Notizen zu Nordkorea 24

Ein interessantes Buch über Nordkorea und eine Konferenz in Salzburg

North Korea Confidential – Private Markets, Fashion Trends, Prison Camps, Dissenters and Defectors

In ihrem im Mai 2015 erschienenen Buch werfen die Journalisten Daniel Tudor und James Pearson ein neues Licht auf die nordkoreanische Gesellschaft, der ihrer Meinung nach zu wenig Aufmerksamkeit entgegen gebracht wird. Der Fokus in der internationalen Berichterstattung läge eher auf dem Nuklearprogramm oder der Führung. Und wenn die Menschen in den Mittelpunkt gestellt werden, würden sie entweder als ideologisierte Anbeter von Kim Il Sung oder hilflose Opfer des staatlichen Sicherheitsapparats dargestellt. Gravierende Veränderungen innerhalb der nordkoreanischen Gesellschaft würden dabei weitestgehend ignoriert.

Die Autoren befürworten hingegen, dass die Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea in der internationalen Gemeinschaft stärker thematisiert werden. Sie verweisen auf den Abschlussbericht der UN-Untersuchungskommission zur Menschenrechtslage in Nordkorea und widmen dem Strafrechtssystem des Landes nicht nur ein ganzes Kapitel, sondern gehen immer wieder auf die Überwachung und Unterdrückung im Land ein. Dabei zeigen sie jedoch auch auf, dass die Bevölkerung aufgrund der grassierenden Korruption zunehmend in der Lage ist, sich nach einem Gesetzesbruch, den zum Beispiel der Konsum ausländischer Medien darstellt, von einer behördlichen Verfolgung freizukaufen.

Als Ausgangspunkt für die grundlegenden Veränderungen in der nordkoreanischen Gesellschaft benennen die Autoren die schwere Hungersnot Mitte der neunziger Jahre, der zwischen 200.000 und drei Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. Zuvor galt ein Gesellschaftsvertrag zwischen Volk und Regime: Die Menschen folgen ihrer Führung und widersetzen sich nicht, dafür werden sie von ihr mit Lebensmitteln und anderen Gütern versorgt. Dieser Vertrag verlor durch den Zusammenbruch des staatlichen Verteilungssystems seine Legitimation, denn Rationen wurden zur Jahrhundertwende nur noch an sechs Prozent der Bevölkerung verteilt.

Insbesondere die jungen Menschen, die ein funktionierendes Verteilungssystem in ihrem Leben nie kennengelernt haben, leben jetzt nach den Prinzipien einer kapitalistischen Gesellschaft. Die psychologische Distanz zwischen dieser "Marktgeneration" und dem Regime ist hoch und Eigenständigkeit – ein Wort, mit dem die Staatsideologie "Juche" oft umschrieben wird – bezieht sich inzwischen auf das Individuum, denn der Staat ist nicht verlässlich. Ein zweiter Vorfall, der das traditionelle Band zwischen Volk und Führung weiter auflöste, war die missglückte Währungsreform Ende 2009, die einer Enteignung gleichkam. Die Menschen lernten daraus, dass Geschäfte besser in Devisen abgewickelt werden, je nach Region in chinesischen Yuan, US-Dollar oder Euro.

Pearson und Tudor beschreiben gleich zu Beginn ausführlich die Entstehung der Märkte und die Vermarktlichung der Gesellschaft. Die Bezeichnungen "kommunistisch" oder "kollektivistisch" für die nordkoreanische Wirtschaft seien nicht mehr aktuell. Privater Handel zieht sich durch alle Bereiche der Gesellschaft und ist die Haupteinnahmequelle für die meisten Haushalte. 2010 sagten 62 Prozent von befragten Flüchtlingen aus, dass sie in Nordkorea einer anderen als ihrer offiziellen Arbeit nachgegangen seien. Auch die Position von Frauen hat sich erheblich verändert: Verheiratete Frauen sind in Nordkorea von der Arbeitspflicht befreit und können sich daher leichter in der Privatwirtschaft betätigen. Damit sorgen sie für einen Großteil des Haushaltseinkommens, denn die Männer verdienen bei ihren staatlichen Arbeitgebern faktisch nichts. Der sogenannte "Jangmadang" ("Marktplatz") befindet sich in einer rechtlichen Grauzone: Obwohl nicht wirklich legal, müssen inzwischen sogar Standgebühren an Parteikader entrichtet werden.

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Zwar wird die Marktrealität auch vom Regime teilweise anerkannt und inzwischen in einigen Betrieben mit höheren Gehältern experimentiert, aber in der Regel verdienen nordkoreanische Angestellte zwischen 1.000 und 6.000 Won im Monat (ca. 10 bis 60 Euro-Cent). Sie sind daher bei der Arbeit nicht nur demotiviert, sondern – vom einfachen Arbeiter bis zum Fabrikmanager – auf andere Einnahmequellen angewiesen, denn ein Kilogramm Reis wird auf dem Markt für etwa 5.000 Won gehandelt. Daher stehlen Arbeiter Rohmaterialien und Manager fälschen Bilanzen, um Teile der Produktion auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Inzwischen ist es auch keine Seltenheit mehr, dass sich die Männer mit einer Zahlung, die einem Vielfachen ihres Monatslohns entspricht, von der Arbeit freikaufen, um anderweitig Geld zu verdienen. Eine andere Möglichkeit ist, dass Betriebe faktisch privat betrieben werden, so dass zu Marktpreisen Produkte verkauft und Gehälter gezahlt werden können. Wenn genügend Schmiergelder in die richtigen Taschen fließen, wird dies stillschweigend geduldet. Korruption ermöglicht neue Freiheiten

Korruption durchzieht nicht nur das wirtschaftliche Leben. Die Autoren gehen so weit zu sagen, dass das gesamte Polizeisystem finanziell nur durch Schmiergelder aufrechterhalten wird. Sie erlauben den Nordkoreanern damit zunehmend, mehr oder weniger ungestraft Gesetze zu brechen. Ein Flüchtling berichtete, dass er von der Polizei mit einem chinesischen Handy erwischt wurde, was hochgradig illegal ist. Für 3.000 Yuan (etwa 425 Euro) konnte er sich freikaufen, aber das Telefon wurde beschlagnahmt. Weil er sein Handy jedoch für seine Geschäfte brauchte, ging er wieder zur Polizei und kaufte das Handy für ungerechnet 255 Euro zurück. Später besorgte er sich dort sogar noch ein weiteres Gerät.

Auch der illegale Konsum ausländischer Medien nimmt zu: Im Jahr 2010 gab die Hälfte der Flüchtlinge an, ausländisches Fernsehen oder Filme gesehen zu haben. Die Angst vor den Behörden nimmt nicht nur deshalb ab, weil man sich oft von der Strafverfolgung freikaufen kann, sondern auch, weil sich Nordkoreaner durch die schwindende Loyalität seltener gegenseitig denunzieren. Daher werden immer häufiger gemeinsam mit Nachbarn oder engen Freunden ausländische Filme gesehen oder in der Öffentlichkeit über den Inhalt südkoreanischer Seifenopern diskutiert. Sogar chinesische Handys werden in der Grenzregion gegen Gebühr an andere verliehen. Allerdings hat sich die Situation an der chinesischen Grenze seit der Machtübernahme von Kim Jong Un wieder verschärft, denn seit ein paar Jahren versucht das Regime verstärkt, den Informationsfluss ins Land einzudämmen.

Trotzdem ermöglicht die Korruption vielen ein freieres Leben. Auch der Einfluss des nordkoreanischen Kastensystems ("Songbun"), das die Menschen in "loyal", "schwankend" oder "feindlich" gegenüber dem Regime einstuft, hat abgenommen. Wenn man sich auch nicht direkt in eine höhere Kaste einkaufen kann (durch die lückenlose Dokumentation des Lebens eines jeden Bürgers auf mehreren Ebenen müsste man dafür zu viele Menschen bestechen), kann man sich doch viele Privilegien eines besseren Songbun erkaufen – allerdings nur bis zu einem bestimmten Level. Denn wirklich lukrative Stellen sind nur für diejenigen zu haben, die einen "tadellosen" Familienhintergrund besitzen. Damit ist Songbun auch im "kapitalistischen" Nordkorea die Basis für die wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich. Trotzdem gibt es heutzutage sogar Hochzeiten zwischen den Klassen – früher undenkbar, denn es führte eher zum Abstieg einer Familie als zum Aufstieg. Verbindungen zwischen Menschen mit schlechtem Songbun, die eher auf den Märkten aktiv sind, und solchen mit loyalem Familienhintergrund scheinen perfekt, um den Aufstieg in eine neue Elite durch die Kombination von Geld und Einfluss zu ermöglichen.

Soziale Trennung

Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. In Pjöngjang kann man Self-Made-Millionäre in ihren Luxusautos umherfahren und mit Bündeln von 100-Dollarscheine in den Devisenshops einkaufen sehen, während auf dem Land das Feld mit dem Ochsen bestellt wird und sich der einfache Soldat von Getreidebrei ernährt. Der Kontrast zwischen der Hauptstadt und dem Land hat aber nicht nur Nachteile, denn in Pjöngjang konzentrieren sich nicht nur die staatlichen Ressourcen, sondern auch die politische und ideologische Kontrolle. Die beiden nordöstlichen Provinzen Ryanggang und Nord-Hamgyong werden als Gegenbeispiel zu Pjöngjang genannt. Als Ri Sol Ju, die Frau von Kim Jong Un, in der Öffentlichkeit mit wechselnden Frisuren in kürzeren Röcken oder schicken Hosenanzügen auftrat, wurde das aus modischen Aspekten von Außenstehenden und auch von vielen Bewohnern Pjöngjangs als Revolution wahrgenommen. Eine Quelle aus Chongjin jedoch, einer Stadt in Nord-Hamgyong, beschrieb die Kleidung der "First Lady" als "nichts Besonderes". Die nordöstlichen Provinzen sind nicht nur geografisch, sondern auch ideologisch am weitesten von Pjöngjang entfernt. Die Menschen dort sind es schon lange gewohnt, sich selbst versorgen zu müssen, und können – für nordkoreanische Verhältnisse – relativ frei leben. Nur Blue Jeans gelten als landesweites Tabu – sie sehen einfach zu "ausländisch" aus.