doch überhaupt keinen Einfluss mehr auf ihr Mitglieder. Jede offene politische Einmischung hätte wahrscheinlich sogar rasant fallende Mitgliederzahlen zur Folge.
Ulrich Bock am Permanenter Link
Mich beschäftigt seit einiger Zeit eine Frage. Kann eine Klage vor dem Bundesverfassungsgerichtshof etwas bringen. Nach 100 Jahren Verfassungsbruch wäre eine Ablösung nicht mehr gerechtfertigt.